Ossip Mandelstam: Hufeisenfinder

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ossip Mandelstam: Hufeisenfinder

Mandelstam-Hufeisenfinder

BAHNHOFSKONZERT

Kein Atmen mehr. Das Firmament – voll Maden.
Verstummt die Sterne, keiner glüht,
Doch über uns, Gott siehts, Musik, dort oben −
Der Bahnhof bebt vom Aonidenlied,
Und wieder ist die Luft, zerrissen von Signalen,
Die Geigenluft, die ineinanderfließt.

Der Riesenpark. Die Bahnhofskugel, gläsern.
Die Eisenwelt – verzaubert, abermals.
Und feierlich, in Richtung Nebel-Eden,
Zu einem Klang-Gelage rollt die Bahn.
Ein Pfauenschrei, Klaviergetöse.
Ich kam zu spät. Ich träum ja. Mir ist bang.

Der Glaswald rings, ich habe ihn betreten.
Der Geigen-Bau – in Tränen, aufgewühlt.
Der Duft der Rosen in den Moder-Beeten;
Der Chor der Nacht, der anhebt, wild.
Der teure einst, der mitzog, er, der Schatten…
Sein Nachtquartier: ein gläsernees Gezelt…

Die Eisenwelt, sie schäumt, schäumt vor Musik −
Mir ist, als bebte sie am ganzen Leibe −
Ich steh im Glasflur, lehne mich zurück.
Wo willst du hin? Es ist die Totenfeier
Des Schattens, der dort ging. Noch einmal war Musik.

Übersetzt von Paul Celan

 

 

 

Auskünfte und Ansichten zur Poesie Ossip Mandelstams

3.(15.) Januar 1891 bis 27. Dezember 1938

Die Ausgabe ist ein Anfang. Diese achtzig Gedichte sind ein Fünftel seines lyrischen Werks und bieten Proben aus allen erschienenen oder geplanten Sammlungen. Übersetzung und Interpretation zeigen die Schwierigkeiten und den möglichen Gewinn der Mandelstam-Aufnahme bei uns. Wie mag der Leser Mandelstam begegnen? Der Dichter wünschte ihn sich als „Gesprächspartner“, zu dem der Vers „auf mächtigen Flügeln“ fliegt. „Es gibt keine Lyrik ohne Dialog. Das einzige, was uns einem Gesprächspartner in die Arme treibt, ist der Wunsch, über die eigenen Worte zu staunen, sich von ihrem Neuen und Unerwarteten fesseln zu lassen.“
Die Dichter bekommen es zu tun mit Mandelstams „Philologismus, der Chemie der Worte“, von denen Boris Eichenbaum 1933 sprach. Mandelstam gelinge die abstrakte philosophische Ode, hatte Juri Tynjanow zehn Jahre zuvor gemeint, weil bei ihm, wie Heine von Schiller schrieb „nüchterne Begriffe… tanzen wie Bacchanten“.
Der Leser lernt ein ganz anderes Dichterleben kennen, als er es bisher aus der sowjetischen Poesie gewöhnt war – Alexander Blok, Wladimir Majakowski, Sergej Jessenin. Während sie die Aufflüge und Stürze ihrer Biographie zum Gegenstand ihrer Poesie machten, strebte Mandelstam nach einer revolutionären Klassizität. Der „häusliche Hellenismus“, von dem er sprach, ist ein Versuch, die Aufblähung des Dichterlebens zu beenden. Mandelstam hat nie eine Autobiographie geschrieben, und die einzige Auskunft stellt Biographie in Anführungszeichen und lobt ihren Verlust: „Die Oktoberrevolution mußte meine Arbeit beeinflussen, da sie mir meine ,Biographie‘ – das Gefühl persönlicher Bedeutsamkeit nahm; ich bin ihr dankbar dafür, daß sie ein für allemal Schluß gemacht hat mit geistiger Sichergestelltheit und einem Leben von kultureller Rente“ (1929).
Ist es geschichtlich gerechtfertigt, angesichts der bei den Verhaftungen Mandelstams (1934, 1938), seiner Aussiedlung nach Woronesh (1934-1937) und Kalinin (1937-1938), angesichts seines Selbstmordversuchs in Tscherdyn, seiner Anfälle von Geistesverwirrung und seines Todes in Wladiwostok diesen unerhörten Abschied für voll zu nehmen? Wendet das tragische Ende die Entschiedenheit des Bruchs nicht zur Farce? Wer Mandelstams Gedichte genau liest, wird eine Unerschrockenheit vor den Konsequenzen des Biographie-Bruchs entdecken, die nirgends seine lebensgefährliche Abruptheit, aber nirgends auch seine weltgeschichtlich eingreifenden Wirkungen unterschlägt. In Woronesh notiert Mandelstam dazu: „Wenn ein Schriftsteller es für seine Pflicht hält, koste es, was es wolle, ,das Leben tragisch zu sagen‘, aber auf seiner Palette keine tiefen kontrastierenden Farben besitzt, und vor allem das Gefühl für das Gesetz nicht hat, nach dem das Tragische, auf welch kleinem Abschnitt es immer entstehe, sich unweigerlich in ein allgemeines Bild der Welt fügt – bringt er nur ,Halbfabrikate‘ von Schrecken und Borniertheit hervor, Rohmaterial, das Ekel erregt und bei der wohlmeinenden Kritik den zärtlichen Namen ,Milieu‘ trägt.“
Der Bruch mündete in die große Unrast, das Unterwegssein der zwanziger und beginnenden dreißiger Jahre. 1933 schrieb er resümierend: „Die Poesie unterscheidet sich dadurch von automatischer Rede, daß sie uns in der Mitte des Wortes weckt, aufstört. Dann erweist sich das Wort als sehr viel länger, als wir dachten, und wir erinnern uns, daß Sprechen immer Unterwegssein heißt.“
Unterwegssein in der Sprache. Unterwegssein in seiner Zeit und in den Zeiten. Unterwegssein mit dem „ungestillten Hunger des Gedankens“. Nach seiner ausgedehnten Georgien- und Armenienreise des Jahres 1930 notierte er den Zusammenhang von Reise, Welterkenntnis und poetischer Intention: „Man muß immer reisen, nicht nur nach Armenien und Tadshikistan. Die größte Belohnung für einen Künstler ist, jemanden, der anders denkt und fühlt als er, zur Tat herauszufordern.“ Mandelstam brachte in die Lyrik der dreißiger Jahre seine Intimität im Umgang mit den Kulturen und Epochen ein, die er gemeint hatte, als er den „synthetischen Dichter der Gegenwart“, einen „Verlaine der Kultur“ nannte.
Er begriff sich als einen Nachfahren der Rasnotschinzen, jenes vierten Standes des russischen 19. Jahrhunderts, dessen bedeutendste Vertreter, so Tschernyschewski und Dobroljubow, die sozialistische Revolution geistig und praktisch vorbereiten halfen. „Ein Rasnotschinze braucht keine Erinnerungen“, heißt es 1925 in der Prosasammlung Rauschen der Zeit, „für ihn genügt es, von Büchern zu erzählen, die er gelesen hat – und die Biographie ist fertig.“ Was darunter für Bücher waren, erfährt man an dieser Stelle: „Erfurter Programm, Propyläen des Marxismus, früh, allzufrüh habt ihr den Geist zur Harmonie erzogen, doch habt ihr mir und vielen anderen bereits in prähistorischen Jahren, wenn das Denken noch nach Einheit und Harmonie dürstet, wenn sich das Rückgrat der Epoche geradereckt, wenn das Herz nötiger als alles andere das rote Blut der Aorta braucht, ein Gefühl für das Leben gegeben! Ist Kautsky etwa Tjutschew? Vermag er denn kosmische Empfindungen zu wecken (,nur Spinngeweb wie dünnes Haar blitzt auf ,der müßigen Furche‘)? Aber man stelle sich vor, daß für ein bestimmtes Alter und für einen bestimmten Augenblick Kautsky (ich nenne ihn natürlich nur als Beispiel – wenn nicht er, dann Marx und Plechanow mit viel größerem Recht) dasselbe wie Tjutschew ist, das heißt, eine Quelle kosmischer Freude, Künder eines starken und harmonischen Weltgefühls, ein sinnendes Schilfrohr und eine über den Abgrund geworfene Decke.“
Rasnotschinze war für Mandelstam ein Appellativum, die Bezeichnung einer Souveränität des geschichtlichen Subjekts, das sich nicht als Gefangener verpflichtender Erinnerungen, als machtloses Glied in einer Kette von „Vergeltungen“ betätigt. So nannte er im Gespräch über Dante (1933), das in der Analyse der Göttlichen Komödie Mandelstams Dichtungsbegriff und Poetik zeigt, den Italiener einen „inneren Rasnotschinzen“. Im Jahr zuvor erschien ihm Darwin, dessen literarischen Stil er beschrieb, als geistiger Verwandter dieser Russen.
Diese Ausgabe ist eine Einladung an Dichter und Leser, einen Mann kennenzulernen, in dem, wie er es, selbst vom Dichter des neuen Zeitalters erwartete, die „Ideen, wissenschaftlichen Systeme, Staatstheorien genauso singen wie in seinen Vorgängern Rosen und Nachtigallen“.

Fritz Mierau, Nachwort

 

Mieraus neue „Russenbücher“

– Spielräume gegen Zensur und Konkurrenz. –

Ossip Mandelstam: Hufeisenfinder

Ralph Dutlis Mandelstam-Biografie Meine Zeit, mein Tier (2003) widmet der Leipziger Reclam-Ausgabe vier signifikante Zeilen:

Selbst in der DDR wurde Mandelstam zum geheimen, gehegten Mythos, dank der Auswahl Hufeisenfinder von 1975, die der verdienstvolle Herausgeber Fritz Mierau trotz Zensur und Behinderungen ans Tageslicht zu fördern verstand. Das Buch wurde zur kostbaren ,Bückware‘ […].1

Hier ist der Hufeisenfinder – aus der Rückschau und ,Siegerperspektive‘ der heute gültigen kompletten Werkausgabe Dutlis bei Ammann/S. Fischer – zusammengeschnurrt auf ein skurriles Bündelchen klassischer Stereotype zur DDR als marginal-beschränktem kulturellem Subjekt.2 Die Entstehungsgeschichte des Bandes ist demgegenüber äußerst komplex und widersprüchlich, mit Fäden und Fallstricken, die von Leipzig nach Moskau und Leningrad, Berlin, Frankfurt/Main und New York reichen; sie spricht exemplarisch für sich.
1955 war erstmals seit 1928 wieder ein Band Mandelstam durch Gleb Struve in New York gedruckt worden; seit 1964 erschien seine dreibändige Washingtoner Ausgabe. 1959 brachte Paul Celan eine erste kleine Auswahl auf Deutsch im S. Fischer Verlag. Im August 1965 gibt Fritz Mierau (der sich die Struve-Ausgabe über die Redaktion der Zeitschrift für Slawistik für eine Literaturschau bestellen ließ – und tatsächlich erhielt) Reclam den ersten Tipp: Volk und Welt plane eine Lyrik-Reihe, sechs Bände pro Jahr, davon drei sowjetische.3

Um aber diese Woge der Kühnheit nicht ungenutzt vorübergehen zu lassen, sollte sich Reclam um Mandelstam bewerben, der bei KuFo4 zunächst noch nicht vorgesehen ist.5

Am liebsten wieder mit Kirsch und Törne – und zwar schnell! Mit selber Post empfiehlt Mierau Platonow und Olescha.
„Ihr Exposé liegt vor“, bestätigt die Cheflektorin im März 1966. „Unsererseits stehen Außengutachten und Prüfung im Verlag aus; nach Annahme erfolgt die vertragliche Bindung mit Ihnen und dem Nachdichter Rainer Kirsch.“ Das klingt tatendurstig. Mierau wird von Lektor Loose „schnellstmöglich“ um eine Auswahl durch Ankreuzen der betreffenden Texte in der struveschen Ausgabe gebeten: „andere lassen sich vielleicht fotokopieren?“ Kirsch ist enthusiastisch dabei. Wünscht 3,50 statt 3,00 Mark Zeilenhonorar „so wie bei Volk&Welt“, was zunächst abgelehnt wird. Herausgeber Mierau solidarisiert sich mit einer kleinen Erpressung:

Sehr geehrte Frau Pradel, die Arbeiten an der Mandelstam-Auswahl kann ich billigerweise erst weiterführen, sobald sich der Verlag zu meinem vor einiger Zeit gemachten Vorschlag über bessere Honorierung des Nachdichters geäußert hat […] Ich gab zu bedenken, daß man bei der derzeitigen Nachdichtungskonjunktur sich die Sympathien der guten Leute nicht verscherzen sollte. Es sei denn, man zeigt Neigung für die Produkte eines Herrn Preißler.6

Auch Törne sagt zu, doch das Tempo behagt ihm nicht. „Nach allem, was ich von Mandelstam weiß“, benötige er mehr Zeit und kompetente Unterstützung bei der Entschlüsselung der Texte. Könne man die Abgabe nicht aufs nächste Jahr verschieben? Der Herausgeber äußert Verständnis.
Im Oktober 1967 sendet Kirsch erste Fassungen von 26 Texten:

Ich finde, wir sollten noch mehr machen, so viel Zeilen wie bei Jessenin könnten es schon sein. Mierau ist auch der Meinung […]

Zu dieser Zeit hält sich Törne auf Recherchereise in Moskau und Leningrad auf, konsultiert Herausgeber und Redaktion der in Vorbereitung befindlichen postumen Ausgabe in der Biblioteka poeta des Verlages Sowjetski pisatel. Dort scheint man ob der Leipziger Pläne aus allen Wolken zu fallen. Schließlich kämpft man seit zehn Jahren um dieses Buch. Nach der teilweisen Rehabilitierung des Dichters 1956 ward eigens eine staatliche „Mandelstam-Erbekommission“ gebildet, um die Ausgabe planvoll hinauszuzögern. Die Auswahl ist seit langem getroffen, um das Nachwort wird gerungen. Selbstredend ist die amerikanische Ausgabe den Herausgebern ein Dorn im Auge; nun will ,der Westen‘ womöglich auch noch dort, wo er ,befreundet‘ dem Lager zugehört, den Russen eine Nase drehen? Ein Politikum!
Törne wird die Einsicht in Manuskripte und Kommentierungen freundlich, aber entschieden verweigert, eine Zusammenarbeit erst nach Drucklegung des sowjetischen Bandes in Aussicht gestellt. Und es ergeht eine Warnung, die den peniblen Wortfuchs Törne mehr beeindrucken muss als alle politischen Implikationen:

Alle mit dem Material vertrauten Kollegen erklären übereinstimmend, daß keine der beiden vorliegenden amerikanischen Ausgaben und auch keine der zu Lebzeiten Mandelstams besorgten sowjetischen Ausgaben einen absolut zuverlässigen Text bietet. Die amerikanischen Ausgaben beruhen zum Teil auf handschriftlichen Kopien aus NN-ter Hand und enthalten angeblich neben vielen Lese- und Schreibfehlern zahlreiche grobe, politisch tendenziöse Entstellungen.7

Faktologisch eine Nebelkerze, wie wir heute wissen: Die textuellen Unterschiede zwischen der Washingtoner und der Leningrader Ausgabe sind äußerst gering, sie beschränken sich, abgesehen von Interpunktion, einzelnen Umstellungen, Neuordnung von Strophen und so weiter, auf kleine lexikalische Unschärfen infolge schwankender mündlicher Überlieferung durch die Witwe des Dichters, Nadeschda Mandelstam.8 Sinnentstellende, gar vorsätzlich-bösartig abweichende Stellen bei Struve/Filippov – Fehlanzeige! Insofern ist Törne mutwillig getäuscht worden. Jedenfalls ein gezielter Schuss vor den Reclam-Bug und nicht zu ignorieren. Weder die sowjetische Kulturbürokratie noch Herausgeber und Redaktion wollen sich von Mierau und den Leipzigern die Butter vom Brot und den Triumph der Erstveröffentlichung (noch dazu unter Einbeziehung der Originale) nehmen lassen. Törne kehrt kleinlaut zurück, verfasst eine umfängliche Aktennotiz und resümiert, dass er es nicht für sinnvoll halte, verbindliche Interlineare herzustellen, bevor nicht die Texte an Hand der zu erwartenden sowjetischen Publikation überprüft seien, zumal diese unmittelbar bevorstehe.
Der Schreck muss außerordentlich gewesen sein; vielleicht wird dem Verlag erst jetzt richtig klar, was er sich vorgenommen hat. Ein Jahr lang rührt sich nicht viel. Das Projekt wird in den Perspektivplan geschoben. Kirsch und Törne nutzen die Zeit, sich über die fertigen Texte zu beugen.9 Da auch Perspektivpläne der HV vorzulegen sind, weiß man inzwischen, was die Behörde vom Projekt hält: „vorläufig unbestätigt“ in der Sprache des Amtsschimmels. Man wolle auf der nächsten LAG-Sitzung (Literaturarbeitsgemeinschaft Sowjetliteratur) Ende 1968 darüber diskutieren.10
Neue Bewegung kommt in die Sache, nachdem im Herbst 1968 der Philosophie-Lektor Jürgen Teller (ein Döbelner wie Mierau und Kirsch) kommissarisch ans Ruder des Cheflektors gelangt ist und wenig später, nach Looses abruptem Weggang (Teller: „gewissermaßen wegen höherer Mission“),11 auch „das slawistische Interregnum bei uns so gut es geht zu überbrücken“12 hat. In dieser Situation beweist Teller Feldherrenqualitäten. Er unterfüttert den steckengebliebenen Husarenstreich stante pede mit einem strategisch-taktischen Konzept, das auf die Strukturen und Gesetze des „Literatursystems“ DDR, seine ideologisch gefassten Denk- und Argumentationsweisen fein und genau Bezug nimmt, sie sich pragmatisch zu eigen macht, stellt es launig in die Tradition antiker Heereskunst:

Lieber Fritz, so haben wir ohne Dich getagt: Der Kirsch, die Leunerin, der Loose und ich […] Es war, als hätten wir die schiefe Schlachtordnung ohne Epaminondas erfunden.
Das ist dabei herausgekommen:
1. Umrisse einer Konzeption, die Herausgeber (!) und Verlag fürs Ministerium machen sollen. U.E. nach folgenden Aspekten: a) Mandelstams Werk muß als bedeutende Leistung in der Geschichte der frühen sowjetischen revolutionären Lyrik (ohne Bescheidenheit, aber auch ohne Übertreibung) charakterisiert werden. Wichtiger wäre sein Platz in der Sowjetliteratur als in der „Moderne des 20. Jh.“. Wo ist seine dichterische differentia specifica gegenüber anderen sowjetischen Poeten, was ist das Gemeinsame (wobei ruhig die Reihe der anerkannten Größen etwas weit gefaßt werden kann), worin besteht sein poetisches Engagement, worin sein Realismus, seine unverbrauchte Naturhaftigkeit, was ist mit früheren (oder evtl. noch lebenden) Vorbehalten gegen seine Dichtung (angebliche Esoterik, Unübersetzbarkeit etc.) usw. usw.? b) Mandelstams Vita sollte in Form einer unausgesprochenen, aber de facto wohl bereits entschiedenen Rehabilitierung seiner Person kurz vorgestellt werden. Dafür v.a. sowjetische Stimmen anführen (neuere Einzeleditionen in der SU, Artikel über ihn usw.) Wobei z.B. seine für die Sowjetmacht zu buchenden Äußerungen poetischer oder autobiographischer Art zwischen den Verhaftungen genannt zu werden verdienen
[…] c) Die instantia crucis: die angeblich allein zur Verfügung stehende „amerikanische Ausgabe“ sollte aus dem Weg geräumt werden. Läßt es sich belegen, daß fast alle unsere Texte auf autorisierten sowjetischen Publikationen fundiert sind? Wie ist die allgemeine Situation der Mandelstam-Editionen in der SU, bei uns und natürlich auch im Westen? Könnte man in diesem Zusammenhang nicht etwa sagen, daß wir eine solche Potenz keineswegs dem Gegner zu überlassen bereit sind? d) Schließlich eine kurze Charakteristik der geplanten Reclam-Ausgabe: Sie soll, ohne den bis jetzt noch nicht zu erfüllenden Anspruch auf Repräsentation, charakteristische und u.E. besonders gute Gedichte aus M.s Schaffen in drei Jahrzehnten (Unterschied zur Fischer-Ausgabe der Celan-Übersetzungen!) in einer kleineren Auswahl mit knappem informativem Kommentar vorstellen. Etwa 15 Gedichte in Celan-Übertragungen, weitere 35 Gedichte von DDR-Lyrikern (Kirsch, E. Erb, Leising u.a.), wobei nicht näher auf die einzelnen Anteile eingegangen werden sollte.
Das, lieber Fritz, hätten wir gerne von Dir (natürlich nicht umsonst), und zwar morgen oder übermorgen – jedenfalls bitte ganz schnell!
13

Die Finte: Nicht als einen Solitär der weltliterarischen Moderne will man Mandelstam einführen und „begründen“, sondern auf das Referenzsystem Sowjetliteratur beziehen, randständig zugehörig, anschlussfähig. Zugleich erkennt Teller die neuralgischen Punkte des Projekts und mixt routiniert die nötigen argumentativen Gegenmittel. Das angestrebte Doppelgutachten – eins von ,innen‘, aus dem Apparat: Edel Mirowa-Florin, Institutschefin an der HUB und Frau des stellvertretenden Außenministers, eins von ,außen‘ Adolf Endler, „Freigeist“, beide vereint in der guten Sache – ist dagegen schon bewährtes Patentrezept. „Kein Kunststück war zu riskant, um ein als wichtig erkanntes Buch durchzubringen“, wird Mierau später zur Taktik des Büchermachens feststellen. Jedoch ein gefährliches Spiel:

Zur Herrschaft gelangt, konnte ungebremstes Kalkül leicht die für die geistige Spannkraft beim Büchermachen unerläßliche Unbefangenheit abtöten […] Die Groteske dieser ganzen Durchbringerei wird noch zu schreiben sein.14

Jedenfalls fand Mierau in Teller seinen Meister im ,Durchbringen‘, der mit der Reclam-Mannschaft den Rücken freihielt und qualvolles Taktieren, Paktieren, Antichambrieren abnahm – welches nun erst richtig begann.
„Es geht – mit Hamlet – um Sein oder Nichtsein unserer, d.h. der einzigen DDR-Mandelstam-Ausgabe“, mahnt Teller Törne, der immer noch Skrupel sät. Zunächst einmal sucht man die Auswahl zu erweitern und Kirsch andere Nachdichter an die Seite zu stellen. Wohl nicht nur ein taktisches Manöver, um den Celan-Anteil zu senken: Man will auch Kirschs übersetzerischem Konzept diesmal nicht bedingungslos folgen und die Kluft zwischen ihm und Celan durch andere Schreibweisen gemildert sehen. Aber Elke Erb, Leising, Mickel, Endler, Jentzsch, Sarah Kirsch sehen sich als Notnagel überfordert, winken ab; Reclam-Lektor Hubert Witt und der Dichter Uwe Grüning springen ein. „Von Törne nicht nervös machen lassen“, ist Mieraus erstes Gebot, mit dem er Looses Nachfolgerin Marga Leuner im Mai 1969 begrüßt. Die begreift schnell und versichert Törne, Kirsch habe von Nadeschda Mandelstam die Bestätigung, dass die Texte der amerikanischen Ausgabe exakt seien, was wohl geflunkert ist. Zugleich überlässt man ihm den Kontakt zur Leningrader Redaktion, um auf Freigabe der Texte zu drängen.
Die HV gibt sich nach wie vor abweisend. Gleichzeitig aber scheint nun auch der Verlag Volk und Welt sein ,Recht der ersten Nacht‘ auf Mandelstam zu reklamieren. Leuner alarmiert Mierau im Ostseeurlaub:

Wir müssen wieder einmal und nun endgültig mit den stichhaltigsten Argumenten unsere Mandelstam-Ausgabe verteidigen (das verlangen Frau Thieß und Herr Kossuth erneut) und vor allem den Verdacht (der ja wohl nicht unbegründet ist) entkräften, daß wir auf der amerikanischen Ausgabe fußen!15

Es bleibt nur, die Flucht nach vorn zu forcieren; angestrebter Einreichungstermin ist nun der 1. Oktober 1969. Man habe doch die sowjetische Ausgabe abwarten wollen, zu viele inhaltliche Fragen seien offen, protestiert Törne. Leuner hält dagegen:

Wir haben leider nur die Wahl, 1970 oder nie damit zu kommen. Das ist die harte Realität, die uns vom Verlag KuFo diktiert worden ist.16

Gutachten werden in Auftrag gegeben; Volk und Welt wird um Abdruckgenehmigung für fünf Gedichte aus Anthologien gebeten. Ein letzter Versuch in Richtung Leningrad: Bitte um Einsichtgabe der „Bürstenabzüge“; man bietet im Gegenzug die Mitherausgeberschaft an.17 Statt dessen erfährt Törne, dass Irina Isakowitsch, bislang noch die kooperativste unter den Redakteuren, entlassen worden sei, mit ihrer Nachfolgerin kein Agreement möglich.18

Und es dräut Ungemach aus noch ganz anderer Richtung: Der S. Fischer Verlag gibt abschlägigen Bescheid zur Lizenzanfrage. Celan habe „wegen eigener Pläne“ seine Zustimmung verwehrt.19 Also Hans Marquardt an Paul Celan:

Wir sind sehr traurig, dass unsere mit viel Liebe und großer Begeisterung gemachte kleine Auswahl von Mandelstam-Gedichten aus Gründen, die wir am wenigsten erwartet haben, im letzten Augenblick in Frage gestellt werden soll […] Gestatten Sie uns am Ende nicht doch die Übernahme folgender 16 Nachdichtungen […].20

Zugleich lässt Marquardt einige periphere Kontakte spielen: Henry Goverts in Vaduz, der Ex-Claasen-Verleger, sagt zu, Celan, den er kenne, um Zustimmung zu bitten; der Kunstsammler und -verleger Robert Altmann, Hamburger Jude, gleichfalls in Liechtenstein, versucht es auch.21 Vergeblich. Leuner im Dezember 1969 an Mierau: Celan habe endgültig abgesagt, weil er an einer Ausgabe für Suhrkamp arbeite und offensichtlich mit dem Vorliegenden nicht mehr zufrieden sei. Man müsse nun also bei Suhrkamp anklopfen. Ob es unter Umständen denkbar sei, auf Celans Übertragungen ganz zu verzichten?22 Unterdessen vorsichtige Anfrage bei Suhrkamp, ob die Übernahme von Celans Mandelstam-Übersetzungen tatsächlich erfolgt sei:

Ist dem so, möchten wir Sie fragen, ob Sie uns dafür die Lizenz geben werden, und wann etwa. Unser Bändchen war an sich fix und fertig, die Hälfte der Übersetzungen stammen von hiesigen Nachdichtern, aber Celan hat nun mal den Maßstab gesetzt.23

Anfang 1970 verhaltener Optimismus bei Leuner:

Unser Mandelstam scheint nun doch zu werden, Celan hat seine überarbeiteten Texte an Suhrkamp gegeben, und Suhrkamp verspricht, sie uns gleich bei Erscheinen zu überlassen […].24

Am 20. April 1970 nimmt sich Paul Celan in Paris das Leben. In New York erscheinen Nadeschda Mandelstams Memoiren Das Jahrhundert der Wölfe; 1971 bei S. Fischer auf Deutsch. Der Hufeisenfinder wird – wie auch die sowjetische Ausgabe – auf Eis gelegt.25
Große Pause. Zwei Jahre später werden die Scherben aufgesammelt. Mierau hat die Idee für eine Opfergabe. Am 17. Oktober 1972 wird er Teller vorschlagen, das Nachwort des Kulturbürokraten Alexander Dymschitz zur sowjetischen Ausgabe (das ursprünglich die Mandelstam-Vertraute Lydia Ginsburg hatte schreiben sollen), ein ausuferndes ideologisches Machwerk, das ohnehin in einem Akademie-Sammelband auf Deutsch erscheinen wird, auch für Hufeisenfinder zu verwenden. Marquardt an Dymschitz:

Wir würden es als eine große Ehre für unseren Verlag und als Krönung unseres Editionsbemühens um Mandelstam betrachten, wenn Sie Ihr Nachwort für unser Taschenbuch zur Verfügung stellten.26

Dymschitz stimmt erfreut zu. In dessen Auftrag bittet Marquardt den Verlag Sowjetski pisatel gleich noch einmal offiziell um Bereitstellung der Korrekturfahnen, bekommt nicht einmal Antwort. Unterdessen geht die Ausgabe dort tatsächlich in Druck. Ende Dezember 1972, ,zwischen den Jahren‘, Anruf der HV (Koll. Hoffmann) beim Verlagsleiter: Mandelstam, mal ehrlich! Von der fragwürdigen Esoterik dieses Dichters ganz abgesehen, sei doch die Erstpublikation für Volk und Welt optiert? Marquardt bewahrt die Ruhe: In einem Messegespräch im Frühjahr 1969 haben Volk und Welt-Chef Gruner und er vereinbart, „daß Mandelstam zuerst bei Reclam kommt“, so wurde es am 11.3.1969 zu Protokoll gegeben.27
Natürlich denkt man in Leipzig nicht daran, 50 Seiten Dymschitz zu drucken. Mierau an Marga Erb (vormals Leuner):

Hier mal bitte Dymschitz […] Ich habe schon ganz gut gekürzt. Ich glaube, es geht jetzt so. Freilich müssen wirs noch autorisieren lassen.28

Erb widerspricht:

Der Dymschitz enttäuscht mich doch einigermaßen. Das wirkt so recht stückhaft, vor allem machen die diversen Anspielungen auf ,persönliche Schwierigkeiten‘ […] und die zugleich behauptete Bruchlosigkeit in der Aneignung dieses speziell der sozialistischen Dichtung ,unzweifelhaft verbundenen‘ Erbes einen nicht sehr überzeugenden Eindruck, ja, man fühlt sich nach der Lektüre irgendwie betrogen […] Ich glaube, Sie müssten schon noch was dazu schreiben.29

Mierau lässt sich nicht lange bitten und besinnt sich der im Babel-Band erprobten Collage-Techniken. Dem schmalen Auszug aus Dymschitz fügt er ein Stück Ginsburg (die verhinderte Nachwort-Autorin der Russen) bei sowie Fragmente aus Mandelstams Prosaarbeiten zu Dante, Darwin, Lamarck, Linné und Alexander Blok, worin sich das poetische Ich des Dichters anregend spiegelt. Dazu ein äußerst knapp gehaltener Vorspruch, der auch das heikle Biografische geschickt anreißt, verheißt, sich mit Deutung zurückhält. Die Lektorin ist begeistert:

Lieber Fritz Mierau, das ist eine sensationelle Lösung […] Nun wird das Ganze doch noch ein Buch, das man ohne das schlechte Gewissen des halbgetanzten Schritts bringen kann. Ich bin so froh, denn Mandelstam ist eine so große Hoffnung auf menschlichen Ausdruck in dunklen Zeiten, grad auch jetzt.30

Der Cheflektor zeigte sich weniger zufrieden. Die Montage sei konfus und missverständlich, lässt Teller die Lektorin wissen, es fehle das verknüpfende Band, das Element einer biografisch-historischen Skizze „plus taktvoll-taktischem Bezug auf uns […] Wenn Fritz Mierau letzteres bewußt zu umgehen trachtet, bitte ich ihn zu überlegen, ob dieses derart betonte Weglassen, Drumherumreden nicht genau das Gegenteil der Absicht bewirkt, die politische Delikatesse des ,Falles Mandelstam‘ durch die Hintertür hereinließe […] Man würde uns eventuell vorwerfen, wir zögen uns unkritisch und distanzlos hinter Ossip Mandelstam zurück.“31 Teller sucht die ,Schlachtordnung‘ noch einmal wiederherzustellen, dabei scheint der siegreiche Friede so nah.
Jedoch zögert Suhrkamp immer noch, die versprochene Celan-Lizenz herauszugeben.
Nicht verwunderlich, wenn man weiß, dass der Verlag die Rechte gar nicht besaß – reines Wunschdenken von Seiten Unselds, wie sich herausstellen wird. Das zuzugeben, ziert er sich lange.

Die Lage der Mandelstam-Übersetzungsrechte ist sehr kompliziert. Sie liegen nicht mehr bei Fischer, noch nicht eindeutig bei uns, und mit Frau C. ist etwas schwierig zu verhandeln. Ich werde mich jedoch darum kümmern!32

Darüber vergeht ein weiteres Jahr. Am 18. Juni 1974 mahnt Marquardt immer noch:

Auf meine Anfragen v. 14.5. und 5.6. […] haben Sie bisher nicht geantwortet. Bitte schreiben Sie mir klipp und klar, ob Sie die Rechte haben oder nicht haben […] Bitte, schreiben Sie mir sofort!

Im Druckgenehmigungsantrag vom 4. Oktober 1974 schließlich die „Stellungnahme des Verlages zum Objekt“, darin die unnachahmliche Synopse:

In die siebenjährigen Bemühungen um diese Ausgabe fiel die Auseinandersetzung mit den in der BRD erschienenen Memoiren der Witwe des Dichters, die mit der Herausgabe der Gedichte in der Sowjetunion abgeschlossen wurde.33

Absurder Text für einen, der den Vorgang nicht studiert hat und mit den Diskursen der Zeit unvertraut ist.
Annähernd zehn Jahre hat es gebraucht, bis dieses Buch erschien.
Der Coup, den Russen zuvorzukommen, war zum Scheitern verurteilt – und das wohl zu verschmerzen. Reclam hat die Originale brav nach der Biblioteka poeta korrigiert. Dummerweise wurde dem kundigen Philologen hierdurch umso augenfälliger, dass nach der amerikanischen Ausgabe übersetzt worden war. Dass auch Celan nach Struve übersetzt hat, versteht sich, scheint in der Aufregung jedoch untergegangen zu sein. Eine kuriose Konfusion ergab sich bei der „Griffel-Ode“: russischer und deutscher Text folgten unterschiedlichen Fassungen des Autors, der celansche um eine Strophe länger, wodurch auf der Gegenseite eine seltsame Lücke klafft, was den verwunderten Brief eines aufmerksamen Lesers zur Folge hatte. Außerdem enthält der Hufeisenfinder am Ende als Konterbande doch vier Gedichte, die in der Leningrader Ausgabe fehlen: zwei („Diese Nacht: nicht gutzumachen“, „Die Priester und inmitten er“) aus Celans Auslese, zwei („Nicht als mehliger Schmetterling“, „Leicht wärs heut“, „Abziehbilder abzulösen“) aus der umfänglichen Tifliser Auswahl von Georgi Margwelaschwili in Literaturnaja Grusija (1967), mit der er der offiziellen noch klammheimlich zuvorgekommen war. Die „Abziehbilder“ hatte Margwelaschwili, vermutlich ähnlichen Konflikten ausgesetzt wie die Leipziger, als Komplettzitat in sein Nachwort geschmuggelt.
Der Hufeisenfinder hatte enorme Wirkung, nicht zuletzt auf Autoren: Genannt seien Durs Grünbein, Wulf Kirsten, Richard Pietraß. Mandelstam war in seine Rechte als großer Moderner der Weltliteratur eingesetzt; Epaminondas hatte seine Schuldigkeit getan. Dies immerhin zehn Jahre, bevor Ralph Dutli bei Ammann seine große Werkausgabe eröffnete. Bis 1989 sind in fünf Auflagen 130.000 (5. Auflage: 40.000) Exemplare gedruckt worden, davon gingen 50.000 in die UdSSR – wo der Biblioteka poeta nur eine 15.000-er Auflage zugestanden war.
Ende gut, alles gut? Ein inverses kleines Satyrspiel, die Rückseite, vulgo: den Klappentext des Hufeisenfinders betreffend. Marga Erb teilte Mierau am 4. März 1975 mit:

Meine drei Mandelstam-Rückseitentexte wurden also endgültig abgelehnt – Pradel entschied sich nach Dymschitz-Lektüre nun für einen Stanzen-Ausschnitt, den im Sternenflug, ich konnte grad noch verhindern, daß die alte Fassung genommen wurde […].34

Was hatte es damit auf sich?
„Die Stanzen“ (1935) sind ein Schlüsseltext in Mandelstams spätem Schaffen. Hier ist ein existenzieller Zwiespalt (dazugehören wollen, nicht dazugehören können) als innerer Dialog ins Bild gesetzt, Hin- und Hergerissensein bis zur Schizophrenie. Die Erstveröffentlichung in einem Almanach (Den poesii, 1962) war in perfider Kürzung erfolgt: drei von sieben Strophen gestrichen, nämlich immer genau die, die der Zugehörigkeit Grenzen setzen – was den Tiger mit einem sauberen Schnitt zum Bettvorleger plättete. Eine krasse Fälschung, die seinerzeit – vermutlich ahnungslos – in den Sternenflug übernommen wurde. Für Hufeisenfinder hatte Kirsch natürlich die komplette Fassung erstellt. Auf einmal aber stand auf der Rückseite – die gekürzte alte zu lesen, in hierfür gerade passender Länge. Eine wirklich perfekte „Zurücknahme“ des Textes, so wie der junge Mierau den Begriff einmal verstanden haben wollte. Scheinbar grundlos – die Druckgenehmigung war erteilt, die Rückseite das Einzige am Buch, was der Verlag allein verantwortete. Warum also? Aus Skrupel, Furcht vor der eignen Courage, Schwierigkeiten mit dem fertigen Buch entgegensehend? Nach dem Buch war vor dem Buch, Lavieren gehörte zum Alltagsgeschäft. Rainer Kirsch schrieb einen empörten Brief an den Herausgeber:

Dies sind wirklich liebe Prinzipien; ich bin sehr sauer und verstehe gar nichts […] In großem Unmut Dein R.35

Ab der 2. Auflage (1978) sind die kupierten Stanzen auf dem Umschlag durch ein anderes Gedicht ersetzt.
Ein bezeichnender, geradezu symbolhafter Vorgang, und doch: Nichts ließ sich wirklich zurücknehmen. Vielleicht hat der Unterschied zwischen dem korrekten Text im Buch und der Fälschung auf der Rückseite, worin ,das System‘ sich zu erkennen gab, den mündigen Leser sogar schlauer gemacht. Ob er Meno Rohde in seinem Tausendaugenhaus aufgefallen ist?

Wie Uwe Tellkamp sich im Turm die Zeitachse zurechtkrümmt, in die Endzeit der Achtziger reichlich Realien, Ereignisse und atmosphärischen Flitter aus den stalinistischen und poststalinistischen Fünfzigern bis Siebzigern verwoben, sein DDR-Bild flächig amalgamiert und möglicherweise gerade hierdurch zum korrekten „Konsensschmöker“36 (Christoph Dieckmann) gesamtdeutscher Geschichtsbetrachtung mythologisiert hat, könnte einer Rekonstruktion wie der vorliegenden zur Warnung gereichen: vor Missbrauch und falschen Schlüssen.
Ein Disclaimer scheint angebracht: Die aus den drei Büchern, zugehörigen Akten und Vorgängen ausgelesenen, im Kontext erfassten Wirkmechanismen, Entscheidungslogiken, Denkweisen, Sprachgebräuche et cetera geben Aufschluss über den konkreten historischen Moment. Reiterarmee, Jessenin und Hufeisenfinder sind unter diesen Umständen entstanden. Über Mieraus Arbeiten in der UB späterer Zeit, etwa die in den Achtzigern mit Monika Heinker geleisteten: Russen in Berlin, die Jessenin-Biografie, erst recht über jene, die mit Mierau weniger oder gar nichts zu tun haben, Elke Erbs Zwetajewa-Werkstatt zum Beispiel, den Eisenstein-Reader von Bulgakowa/Hochmuth oder die aufwendigen Avantgarde-Anthologien im selben Lektorat, sagt das so gut wie gar nichts aus; hierfür wären analoge Aufschlüsse nötig, die gewiss schon wieder sehr viel andere Ergebnisse lieferten. So weit, so selbstverständlich.
Zugleich aber darf eine Kontinuität behauptet werden, Handschrift, Typologie, die sich in Mieraus Fall gerade darin konstituiert, wie er sich den Bedrängnissen, Zurichtungen, Kampagnen der Zeit in zunehmender Konsequenz zu entheben wusste und, dergestalt unverfügbar, zu sich fand. Das hatte viel mit der Wahl des „Arbeitsorts“37 im höheren Sinne, der generierten Lebenspraxis zu tun, einem für das Land und die Epoche bemerkenswerten Maß an Autarkie. Damit auch, dass er die Regeln der Kommunikation selbst bestimmte. Bis zuletzt bestand er beispielsweise darauf, kein Telefon zu haben, was nicht Marotte, offenbar aber eine Grundvoraussetzung war. „Warum sind Sie leider nicht telefonisch zu erreichen, arbeiten Sie wenigstens daran? Lassen Sie sich doch vom Nachbar ein Kabel abzweigen, das ist jetzt gang und gäbe“, forderte Elke Erb schon um 1970 auf einem Zettel an Mieraus Tür und wurde nicht erhört.38 Dass dieser Mitarbeiter nicht so schnell und so leicht an den Tisch zu zitieren war, daran musste ein Verlagsdirektor sich erst gewöhnen. Dass er die ihn betreffenden Pläne selber machte, dass er sie kurzfristig änderte, erst recht. Hierfür Akzeptanz zu gewinnen, bedurfte es jedoch nicht der Aura des exzentrischen Genies; Produktivität war hinreichend, geistige Autonomie und außerdem jene Spur „karnevalesker Hedonismus“,39 von dem angesteckt und gegen zeittypische Erreger spontanimmunisiert zu werden wohltat.
Mit wem er spielte, der durfte sich ernst genommen fühlen. Mieraus Postkarten-Impulse, wie sie in unregelmäßigen Abständen im Lektorat eintrudelten, in Druckphasen mitunter im Dreitagetakt, vorzugsweise mit delphischer Motivik, wären eine eigene Aufbereitung wert. Verschneites georgisches Bergdorf: „Liebe Frau Heinker, leider muß ich meine Zusage für ,Buchpremiere‘ und ,Interview‘ definitiv zurücknehmen; ich finde das so unproduktiv in seiner Inflation, daß ich mich ernsthaft nicht damit befassen kann.“ – Gruß aus der Pionierrepublik Wilhelm Pieck: „Sind eigentlich aus Prag die Briefkopien eingetroffen?“ – Eselstation auf der Wartburg: „Wann erfolgt Klebeumbruch? Sollte ich den sehen?“ – Schwanenporzellan für den Grafen Brühl: „Lieber Herr Marquardt, das wäre mir eigentlich doch nicht lieb […] Vielleicht reden wir im Januar noch mal drüber.40

Andreas Tretner, aus Ingrid Sonntag (Hrsg.): An den Grenzen des Möglichen. Reclam Leipzig 1945–1991, Ch. Links Verlag, November 2016

Ossip Mandelstam

Nachdem 1973 in der Sowjetunion eine erste Werkauswahl des russisch-jüdischen Dichters Ossip Emiljewitsch Mandelstam (1891–1938) erscheinen konnte, legt nun der Verlag Philipp Reclam jun., Leipzig, unter dem Titel Hufeisenfinder eine zweisprachige Edition vor, welche die bisher umfangreichste Mandelstam-Auslese in deutscher Uebersetzung enthält. Der von Fritz Mierau betreute Band bringt – in Nachdichtungen von Paul Celan, Rainer Kirsch, Hubert Witt, Uwe Grüning und Roland Erb – Texte aus den Sammlungen Der Stein (1908–1915) und Tristia (1916–1920), Gedichte aus den Jahren 1921–1925 und 1930–1937 sowie „Verstreute Gedichte“ und Kinderverse. Die Textauswahl bestätigt die „revolutionäre Klassizität“ O.E. Mandelstams, lässt aber andere, wesentliche Aspekte seines komplexen poetischen Werks ausser acht (so die existenzphilosophische Lyrik, aber auch die zahlreichen autobiographisch und antistalinistisch angelegten Versdichtungen). – Der Werkauswahl sind Fritz Mieraus knappe „Auskünfte und Ansichten zur Poesie Ossip Mandelstams“ beigegeben, dazu mehrere „Auszüge aus Aufsätzen von und über Mandelstam“; von Mandelstam selbst stammen die fragmentarischen Beiträge über Lamarck und Linné, über Darwins literarischen Stil, über Dante und Blok. Zum Verständnis der Mandelstamschen Dichtung tragen die „Auszüge“ von Lydia Ginsburg Bedeutsames bei. Die „Bibliographischen Hinweise“ des Herausgebers sind insofern bemerkenswert, als sie nicht nur die sowjetische Mandelstam-Forschung berücksichtigen, sondern auch – in repräsentativem Umfang – Arbeiten bürgerlicher Autoren sowie (besonders staunenswert!) die im Moskauer Samizdat erschienenen Memoiren der Witwe Ossip Mandelstams (Das Jahrhundert der Wölfe). Erwähnt sei auch die Tatsache, dass für den Umschlag der wohlfeilen DDR-Ausgabe Wassilij Kandinskijs ungegenständliche „Improvisation 30“ von 1913, dem Erscheinungsjahr von Mandelstams lyrischem Erstling Stein, Verwendung gefunden hat. – Fast gleichzeitig mit Mieraus Hufeisenfinder ist in Paris (Editions Gallimard) eine grossangelegte Mandelstam-Auswahl in französischer Sprache erschienen; die Publikation, editorisch und übersetzerisch von François Kérel betreut, umfasst rund 350 Seiten: Tristia et autres poémes.

fin, Die Tat, 31.12.1975

Reichtum einer poetischen Welt

− Hufeisenfinder — Gedichte von Mandelstam bei Reclam. −

Alexander Block 1880 geboren, Anna Achmatowa 1889, Boris Pasternak 1890, Ossip Mandelstam 1891, Wladimir Majakowski 1893, Sergej Jessenin 1895. Symbolismus und Futurismus und Akmeismus (eine Strömung, die in etwa neoklassizistisch genannt werden kann) und Imaginismus. Poetenberühmtheit oder zumindest aufsehenerregendes literarisches Debüt in der vorrevolutionären Zeit, und dann die Zeitenwende der Oktoberrevolution. Eine große Epoche der russischen Lyrik.
Aber während wir Majakowski fast ganz und die anderen zumindest in Auswahl des Wesentlichsten in deutschen Übersetzungen kennen, begegnete uns Ossip Mandelstam bisher nur mit wenigen einzelnen Gedichten in Anthologien. Mehr vertraut wird er uns jetzt erst durch eine zweisprachige Ausgabe von Gedichten, die unter dem Titel Hufeisenfinder in Reclams Universal-Bibhothek erschienen ist, herausgegeben von Fritz Mierau, mit Nachdichtungen von Paul Celan, Rainer Kirsch, Hubert Witt, Uwe Grüning und Roland Erb und mit einem Anhang, in dem Auszüge aus Aufsätzen von und über Mandelstam enthalten sind.
Ossip Mandelstam — ein großer Dichter: das wird uns hier offenbar. Zum zarten, sensibel-elegischen Ton der frühen Gedichte, die dennoch nicht ins bloße Gefühl entfließen, sondern sehr konkrete lyrische Bilder enthalten, tritt bald ein hellenistisch-klassisches Verständnis der Poesie und drängt ihn zu festeren Fügungen. Dringlicher und fordernder tritt dann in den Jahren der Revolution die Wirklichkeit heran und ins Gedicht hinein: „Meine Zeit, mein Raubtier, deinem / Aug — hält ihm ein Auge stand?“ Das Auge Mandelstams hält stand. Er bekennt sich zur Revolution, er beschwört immer wieder mit Stolz die revolutionären Traditionen des russischen Volkes. Noch härter und fester wird die präzise Metaphorik seiner Verse, wirklichkeitsgesättigter. Aus psychischen Krisen, Jahren des dichterischen Verstummens rafft er sich zu neuen Anfängen auf. Welch heitere Schönheit etwa in der poetischen Summierung einer Armenien-Reise! Und noch in den für ihn schweren dreißiger Jahren, wenige Jahre vor seinem tragischen Ende 1938, hält er an seiner so schwer eroberten Lebensbejahung fest und an seinem revolutionären Bekenntnis:

Ich will nicht unter Jünglingen im Treibhaus
Den letzten Seelengroschen wechseln. Meinen Hut
Nehme ich, und wie der Bauer in den Kolchos
Geh ich zur Welt und siehe, der Mensch ist gut.

Der Reichtum von Mandelstams poetischer Welt kann hier nur skizziert werden. Ein Eindruck entsteht! Vielleicht war dieser Dichter von seinem Wesen her gar nicht gemacht für eine solche Zeit wie die, in der er lebte. Aber aus dieser Zeit heraus gewann er jedenfalls die großen poetischen Imaginationen, in denen es ein Dichter erfahrener Wirklichkeit und hohen Geschichtsbewußtseins und also auch ein Dichter der Revolution wurde.

H. U., Neue Zeit, 2.2.1976

Ossip Mandelstam-Rezeption in der DDR

Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit dem Chefredaktor von Sinn und Form, Wilhelm Girnus, dem ich meine Verblüffung ausdrückte, dass der russische Poet Ossip Mandelstam in Sinn und Form plötzlich mit Gedichten auftauche, als ob das völlig normal wäre. Diese „Selbstverständlichkeit“ musste doch eigentlich erst einmal historisch erklärt werden, meinte ich zu Girnus. Man halte es nicht für fruchtbar, in diesen Dingen der Vergangenheit herumzuwühlen, entgegnete Girnus, der sich in letzter Zeit literarisch äusserst anregend hervorgetan hat.
Nachdem Sinn und Form vor gut zwei Jahren neben Mandelstam-Gedichten auch eine kommentierte Würdigung des inzwischen verstorbenen Alexander Dymschiz abdruckte, war Mandelstam in der DDR wieder persona grata. Dessen wenn man so will vollständige Rehabilitierung vollzieht sich jetzt in der DDR durch eine im Leipziger Reclam Verlag erschienene ganz erstaunliche Edition: Hufeisenfinder, Gedichte russisch und deutsch, herausgegeben von Fritz Mierau.
Zum ersten Mal kann nun auch der DDR-Leser einen 270 Seiten starken Lyrikband eines Autors erstehen, der, fast 40 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod in Sibirien, noch immer als der vielleicht grösste russische Poet des 20. Jahrhunderts gilt. Der Herausgeber, ein fundierter Tretjakow-Kenner, kommt auch, vorsichtig zwar, auf das Ende Mandelstams zu sprechen – bislang ein fast gralsgehütetes Tabu spezialistischer Gesellschaften.
Mierau:

Ist es geschichtlich gerechtfertigt, angesichts der beiden Verhaftungen Mandelstams (1934, 1938), seiner Aussiedlung nach Woroneshj (1934–1937) und Kalinin (1937–1938), angesichts seines Selbstmordversuchs in Tscherdyn, seiner Anfälle von Geistesverwirrung und seines Todes in Wladiwostok diesen unerhörten Abschied für voll zu nehmen?

Warum Mandelstam verhaftet wurde, unter welchen Umständen er starb, darüber wird sich ein DDR-Leser vermutlich erst in zwanzig Jahren informieren können in der DDR, es sei denn er hat die Gelegenheit, zu Nadeschda Mandelstams 1971 bei S. Fischer erschienener Autobiographie Das Jahrhundert der Wölfe zu greifen, um über die stalinistischen Verbrechen nachzulesen. Mandelstams Witwe gibt in ihrem Buch (das Mierau in seiner Bibliographie erwähnt) das Todesdatum ihres Mannes mit dem 27. Dezember 1938 an. Alter: 47 Jahre. Todesursache: Herzversagen. So lapidar jedenfalls stand es im amtlichen Totenschein. Die vermutliche Realität: Mandelstam ist verhungert.

Den Rotarmisten-Faltenmantel lieb ich
Bis zu den Fersen lang, mit glattem Arm
Der schweren Wolgawolke nachgeschnitten.

Mandelstams Bekenntnis zur Revolution. – Ein „Rom“ betiteltes Gedicht klingt so aus:

Neu des Forum Gruben stehn offen
Dem Herodes ist offen das Tor
Und der Missgeburt, des Diktators
Kinn hängt schwer über Rom.

Geschrieben im März 1937. Im Anhang beeilt sich Alexander Dymschiz zu beteuern, dass hier Mussolini und der italienische Faschismus gemeint seien. Aber warum eigentlich an Väterchen Stalin denken?
Die von Mierau versammelten Gedichte umfassen den Zeitraum von 1908 bis 1937. Die frühen Gedichte sind vor allem den mehrmals aufgelegten Sammlungen aus Der Stein entnommen, wobei Mierau eine vor drei Jahren in Leningrad erschienene Mandelstam-Ausgabe zugrunde legte. Die Uebersetzungen stammen von Paul Celan (deren Rechte bei S. Fischer liegen), Rainer Kirsch, Hubert Witt, Uwe Grüning und Roland Erb. Der Vertrieb des bei Reclam Leipzig herausgekommenen Mandelstam-Bandes ist zwar in der BRD, in West-Berlin und im nichtsozialistischen Ausland nicht gestattet, wie es gewissenhaft im Impressum heisst, dennoch liegen die Hufeisenfinder in einer Westberliner SED-nahen Buchhandlung für drei Mark aus. (Exportpreis nennt man das, ursprünglich kostet das Bändchen zwei Mark.) Das letzte in Mandelstams Hufeisenfinder abgedruckte Gedicht trägt das Datum 4. Mai 1937. Die letzten fünf Zeilen lauten in Rainer Kirschs Uebersetzung:

Heute sind sie Engel, morgen Wurm im Grabe
Und übermorgen nur ein Umriss, lächelnd.
Was war – der Gang – wird unzugänglich.
Blüten sind unsterblich. Der Himmel ist untrennlich.
Und das, was kommt, ist nichts als ein Versprechen.

A.W. Mytze, die Tat 13.2.1967

Ossip Mandelstam

Nachfolger der russischen Symbolisten, begann Mandelstam in dem Moment, da der Zerfall des Symbolismus unübersehbar war, und Alexander Blok, eben noch sein Wortführer, schon andere Antworten auf die bohrenden Fragen der Zeit gab. Die Gedichte in Mandelstams erstem Buch Der Stein (1913) sind schon frei von „Jenseitigkeit“, frei von der positiven Ideologie und Philosophie des Symbolismus.
1912 schloß sich Mandelstam den Akmeisten an. Diese einander so unähnlichen Schüler der Symbolisten einte die Sehnsucht, zum irdischen Springquell der poetischen Werte, zur Darstellung der dreidimensionalen Welt zurückzukehren. Dreidimensionalität verstanden die Dichter des Akmeismus auf je besondere Art. Die Neoromantik und Exotik Nikolai Gumiljows ist grundverschieden von der dinglich-alltäglichen Welt der frühen Anna Achmatowa. Und Mandelstam beschäftigt die Dreidimensionalität in den unterschiedlichen Bedeutungen des Wortes, auch buchstäblich – als architektonische Proportion samt Material.
(…)
„Gotische Dynamik“ sieht Mandelstam nicht als Streben nach Unendlichkeit (in der romantischen Auffassung der Gotik), sondern; als Sieg der Konstruktion über das Material, als Verwandlung des Steins in die Spitze und in die Nadel. Das Architektonische in Mandelstams frühen Gedichten ist in weiterem Sinne zu verstehen. Er begriff die Wirklichkeit überhaupt architektonisch, als gearbeitete Strukturen, und zwar die Alltagsvorgänge ebenso wie die Kultur im Großen. Auf diesen entscheidenden Zug seines Werks hat Viktor Shirmunski 1916 als erster in seinem Aufsatz „Die Überwinder des Symbolismus“ aufmerksam gemacht. Mandelstam sei inspiriert von der „Verarbeitung… des Lebens in den kulturellen und künstlerischen Werken, die er vorfindet“, bemerkt Shirmunski und untersucht einige dieser „synthetischen Verarbeitungen“ in Mandelstams Poesie: das siechende Venedig, das Elementar-Musikalische der deutschen Romantik, die Kathedralen des Kreml, Homer u.a, (V. Shirmunski, Voprosy teorii literatury, Leningrad 1928, S. 328–330). In einer dichten Atmosphäre der Stilisierung (die immer unhistorisch ist) stieß Mandelstam auf diesem Weg vor zu einem historischen Verständnis der Kulturen und Stile.
Die Persönlichkeit des Dichters stand nicht im Mittelpunkt der poetischen Welt des frühen Mandelstam. Später, im „Rauschen der Zeit“, schrieb er:

Ich will nicht von mir selber sprechen, sondern einem Zeitalter nachspüren, dem Rauschen und Hervorbrechen der Zeit. Mein Gedächtnis ist allem Persönlichen feind.

Doch muß man annehmen, daß Mandelstam, als er im Buch Der Stein die Welt der gegenständlich verkörperten Kulturphänomene schuf, nicht daran zweifelte, lyrische Poesie zu schreiben.
(…)
Der frühe Mandelstam bevorzugt unter den historischen und künstlerischen Kulturen eindeutig die synthetische hellenisch-römische Kultur. Mandelstam rezipiert sie über die russische Überlieferung – den russischen Klassizismus des 18. Jahrhunderts, über Batjuschkow, Puschkin und die russische Baukunst. (…) Diese Konzeption entstand wahrscheinlich unter dem Einfluß der Ideen Dostojewskis von der Universalität, der Allmenschlichkeit als einer Eigenschaft, des russischen Nationalbewußtseins. Aber Mandelstam verlegt das Problem auf die Ebene der Sprache, die fundamentale für den Dichter.
In seinem Aufsatz „Über die Natur des Wortes“ (1922) schrieb Mandelstam: „Die russische Sprache ist hellenistisch. Auf Grund verschiedener geschichtlicher Umstände strebten die lebendigen Kräfte, der hellenischen Kunst, den Westen lateinischem Einfluß überlassend, in den Schoß der russischen Sprache und vermachten ihr das Urgeheimnis hellenischer Weitsicht, das Geheimnis der freien Verkörperung, und daher wurde die russische Sprache ein klingender und redender Körper.“ Es geht hier nicht darum, inwieweit die linguistischen Erwägungen Mandelstams dem modernen Forschungsstand entsprechen. Entscheidend ist etwas anderes: Welchen Platz haben sie im System seiner Auffassungen von den historischen Kulturen und Kulturstilen?
In Tristia wie im Stein bedient sich Mandelstam nicht der poetischen Sprache des russischen, Klassizismus des beginnenden 19. Jahrhunderts mit ihrer Mythologie und ihren Formeln. Dennoch war er darauf aus, einen eigenen hellenischen „Dialekt“ in der Poesie zu schaffen. Mandelstams poetische Sprache ist synthetisch und weitgreifend; sie umfaßt alles: feierliche Archaismen und die Worte des Alltags, literarische Reminiszenzen und Umgangssprachliches. Es geht also nur um die antike Färbung, um Worte einer bestimmten Dynamik, mit denen Mandelstam den Kontext anzustecken verstand. Die Verwendung solcher einfärbender Worte lernten Mandelstam und seine Zeitgenossen von den Dichtern der Puschkin-Zeit.
(…)
Im Aufsatz „Über die Natur des Wortes“ betont Mandelstam, daß die russische literarische Tradition einen heroischen und einen häuslichen Hellenismus kannte, „Hellenismus, das ist der Kochtopf, die Ofengabel, der Krug Milch, das ist Gerät, Geschirr, die Umgebung des Leibs… Hellenismus, das heißt, der Mensch umgibt sich mit Gerät anstatt mit gleichgültigen Gegenständen, verwandelt die Gegenstände in Gerät, vermenschlicht die ihn umgebende Welt, wärmt sie mit seiner feinen teleologischen Wärme.“
Den „Mann aus Petersburg und von der Krim“ nennt ihn Marina Zwetajewa in ihren Erinnerungen (Literaturnaja Armenija 1966, Nr. 1, S. 59). Leidenschaftlich liebte Mandelstam die Krim, das Meer. Und die Krim wurde für ihn so etwas wie eine eigene Variante der Antike. Der Hellenismus der Tristia ist von Krimmotiven durchzogen, und das gibt ihm die besondere Intimität.

Lydia Ginsburg

Ossip Mandelstam

Poesie ist eine besondere Art künstlerischer Erkenntnis, die Erkenntnis der Dinge in ihren unmittelbaren Ansichten, verallgemeinernd und zugleich individualisierend, damit wissenschaftlich-logischer Erkenntnis unzugänglich. Diese Unwiederholbarkeit, Einzigartigkeit der Konzeption ist für die Poesie der Neuzeit noch verbindlicher als die betonte Individualität des Autors oder des Helden. Daher ist das poetische Wort immer ein Wort, das vom Kontext verwandelt ist (die Formen dieser Verwandlung sind vielfältig), das sich qualitativ von seinen Doppelgängern in der Prosa unterscheidet.
lm Aufsatz „Gespräch über Dante“ spricht Mandelstam häufig von der poetischen Verwandlung der Welt „mit Hilfe von Instrumenten, die im Umgang Bilder heißen“. Mandelstam ist metaphorisch: das ist eine organische Eigenschaft seines Denkens. 1933 kam Mandelstam nach Leningrad. Einige Besucher (unter ihnen ich) kamen bei Anna Andrejewna Achmatowa im „Fontanny-Haus“ zusammen, um das eben niedergeschriebene „Gespräch über Dante“ zu hören. Mandelstam las den Aufsatz, las Gedichte, sprach viel an diesem Abend – über Gedichte, über Malerei. Uns überraschte damals die ungewöhnliche Ähnlichkeit zwischen Aufsatz, Gedicht und Tischgespräch. – Das war die gleiche semantische Struktur, der Andrang großartiger Analogien, Annäherungen. Eigentümlich nah, bis zur Greifbarkeit, empfand man jene metaphorische Materie, aus der die Gedichte entstanden.
In seiner Prosa (was auch auf seine Aufsätze zutrifft) wirken die gleichen semantischen Prinzipien und so paradox es klingt – Mandelstams Prosa ist gelegentlich metaphorischer als seine Gedichte, jedenfalls „Die ägyptische Briefmarke“. Die Metapher ist immer die Vereinigung von Vorstellungen zu einer völlig neuen und unzerlegbaren semantischen Einheit. Für Mandelstams Verkettungen ist das nicht Bedingung. Wichtiger für ihn ist die Veränderung der Bedeutungen, die durch den Aufenthalt der Worte im Kontext des Werks hervorgerufen werden, wo sie auch über größere Entfernung aufeinander wirken, ohne unbedingt syntaktisch verbunden zu sein. Bei dieser Bauweise erhalten die Stützworte, Schlüsselworte besondere Bedeutung. Die Leistung dieser Schlüsselworte lernte Mandelstam am psychologischen und gegenständlichen Symbolismus, Innokenti Annenskis. Die Brechung des Lebens in den poetischen Symbolen ist für Mandelstam annehmbar, unannehmbar ist die Abstraktheit eines „professionellen Symbolismus“. „Die Bilder sind ausgeweidet wie ein Balg“, schrieb Mandelstam 1922 in „über die Natur des Wortes“, „und mit fremdem Inhalt vollgestopft… Das ist das Los eines professionellen Symbolismus… Ein schrecklicher Kontertanz der ,Entsprechungen‘, die einander zunicken. Ein ewiges Zublinzeln… Die Rose nickt dem Mädchen zu, das Mädchen nickt der Rose zu. Niemand will er selber sein… Die russischen … Symbolisten versiegelten alle Worte, alle Bilder und behielten sie sich ausschließlich für liturgische Zwecke vor. Die Lage war äußerst peinlich, man kam nicht vorbei, konnte weder aufstehen noch sich hinsetzen… Das Gerät rebellierte. Der Besen will feiern, der Topf will nicht mehr kochen, sondern fordert absolute Bedeutung (als ob kochen nicht eine absolute Bestimmung wäre).“
In seinem frühen Aufsatz über Villon spricht Mandelstam beifällig davon, daß die mittelalterlichen Allegorien „nicht körperlos“ seien. Der gleiche Gedanke in den „Notizen über Chénier“: „Die sehr weiten Allegorien, keinesfalls körperlos übrigens, wozu auch ,Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit‘ zählen, sind für den Dichter und seine Zeit fast lebendige Personen und Gesprächspartner. Er kennt ihre Züge, er fühlt ihren Atem.“ Mandelstam wollte, daß im Andersreden, in der Analogie die sinnliche Wärme der Dinge erhalten bleibe. Mandelstams Schlüsselworte sind ihrer Natur nach symbolisch. Aber er nahm sie nicht aus den fertigen Vorräten des Symbolismus. Es handelt sich vielmehr um das charakteristische System seiner eigenen poetischen Symbolik. Kein Zufall, daß es sich in den Jahren nach 1910 herausbildete, als die vom Symbolismus aufgezogenen Dichter mit der Philosophie des Symbolismus brachen. In dem Aufsatz „Ein Ausfall“ (1924), der den Symbolismus die „Poesie einer gens“ nennt, betont Mandelstam, daß nach dem Zerfall des Symbolismus „die Herrschaft… der Dichterpersönlichkeit“ begann und „jede Persönlichkeit für sich allein mit entblößtem Kopf dastand“.
In Tristia und in den Gedichten der ersten Hälfte der zwanziger Jahre nehmen Gegenständlichkeit und Sujetfülle, die für „Der Stein“ bezeichnend sind, ab; die Erfahrung des Dichters wird in größerem Maße eine innere Erfahrung. Das ist die Erfahrung eines Menschen, der das Leben in seiner Schönheit und Bedeutsamkeit liebt, der der Schwere des Lebens aber nicht gewachsen ist: sowohl weil das Leben ihm seine strengen Gesetze offenbart, als auch weil er in sich das Prinzip der Schwäche und Verletzlichkeit trägt, das dem Werk entgegensteht, das aber durch das Werk überwunden werden kann.

Lydia Ginsburg

Ossip Mandelstam

Mandelstams Poesie der Jahre 1921 bis 1925 hat den Hellenismus und überhaupt alle Stilhüllen abgeworfen. Der Übergang zur Arbeit der dreißiger Jahre deutet sich an, ein neues Verhältnis des Dichters zur Wirklichkeit entsteht; ein neuer Kreis poetischer Assoziationen.
Wichtig für diesen Übergang sind Gedichte von 1923 und Anfang 1924, in denen ein Thema der Tristia, das Thema der Zeit, aus dem Philosophischen, aus den „ewigen“ lyrischen Themen hinübergeführt wird ins Historische und zum Thema des Jahrhunderts wird: „Das Jahrhundert“, „Hufeisen-Finder“, „Griffel-Ode“, „Der erste Januar 1924“. Müßig, bei Mandelstam ein klar ausgerichtetes politisches Programm zu suchen. Die Oktoberrevolution aber nahm er an, mit Widersprüchen, mit Schwankungen, wie sie anfangs vielen Intellektuellen vorrevolutionärer Herkunft eigen waren. Direkte Äußerungen über die Revolution sind selten in den Gedichten zwischen 1911 und 1925. Häufiger finden wir sie in den Aufsätzen dieser Jahre. Da tritt Mandelstam als ein Mann auf, der die Revolution bejaht. (So schreibt er in den Aufsätzen „Das blutige Mysterium des 9. Januar“ und „Auguste Barbier“ 1922/23 direkt über die russische und französische Volksrevolution.) Es sind nicht die Formulierungen eines Publizisten, Historikers oder Kritikers, sondern die eines Dichters, der sich über Geschichte, Kultur und Gegenwart in seiner Sprache und durchaus widersprüchlich äußert.
Die Sammlung Tristia enthält das unmittelbarste Echo auf die Revolution, das Gedicht „Die Freiheit, die da dämmert…“, dessen Zeitungsvariante 1918 die Überschrift „Hymne“ trug.

Nun, wir versuchen es: Herum das Steuer!
Es knirscht, ihr Linkischen – los, reißts herum!
Die Erde schwimmt. Ihr, Männer, Mut, aufs neue!
Wir pflügen Meere, brechen Meere um.
Und denken, Lethe, noch wenn uns dein Frost durchfährt:
Der Himmel zehn war uns die Erde wert.

Die letzten bei den Zeilen sind der Schlüssel zum Gedicht, in dem sich Entzücken und Furcht verquicken. Hier entwickelt Mandelstam eine der Grundideen der russischen Intellektuellen: selbst wenn die Revolution für die alte russische Intelligenz zur Katastrophe wird, muß diese Katastrophe im Namen einer höheren sozialen Gerechtigkeit angenommen werden. Herzen sagte es in „Vom anderen Ufer“. Blok schrieb 1918 in „Intelligenz und Revolution“: „Was habt ihr denn gedacht? Die Revolution sei eine Idylle? Schöpfung zerstöre nichts auf ihrem Weg? Das Volk ein Musterknabe?“ In Brjussows „Nahenden Hunnen“ findet es sich ebenso wie in Pasternaks „Hoher Krankheit“.
Im Gedicht „Die Freiheit, die da dämmert…“ faßte Mandelstam, worüber vor ihm und neben ihm nachgedacht wurde. Die Konzeption des Gedichts bleibt für ihn sehr lange in Kraft, in den Gedichten „Das Jahrhundert“ oder „Der erste Januar 1924“ und sogar in dem tragischen Gedicht vom Wolfshundjahrhundert.

Reißt es mich hin zu Schmäh- und Lästerworten?
− Der Apfelduft des Frosts, aufs neue er −
O Eid, den ich dem vierten Stand geschworen!
O mein Gelöbnis, tränenschwer!

Die Last der Geschichte ist, schwer:

Die Zeit, Der Kalk im Blut des kranken Sohnes
Wird hart.

Der Kalk im Blut ist wie das trockene Blut der Tristia. Der gleiche Mensch erfährt jetzt den direkten Druck der Geschichte. Doch auch in diesem geschichtlichen Raum will er leben und wechselt von Rückgang und Verlöschen zum Ausbruch elementarer Lebenskraft.

Der Kalk im Blut des kranken Sohns: er schwindet.
Ein Lachen, selig, macht sich los.

Das Jahrhundert wird zum Doppelgänger dieses Menschen, der das Leben fürchtet und ersehnt. Manchmal ist die Grenze zwischen dem Jahrhundert und dem lyrischen Ich dieses Zyklus kaum auszumachen. Vom Sterben der Vergangenheit ist die Rede, vom neunzehnten Jahrhundert und von den „unterlegenen Abkömmlingen des neunzehnten Jahrhunderts, die nach dem Willen des Schicksals auf den neuen geschichtlichen Kontinent verschlagen wurden“, wie Mandelstam es in seinem Aufsatz „Das neunzehnte Jahrhundert“ sagt. Die Rede ist von jenem geistigen neunzehnten Jahrhundert, dem Jahrhundert der Reflexion und des „Relativismus“ („Mein schönes trauriges Jahrhundert“), das im zwanzigsten weiterlebt, im Bewußtsein der Intelligenz, die die Revolution mit Schwankungen annahm. Die Gedichte sprechen davon. Erörtert finden wir den Zusammenhang in seinen Aufsätzen: „Wort und Kultur“, „Der Dachsbau“, „Das neunzehnte Jahrhundert“.
(…)
1931 entstand ein Moskau-Zyklus („Mitternacht in Moskau“, „Noch taug ich nicht zum Patriarchen“, „Genug gemault, Papiere in den Tisch“), der die Themen der Gedichte über Jahrhundert und Zeit von 1923/24 neu aufnahm. Die Dinge bleiben Dinge in dieser Welt, obwohl sie einen neuen, weiteren Sinn, Vieldeutigkeit gewinnen.
Der Zyklus von 1931 versucht das Verhältnis zur Gegenwart neu zu klären. Seine Sprache ist die des Alltags, die eines Zeitgenossen.

Schluß! Kein Gebettel, kein Gejammer, kusch!
Kein Geplärr!
aaaaaaaaaaaHaben deshalb Rasnotschinzen
Die rissigen Stiefel zertreten,
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaadaß ich sie jetzt verrate?

Die Suche nach der Häuslichkeit in den kalten Räumen des Jahrhunderts wird abgelöst vom Schlendern durch die Straßen Moskaus, an den Ufern der Moskwa.

(…)

Ich mag die zwiegeflügelten Tramways
Und den Asphalt, Kaviar aus Astrachan,
Den strohgeflochtne Matten überdecken
Wie Bastgeflecht den Astiwein umringt
Und wie der Baugerüste Straußenfedern
Der Leninhäuser erste Mauersteine.

Ein ständiger Wechsel der Eindrücke und der Reaktionen auf diese Eindrücke. Der Mensch, der durch die Stadt streift, will als Zeitgenosse anerkannt sein und quält sich doch zugleich mit seiner Losgerissenheit. Der eine Pol: „Zeit wird, ihr wißt, auch ich bin Zeitgenosse…“ Der andere:

Doch kehrst du einen Augenblick dich ab,
So findest du Verwirrung nur und öde.
So geh nur, geh! und bitte sie um Feuer!

Das quälende Zickzack zwischen dem Schein eines Kontakts zur Welt und der Sehnsucht nach wirklichem Kontakt. Der eine Pol:

Bedächtest du, was an die Welt dich bindet,
Du glaubtest selbst dir nicht: Gespinste nur!

Der andere:

Wie gern möcht ich mich in ein Spiel vertiefen,
Wie Kinder unbeschwert die Wahrheit reden,
Zum Teufel meine öde Graumut schicken,
Um irgendeinen an der Band zu nehmen
Und ihm zu sagen: Freund, komm geh mit mir.

Der fiebernde Wechsel, Anziehen und Abstoßen, mündet in die Formel:

Und lebend nicht, leb ich mein Leben doch.

Der Zyklus aber schließt mit einem neuen Gelöbnis an den vierten Stand:

Was für ein Sommer! Junger Arbeitsleute
Funkelnde Rücken, die tatarisch braunen…
aaaaaaaaaaaaaaaaa… Sei gegrüßt, gegrüßt,
Mächtige, unbekehrte Vertebrata:
Du wirst uns tragen mehr denn ein Jahrhundert!

(…)
Im Stein steckte das Lyrische in dinglichen und erzählenden Formen. In Tristia verbarg sich das persönliche Thema hinter dem metaphorischen System des hellenischen Stils. Für den späten Mandelstam gibt es keine stilistischen Trennwände mehr zwischen dem Wort des Dichters und seiner menschlichen Erfahrung. Doch auch jetzt wird für Mandelstam das Bild des lyrischen Helden nicht das Bild des Dichters. In den dreißiger Jahren wurde das Problem der lyrischen Persönlichkeit, das Problem des Autorbewußtseins der zeitgenössischen Lyrik entscheidend. Es bewegte viele. Die Position des reifen Mandelstam ist hier prononciert antiromantisch, denn trotz seines Konzepts, Kunst gehöre zu den entscheidenden Werten und Kräften des Lebens, blieb ihm doch die „Auffassung des Lebens als des Dichterlebens“ völlig fremd. Der Mensch, von dem Mandelstam spricht, lebt nach den für alle verbindlichen Gesetzen. Schon im Gedicht „Der erste Januar 1924“ hatte er von sich als dem „normalen Fahrgast“ gesprochen. Im Moskau-Zyklus ist das Thema entfaltet:

Ich bin ein Mensch der Konsum-Konfektion,
Seht, wie der Sakko sich an mir verbeult,
Wie ich zu schreiten weiß, und wie zu reden!
Versucht nur, reißt mich los von dieser Zeit,
Ich garantier, ihr brecht euch nur den Hals.

Der Dichter – ein Mensch in Moskwoschwej-Sakko, einer von allen, der „für alle“ sprechen kann.

Lydia Ginsburg

Mandelstam. Meine Zeit, mein Tier

8
Florenz in Moskau

(Moskau/Koktebel/Petrograd 1916) 

Januar 1916: Der Stein, zweite Ausgabe. Wiederbegegnung mit Marina Zwetajewa in Petrograd. Das Antikriegsgedicht „Tierschau“. Februar bis Juni 1916: die „wunderbaren Tage“. Marinas Geschenk: Moskau. Liebesdialog in Gedichten. Zärtliche Geständnisse und düstere Vorahnungen. Kreml-Kathedralen und „Zeit der Wirren“. Juni 1916: der Bruch in Alexandrow, überstürzte Abreise auf die Krim. 26. Juli 1916: Tod der Mutter. Kaddisch und Wiegenlied, die „schwarze Sonne“ der Schuld. Apologie der Freiheit der christlichen Kunst: der Essay „Puschkin und Skrjabin“. Der Tod des Künstlers als „letzter schöpferischer Akt“, Begegnung mit schönen Frauen: Salomeja Andronikowa und Tinatina Dschordschadse. Liebe, Schlaflosigkeit und Tod: das „Solominka“-Gedicht. Frommes Entsetzen: Mandelstams „erotische Gedichte“ im Spiegel von Kablukows Tagebuch. Ein entscheidendes Jahr: „Zwölf Monate, die von der Todesstunde singen.“ 

Anfang des Jahres 1916 erscheint eine erweiterte zweite Ausgabe von Mandelstams Gedichtband Der Stein im Petrograder Verlag Hyperboräer, den Michail Losinskij betreut, ein den Akmeisten nahestehender Dichter und späterer Dante-Übersetzer.41 Es war diesmal ein Band mit neunundsechzig Gedichten, der stark beachtet wurde. Der den Formalisten nahestehende Literaturwissenschaftler Viktor Schirmunskij schrieb 1916 einen für die Würdigung der Akmeisten fundamentalen Essay mit dem Titel „Die Überwinder des Symbolismus“.42 Nie wieder werden diese Dichter einen so kompetenten und wohlwollenden zeitgenössischen Kritiker finden: Unter dem Sowjetregime werden sie jahrzehntelang verfemt bleiben. Schirmunskij bezeichnete Mandelstams Dichtung mit Friedrich Schlegels Ausdruck als „Poesie der Poesie“ und attestierte „fantastisch unerwartete“ Metaphern. Mandelstams zweiter Stein vereinte Gedichte, die er im Alter zwischen siebzehn und vierundzwanzig Jahren geschrieben hatte. Es war eine glanzvolle Summe der frühen Jahre. Zum Jahresende 1915 reist Marina Zwetajewa nach Petrograd, zu ihrer Freundin Sofija Parnok. Es sind die letzten Tage einer Beziehung, deren Bruch sie als „erste Katastrophe“ ihres Lebens bezeichnete. Die Moskauer Dichterin nimmt am 7. Januar 1916 an einem Leseabend unter Freunden teil, den sie noch 1936 im Pariser Exil beschwören wird, in ihren Erinnerungen an den Dichter Michail Kusmin unter dem Titel „Ein Abend nicht von dieser Welt“. Dort begegnet sie – nach der „Nicht-Begegnung“ im Sommer 1915 – Mandelstam wieder, der von ihrem Temperament und ihrer Poesie sofort beeindruckt ist. Sie trägt ihr flammendes Bekenntnis zu Deutschland vor, dessen Dichter und Märchen ihre Kindheit geprägt haben und dessen Sprache sie so vorzüglich spricht, daß sie im Sommer 1926 mit Rilke einen hochfliegenden Briefwechsel auf deutsch wird führen können. Es brauchte Zwetajewas Kühnheit, um mitten im Weltkrieg auszurufen:

O Deutschland – du mein Wahn!
O Deutschland – meine Liebe!

Auch ein Antikriegsgedicht trug sie vor, das am 3. Oktober 1915 entstanden war:

Ich weiß eine Wahrheit!

Das Gedicht beeindruckt einen der Anwesenden besonders: Mandelstam, der sich selber mit einem Antikriegsgedicht trägt, den mit „Reims und Köln“ gesponnenen Faden wiederaufnehmen will. Wenige Tage danach schließt er seine „Friedens-Ode“ ab, das Gedicht „Tierschau“, das ein brüderliches Europa und den gemeinsamen Ursprung der Kriegsgegner Deutschland und Rußland beschwört:

Und ich: ich sing den Wein der Zeiten –
Italisches, den Sprachen-Schatz –
Und noch im Ursprung diese beiden:
Den Slawen- und Germanenflachs!
(Tristia, S. 13) 

Über das Antikriegsthema müssen die beiden ins Gespräch gekommen sein.43 Es war wie eine Verschwörung: Zwei der besten russischen Dichter des 20. Jahrhunderts, die sich der patriotischen Kriegstreiberei in Versen, wie sie damals durchaus üblich und gefordert war, verweigerten. Später, im Nachruf auf Woloschin, „Lebendiges über einen Lebenden“ (1933), wird Zwetajewa jenen Slawen- und Germanenflachs als Mandelstams „geniale Formel“ bezeichnen. Am 10. Januar 1916 widmet Mandelstam seinen neuen Gedichtband der Kollegin:

Für Marina Zwetajewa – ein Merk-Stein.

Als die junge Dichterin am 20. Januar 1916 nach Moskau zurückfährt (der Bruch mit Sofija Parnok ist vollzogen), reist Mandelstam ihr nach. Am 5. Februar fährt er nach Petrograd zurück, wird jedoch bis April mehrmals wiederkommen – ihretwegen. Er wird Marina immer wieder überraschen mit seinen „Ankünften und Abreisen (Überfällen und Fluchten)“ (Die Geschichte einer Widmung, S. 64). Und bald auch mit Gedichten. Doch sie ist es, die den poetischen Dialog eröffnet.
Kaum ist er erstmals abgereist, schreibt Zwetajewa am 12. Februar 1916 ein – Abschiedsgedicht. Der Anfang ist ein Abschied, der Abschied ist ein Anfang: Sie liebte dieses Paradox. Ihr Gedicht wird nicht müde, Ferne und Fremdheit zwischen beiden zu betonen, eine Distanz, die sie zweimal, in der ersten und in der letzten Strophe, in einem Kuß überwindet. Es ist wohl eines der schönsten Gedichte, die je ein Dichter einem anderen Dichter zugedacht hat.

Keiner hat es je überwunden!
Wie schön sind wir zwei uns – fremd.
Ich küsse dich – über Hunderte
Wersten von dir getrennt.

(…)
So zärtlich und unwiderrufen
Hat dir noch keiner nachgeblickt…
Nimm diesen Kuß – über Hunderte
Trennender Jahre geschickt.
(Die Geschichte einer Widmung, S. 7) 

Insgesamt neun Gedichte wird Marina Zwetajewa bis zum 31. März 1916 ihrem Petersburger Dichterkollegen schenken. Gedichte voller bizarrer und zärtlicher Geständnisse. Am 18. Februar 1916:

Den zehnjährigen Jungen lieb ich
In dir, den göttlichen! verehre ich
(Die Geschichte einer Widmung, S. 11)

Der Zyklus zeigt ein komplexes Porträt voller Einfühlsamkeit und Drastik:

Du Stolzkopf, immer lügenschwer.

Dann wieder brechen düstere Vorahnungen von Mandelstams späterem Schicksal durch. Schon das erste Gedicht sprach von einem „schrecklichen Flug“. Im Gedicht vom 17. März hat Marina die Vision seines Untergangs in Gewalt und Folter. Als sei es die Voraussage von Mandelstams zweiter, endgültiger Verhaftung am 2. Mai 1938:

Das Himmelsgeschenk Lied – keine Frist,
Keine Rettung dir, deinen hochmütigsten Lippen.
(…)
Mit nackten Händen packen sie dich – Starrkopf! Gehetzt!
Von deinem Schreien wird die Nacht weithin hallen!
Die Flügel in alle vier Winde – zerfetzt,
Lichtengel! junger Adler!
(Die Geschichte einer Widmung, S. 17) 

Es sind jene „wunderbaren Tage von Februar bis Juni 1916“, die von Gedichten erleuchtete Zeit, „als ich Mandelstam Moskau schenkte“ (Die Geschichte einer Widmung, S. 78), wie Marina Zwetajewa in „Die Geschichte einer Widmung“ (1931) festhält. Als „feierliche Fremde“ (Die Geschichte einer Widmung, S. 11) gehen sie gemeinsam durch die Stadt Moskau. Im vorletzten Gedicht des Zyklus wird die Geste des Schenkens, der Gabe von Hand zu Hand, explizit:

Seltsamer Bruder nimm aus meiner Hand
Die Stadt, die nicht von Menschenhand entstand
(Die Geschichte einer Widmung, S. 21)

Moskau hatte für den Petersburger Dichter Mandelstam bisher kaum existiert. Nun erhält er aus der Hand der Dichterfreundin die fünf Kathedralen im Kreml geschenkt und alle Kirchen Moskaus dazu. Mandelstam war dreifach fremd, als ihn Marina in die Schätze des Heiligen Rußland einweihte. Dreifach fremd in diesem orthodoxen Kirchenparadies: als Jude, als Petersburger, als dem Westen zugewandter Europäer.
Das letzte Gedicht Zwetajewas, vom 31. März 1916, ist auch das erotischste. Der schützend-fürsorgliche Abschiedssegen ist verflogen, der angesprochene Dichter ist kein göttlicher zehnjähriger Junge mehr. Leidenschaft bricht auf, das „Tierbrüllen“ des Blutes, Begehren, auch wenn es alledem sofort wieder entsagen will:

Du Hert, schlag schon, lauter!
Küß heiß, wie die Liebe es tut!
Ach, dieses Tierbrüllen, schaudernd
Das freche – ach! – das Blut.
(…)
Laß den Übermut, entzünde
Eine Kerze für uns still,
Damit uns beiden in der blinden
Nacht nicht werde, was ich will.
(Die Geschichte einer Widmung, S. 23) 

Wie weit die erotische Annäherung zwischen den beiden ging – über den „Übermut“ und Küsse hinaus? – braucht keinen zu interessieren. Wichtig ist, was bleibt, was diese Dichter einander schenkten: Gedichte.
Und Mandelstams Antworten? Staunend betritt der Fremdling den Kathedralenplatz des Moskauer Kremls, in einem Gedicht von Februar 1916. In das poetische Porträt der Himmelfahrtskathedrale („Mariä Entschlafung“) geraten ihm Züge Marina Zwetajewas. Ihre geschwungenen Brauen glaubt er in den steinernen Bögen des „Uspenskij Sobor“ wiederzuerkennen.

Die Stimmenvielfalt wie von Mädchenchören:
Die zarten Kirchen, jede singt für sich,
Und in der Himmelfahrt, dem Stein der Bögen
Seh ich geschwungene Brauen, ein Gesicht.

Vom Wall aus – Engel schufen diese Mauern –
Sah ich die ganze Stadt da unten stehn.
Auf der Akropolis nagte die Trauer
Nach russischen Namen, denn russisch war schön.

Nicht Wunder wundersam, daß uns hier Gärten träumen
Wo Tauben ziehn im heißen Blau,
Die Nonne, schwarz, singt orthodoxe Neumen:
Die zarte Himmelfahrt – Florenz in Moskau!

Fünfköpfig stehen Moskaus Kathedralen
Mit ihrer Seele italienisch-russisch, wild
Tritt vor mich jetzt Aurora, heller strahlend
Mit russischem Namen – in Pelz gehüllt.
(Tristia, S. 15) 

Doch Marina ist noch feiner in das Gewebe des Gedichtes verwoben, nämlich in dem Ausruf: „Florenz in Moskau!“44 Gewiß ist das eine Erinnerung daran, daß die Kathedrale der „Entschlafung“, die älteste der erhaltenen Kreml-Kirchen, 1475 bis 1479 von dem Florentiner Architekten Aristotele Fioravante erbaut wurde. Doch „Florenzija“ (die „Blühende“) ist auch eine etymologisch genaue Übertragung des Namens „Zwetajewa“ (vom russischen Wortstamm „zwet“: Farbe, Blume, Blüte). Zwetajewa ist Florenz in Moskau!
Die Formel „Florenz in Moskau“ ist mehr als ein poetisches Suchbild: Es ist das lebenslange Programm des Dichters Mandelstam, genuin Russisches mit Westeuropäischem eine neue Synthese eingehen zu lassen. In diesem Gedicht durchdringen sich Athen (die Akropolis), Rom (seine Aurora, die Göttin der Morgenröte) und Florenz (die Baukunst des Aristotele Fioravante) – in Moskau. Mandelstam scheint das von Marina geschenkte Moskau anzunehmen, doch durchdringt er es sofort mit Eigenem, d.h. Europäischem, Athen, Rom, Florenz. Das archaische, östliche, heilige Moskau erscheint bei Mandelstam auf einmalige Art europäisiert, in lichtvoller europäischer Gestalt…
Doch bereits im zweiten Gedicht, von März 1916, folgt die schwärzeste aller möglichen Überblendungen. Eine Schlittenfahrt durch das verschneite Moskau gerät zur Fahrt durch die von religiösen Mythen, politischen Morden und Macht-Usurpationen geprägte russische Geschichte. Es ist die „Zeit der Wirren“ nach dem Tod Iwans des Schrecklichen (1584). Das Ich fährt an Marinas Seite durch Moskau und vereinigt die ermordeten Zarewitsch-Gestalten in sich: Dmitrij, den jüngsten Sohn Iwans des Schrecklichen, und Alexej, den sein eigener Vater, Peter der Große, 1718 hinrichten ließ.

Auf Stroh, auf einem strohbedeckten Schlitten
Nur schwach umhüllt von dem fatalen Lindenbast,
Von Sperlingsbergen bis zum Kirchlein glitten
Wir hin durchs große Moskau: riesenhaft.

(…)
Die Ferne rauh, von Vogelschwärmen schwärzer,
Gebundene Hände, aufgeschwollen, rot:
Sie fahren den Zarewitsch, schreckensstumm der Körper,
Und fachten an das rote, rote Stroh
. (Tristia, S. 17) 

Das Gedicht ist eine seltsam frühe Vorahnung von Mandelstams eigenem gewaltsamen Tod. Die Annahme selbst von Moskaus dunkelster Seite (nach dem europäisch inspirierten Lichtblick im ersten Gedicht für Marina) geht bis zur Annahme der eigenen Hinrichtung, 1916, noch vor allen Revolutionen, in Vorahnung einer neuen „Zeit der Wirren“.
Nach den Moskauer „Überfällen und Fluchten“ besucht Mandelstam die faszinierende Dichterkollegin und Moskauer Muse Ende Mai 1916 in Alexandrow, im Gouvernement Wladimir, dem Landstrich ihrer Vorfahren, hundert Kilometer nordöstlich von Moskau. Zwetajewa schildert diesen kopflosen Besuch in ihrer „Geschichte einer Widmung“: die Gänge zum Friedhof und Mandelstams abergläubische Furcht vor den Toten, vor wilden Stieren, vor einer schwarzgekleideten Nonne. Und sie schildert auch seine überstürzte Abreise auf die Krim, die den Bruch bedeutete. Den Bericht von Mandelstams Besuch, seinen Sonderbarkeiten und Ängsten, trägt sie mit zärtlich-ironischem Humor und ohne jede Häme vor. An das Ritual des Abschieds hatte sie sich längst gewöhnt:

Die Abreise kam unerwartet – wenn nicht für mich, die ich vier Monate – von Februar bis Juni – Erfahrung hatte mit Mandelstams Ankünften und Abreisen (Überfällen und Fluchten), so für ihn, mit seinem kindlichen Heimweh – seiner Sehnsucht nach dem Heim, das er immerzu floh. (Die Geschichte einer Widmung, S. 64). 

Kein anderer Memoirenschreiber vermochte Mandelstams innere Unruhe in jenen Jahren so einfühlsam aufzuspüren wie Marina Zwetajewa:

Hier muß ich beifügen, daß Mandelstam von überall – sei’s vom Friedhof, vom Spaziergang, vom Jahrmarkt – immer nach Hause wollte. Und immer eher als der andere (ich). Und von zu Hause – unabänderlich – immer fort. Ich glaube, Humor beiseite, daß er; wenn er nicht schrieb (und nicht schrieb er – immer; das heißt: einmal in drei Monaten ein Gedicht) – sich schwertat. Mandelstam konnte ohne Gedichte auf dieser Welt nicht dasitzen, nicht gehen – nicht leben. (Die Geschichte einer Widmung, S. 60f.) 

Noch die Abschiedsszene ist komisch und ergreifend, mit Mandelstams Schrei, der mit dem Rauch der Lokomotive zurückweht:

Ich will gar nicht auf die Krim!

Tatsächlich fuhr er wiederum, wie ein Jahr zuvor, zu Maximilian Woloschin auf die Krim, wo er am 7. Juni 1916 eintraf. Kaum angekommen, schreibt er sein letztes Gedicht an Marina Zwetajewa:

Kein Auferstehungswunder glaubend.

Seltsam, auch Mandelstams letztes Gedicht ist das erotischste. Und auch er überwindet küssend die Ferne und die Fremdheit – genau wie es Zwetajewa im allerersten Gedicht ihres Liebeszyklus getan hat. Es spricht von der Verschiedenheit ihrer Welten, von der Spannung zwischen Marinas nordöstlich-russischem Gebiet um das mittelalterliche Wladimir (das russische Zentrum vor dem Aufstieg Moskaus, bis 1328 Sitz des Metropoliten) und der südlichen Krim, dem antiken Tauris, Mandelstams geliebtem Ausblick auf den Mittelmeerraum.
Nach den rituell anmutenden Küssen – auf den Ellbogen, auf die Stirn, auf das Handgelenk („Ich küß die Stelle, wo das Armband / Noch einen weißen Streifen ließ – / Nur Tauris und sein Sommer, flammend / Schaffen sich Wunder so wie dies“) – beschwört der Schluß des Gedichtes, was den beiden Dichtern gemeinsam ist: der Glaube an die Macht des Wortes, an die Zeit und Tod überwindende Magie des Namens, der Poesie.

Uns bleibt als einziges der Name,
Ein Wunderklang, für lange Zeit –
Aus meinen Händen nimm als Gabe
Den Sand, der zu dir weitereilt.
(Tristia, S. 27) 

Der Sand in den Händen (der Augenblick) deutet auf den Sand in den Uhren (die Zeit), und diese letztlich auf den Sand am Meer (die Ewigkeit). Was Mandelstam Marina schenken will, sind Gedichte – als durch seine Hände gehende, durch seine Hände bestehende Zeit. Poetische Unsterblichkeit.
Die Bedeutung dieser Begegnung zweier großer russischer Dichter des 20. Jahrhunderts kann nicht genug betont werden. Eine der Prophezeiungen in den Geschenk-Gedichten Marinas lautete:

Daß du mich liebtest, wirst du nie bereuen. (Die Geschichte einer Widmung, S. 21)

Mandelstam war fasziniert von dieser Frau und Dichterin, die ihre vielfache Liebe so frei und ungezwungen lebte. Sie war seit 1912 mit Sergej Efron verheiratet, hatte eine Tochter, Ariadna, und ihre aufwühlende Beziehung von 1914/1915 mit Sofija Parnok hinter sich. Zwetajewa war eine Offenbarung für Mandelstam, die ihm nicht nur „Moskau schenkte“, sondern ihn öffnete für die alles umfassende Macht des Eros. In ihrem Brief an Pjotr Jurkewitsch vom 21. Juli 1916 schrieb sie – bereits nach dem Bruch in Alexandrow, bereits aus ironischer Distanz:

Ich werde nie vergessen, wie wütend mich in diesem Frühling ein Mensch machte – ein Dichter; ein wunderbares Geschöpf, ich liebte ihn sehr! –, mit dem ich einmal durch den Kreml ging und der keine Augen für den Moskwa-Fluß und die Kathedralen hatte: er sprach unaufhörlich mit mir – über mich. Ich sagte: „Verstehen Sie denn nicht, daß der Himmel – heben Sie den Kopf und schauen Sie! – tausendmal mehr ist als ich, glauben Sie denn wirklich, daß ich an einem solchen Tag an Ihre oder irgendwessen Liebe denken kann?“ (Die Geschichte einer Widmung, S. 126f.)

Und sieben Jahre später, in einem Brief an den Literaturkritiker Alexander Bachrach, am 25. Juli 1923:

… ich war zwanzig, da sagte ich dasselbe zu Ihrem Lieblingsdichter Mandelstam: „Was bedeutet schon Marina – wenn es Moskau gibt?! Marina – wenn es den Frühling gibt?! Oh, Sie lieben mich nicht wirklich!“ Mich hat das immer erstickt, diese Enge. Lieben Sie die Welt – in mir, nicht mich – in der Welt. Damit ,Marina‘ Welt bedeute, und nicht die Welt – ,Marina‘.

Damit Marina Welt bedeute… Selbst die von der Zwetajewa als eifersüchtige Ehefrau bespöttelte Nadeschda Mandelstam wird später in ihren Memoiren diese Beziehung würdigen und festhalten, daß Marina ihren Mandelstam gleichsam von einem Bann befreite, zweifach befreite – für Moskau und für den Eros.45

Es war ein wunderbares Geschenk, denn allein mit Petersburg, ohne Moskau, gibt es kein freies Atmen, kein wirkliches Gefühl für Rußland, keine moralische Freiheit. (…) Ich bin sicher, daß sich Mandelstams Beziehung zu mir nicht so leicht und einfach gefügt hätte, wäre da nicht früher auf seinem Weg die wilde und grelle Marina gewesen. Sie entfesselte in ihm die Lebensfreude und die Fähigkeit zu spontaner und rückhaltloser Liebe, die mich von der ersten Minute an verblüffte.

Noch einmal also taucht Mandelstam im Sommer 1916 in die Atmosphäre der Krim ein, erinnert sich an das Zwetajewa-Ereignis, das mehr war als eine erotische Affäre, und küßt sie in der Erinnerung. Nach der Trennung von dieser Verkörperung weiblicher Poesie prägt ein anderes, tragisches Ereignis den Sommer 1916. Es ist der Abschied von der ersten maßgeblichen Frau in seinem Leben. Und damit ist nicht Zwetajewa gemeint.
In Koktebel stößt sein Bruder Alexander zu ihm.46 Er genießt zunächst den Sommer und einen bescheidenen Dichterruhm, wie er im Brief an seine Mutter vom 20. Juli 1916 verklärend schwärmt (in Wirklichkeit wurde er bei dem erwähnten Auftritt am 18. Juli in Feodossija, bei dem auch Woloschin und Chodassewitsch lasen, wegen der „Unverständlichkeit“ seiner Gedichte vom Publikum ausgepfiffen):

Vorgestern fuhr man uns mit großem Pomp nach Feodossija: Automobile, Abendessen mit dem Gouverneur; ich las, leuchtend in Tennisweiß, auf der Bühne des Sommertheaters, frühmorgens kamen wir zurück und haben uns gestern ausgeruht. Im Herbst lege ich unbedingt meine Prüfungen ab; bringe bitte die Termine in Erfahrung… (Du bist mein Moskau und mein Rom und mein kleiner David, S. 24) 

In Wirklichkeit stand ihm eine andere Prüfung bevor. Es sollte der letzte Brief an seine Mutter werden. Wenige Tage später, am 26. Juli 1916, starb sie in Petrograd an den Folgen eines Gehirnschlags. Die Entfremdung von ihrem Ehemann, der seit einiger Zeit eine Geliebte hatte, ließ sie verbittert sterben. Die Söhne Ossip und Alexander reisten sofort nach Petrograd, kamen aber nur noch rechtzeitig zum Begräbnis. Der jüngere Bruder Jewgenij spricht in seinen Erinnerungen vom „Zerfall der Familie Mandelstam“ nach diesem Tod. Die drei Söhne warfen sich Egoismus vor, mangelnde Aufmerksamkeit. Auch Ossip bedrückte ein Schuldgefühl seiner Mutter gegenüber, der er so viel verdankte. Nach dem Begräbnis schrieb er ein von der „schwarzen Sonne“ der Schuld geprägtes Gedicht, das ihm auch zum Blick auf seinen jüdischen Ursprung geriet:

Diese Nacht – nicht gutzumachen,47
Doch bei euch brennt noch ein Licht.
Vor Jerusalem entfachte
Sonne: schwarz erhebt sie sich.

Gelbe Sonne, größerer Schrecken –
Baju – bajuschki – baju:
Hell der Tempel, und sie betten
Mutter hier zur letzten Ruh.

Fruchtlos ihre Gnade suchend,
Aller Priesterschaft beraubt,
Stehn im Tempellicht die Juden:
Sangen eines Weibes Staub.

Über Mutters Sarg die Lieder,
Israeliten, feierlich.
Ich erwach in meiner Wiege –
Um mich: schwarzes Sonnenlicht.
(Tristia, S. 29) 

Das Gedicht schiebt Totengedenken und Wiegenlied ineinander: Die Mutter stirbt, der Sohn wird geboren. Eine neue Geburt aus dem Geist der Trauer. Es ist ein höchst eigenwilliges „Kaddisch“-Gebet Mandelstams. Das jüdische Totenritual war ihm bereits fremd. Der traditionelle Kehrreim „baju – bajuschki – baju“ („schlaf, eiapopeia“) der russischen Schlaf- und Wiegenlieder taucht auf, den Michail Lermontow in seinem „Kosakischen Wiegenlied“ für die russische Dichtung adoptierte.
Die Besinnung auf den jüdischen Ursprung, der über die Mutter auf den Sohn gelangt, wird auch zu einer erneuten Distanznahme.

Fruchtlos ihre Gnade suchend,
Aller Priesterschaft beraubt,
Stehn im Tempellicht die Juden.

Die israelitischen Väter haben die „Gnade“ verloren, sie haben keine Priester mehr. Das ist eine Anspielung auf die Vertreibung der Priester, der „Kohanim“, nach der Zerstörung des Zweiten Tempels im Jahr 70 n.Chr. durch die Römer. Doch Mandelstam versetzt seine Mutter in den Tempel des himmlischen Jerusalem, dessen Ort außerhalb der Zeit die tote Frau jetzt bewohnen soll. Das Gedicht wird von dieser Spannung fast zerrissen: Trauer um die jüdische Mutter und Distanznahme vom Judentum, dessen Gott das „Kaddisch“-Totengebet gerade preisen sollte.
Tatsächlich ist Mandelstam in dieser Schaffensphase nicht dem Judentum, sonderndem Christentum so nahe wie noch nie (die Rückkehr des „verlorenen Sohnes“ wird noch einige Zeit beanspruchen). Doch es ist nicht mehr der römische Katholizismus, der ihn unter dem Einfluß Tschaadajews 1913 bis 1915 faszinierte. In dem an Marina Zwetajewa gerichteten Gedicht über die „Zeit der Wirren“ von März 1916 schrieb er bereits aus der Distanz:

Rom ist das Fernste,
Und Rom hat er noch nie geliebt
(Tristia, S. 17)

Marina hatte ihn eingeführt in den Kreis der Kreml-Kathedralen, in das alte, heilige, orthodoxe Rußland. Nun wollte er auf diesem Weg noch ein Stück weitergehen.
Mandelstams „christlichster“ Text ist der nur fragmentarisch erhaltene Essay „Shrjabin und das Christentum“ (später: „Puschkin und Skrjabin“), der im Herbst 1916 entstand und in einer Apologie der christlichen Kunst gipfelte.48 Die Vorgeschichte: Am 27. April 1915 war der Komponist Alexander Skrjabin gestorben, den Mandelstam sehr verehrte. Die Premiere von Skrjabins Prometheus-Sinfonie, in der sich Orchester, Chor und das berühmte Farbenklavier zum Gesamtkunstwerk vereinten, ist als markantes Ereignis in Mandelstams autobiographische Prosa eingegangen (Das Rauschen der Zeit, S. 46f., 198). Die Grabrede für Skrjabin hielt der russische Theologe und Universalgelehrte Pawel Florenskij, der den Ton angab für alle weiteren Würdigungen des Komponisten.
Mandelstams Fragmente sind widersprüchlich: Einerseits wird Skrjabin mit „Rußlands Schuld“ in Verbindung gebracht, die für Mandelstam in einer Abkehr vom Christentum und in der Hinwendung zu Buddhismus und Theosophie bestand. Skrjabin war zunächst ein eifriger Jünger der Theosophie der Jelena Blawatskaja gewesen, deren spiritistische Geheimlehre im Rußland der Jahrhundertwende in Intellektuellenkreisen Triumphe feierte. Andererseits würdigt Mandelstam den „rasenden Hellenen“ und „Überwinder des Vergessens“ Skrjabin. Denn nach der Versuchung durch die Theosophie fand Skrjabin durch den Einfluß Wjatscheslaw Iwanows zum „christlichen Mysterium“ zurück. Mandelstams Essay nimmt diverse Anregungen zeitgenössischer Skrjabin-Nekrologe auf, etwa von den Philosophen-Theologen Nikolaj Berdjajew und Sergej Bulgakow. Bei allem Fragmentcharakter ist unverkennbar, daß Mandelstams Essay eine Apologie der Freiheit der christlichen Kunst unternimmt:

Christliche Kunst ist frei. Sie ist im vollen Wortsinn eine „Kunst um der Kunst willen“. Keinerlei Zwang, und sei es der höchste, verdunkelt ihre lichtvolle innere Freiheit, denn ihr Urbild, das sie nachahmt, ist die Erlösung der Welt durch Christus. (…) Die Kunst kann kein Opfer sein, denn es wurde bereits vollbracht, sie kann keine Erlösung sein, denn die Welt ist samt dem Künstler bereits erlöst worden – was, bleibt da noch? Der freudige Verkehr mit Gott, gleichsam das Spiel des Vaters mit seinen Kindern, ein Blindekuh- und Versteckspiel des Geistes! (…) Die christlichen Künstler sind gleichsam die Freigelassenen der Erlösungsidee, und nicht deren Sklaven und Prediger. Unsere ganze zweitausendjährige Kultur ist dank der wunderbaren Gnade des Christentums eine Entlassung der Welt in die Freiheit zum Spiel, zur geistigen Heiterkeit, zur freien „Nachahmung Christi“. (Über den Gesprächspartner, S. 64) 

Hier erscheint jene „geistige Heiterkeit“ erstmals formuliert, die Nadeschda Mandelstam immer wieder mit Verwunderung an ihrem Mann wahrnehmen wird. Die Betrachtung von Puschkins und von Skrjabins Tod führt Mandelstam schließlich zu einer für seine eigene Existenz folgenreichen, von der Idee der „Nachahmung Christi“ inspirierten Einsicht:

Ich möchte von Skrjabins Tod als vom höchsten Akt seines Schaffens sprechen. Mir scheint, man dürfe den Tod eines Künstlers nicht von der Kette seiner schöpferischen Leistungen ausschließen, sondern müsse ihn vielmehr als das letzte, das Schlußglied der Kette betrachten. (Über den Gesprächspartner, S. 62)

Der Tod der Mutter hatte ihn über den eigenen Tod und den Tod des Künstlers nachdenken lassen. Das von Marina Zwetajewa inspirierte lyrische Thema aber, Liebe und Tod, wird Mandelstam im November/Dezember 1916 aufgreifen. Die Begegnung mit zwei schönen Frauen bot den Anlaß dazu. Die eine war die georgische Fürstentochter und bekannte Petersburger Schönheit Salomeja Andronikowa, die in der Hauptstadt einen literarischen Salon unterhielt. Die Petersburger Künstler waren fasziniert von ihr. Noch 1940 erinnert sich Anna Achmatowa in ihrem Gedicht Der Schatten an die strahlende „Schönheit jenes Jahres Dreizehn“:

Auf alle gleich gerecht strömte durch schwarze Wimpern
Aus deinen Schluchten-Augen zärtlich-zartes Licht.

Bei ihr traf Mandelstam im November 1916 deren Kusine Tinatina Dschordschadse.49 Er wird die zufällige Begegnung mit der „schönen Georgierin“ in einem Gedicht poetisch überhöhen, in einer Überblendung Petersburgs mit dem antiken Rom:

Wie Sie den zarten Nacken beugten…
Kamee und Römerin sind nicht mehr da!
Mir fehlt nun Tinatina, dunkelhäutig –
Ein Mädchen-Rom am Ufer der Newa
. (Tristia, S. 31) 

Der verehrten Salomeja Andronikowa aber widmete Mandelstam im Dezember 1916 sein rätselhaftes Liebes-, Todes- und Schlaflosigkeitsgedicht „Solominka“ („Strohhälmchen“).50 In ihm tauchen die toten – und aus dem Tod zurückkehrenden – Frauen Edgar Allan Poes (Lenore und Ligeia) und Balzacs engelhaftes Doppelwesen „Séraphîta“ auf. In seine magischen Beschwörungen verwebt der verliebte Dichter Wortspiele mit der Koseform des Vornamens Salome:

Sonores Sälmchen, halbes Hälmchen –
Den ganzen Tod trankst du und wurdest zarter immerzu,
Du brachst, du brachst entzwei, lebloses Hälmchen,
Nicht Salome, o nein! Solominka bist du.

(…)
Nein, nicht Solominka in dieser schweren Seide
Über dem schwarzen Fluß, im Zimmer-Kreis –
Zwölf Monate, die von der Todesstunde singen,
Und in der Luft fließt blasses blaues Eis.
(…)
Ihr seligen Wörter: Euch hab ich erlernt –
Lenore, Solominka, Ligeia, Seraphita.
Der schwere Newa-Fluß im Raum: sein Element,
Ein blaues Blut, es fließt herein aus den Graniten.
(Tristia, S. 33/35) 

In der Beschwörung von Liebe, Ertrinken und Tod erwies sich, daß Mandelstam nach dem Zwetajewa-Zauber nun auch fähig war, Erotik ins Gedicht zu bannen. Was seinen frommen, rechtgläubigen Bekannten Kablukow am 2. Januar 1917 zu entsetzten Bemerkungen im Tagebuch veranlaßte:

Thema unseres Gesprächs waren seine letzten, offenkundig erotischen Gedichte, die seine Erlebnisse der letzten Monate widerspiegeln. Irgendeine Frau ist offenbar in sein Leben getreten. Religion und Erotik gehen in seiner Seele eine gewisse Verbindung ein, die mir lästerlich vorkommt. Diese Verbindung gab er selber zu, und er sagte, daß der Bereich des Geschlechts gerade für ihn, der sich vom Judentum gelöst habe, besonders gefährlich sei, und er wisse selber, daß er sich auf einem gefährlichen Weg befinde, daß seine Lage entsetzlich sei; doch er habe nicht die Kraft, von diesem Weg abzuweichen, und könne sich nicht einmal dazu zwingen, in der Zeit dieses erotischen Wahns das Gedichteschreiben zu lassen; und er sehe keinen anderen Ausweg aus dieser Situation als den baldestmöglichen Übertritt zur Orthodoxie.

Ob Mandelstam tatsächlich bekehrungswillig war oder dem gläubigen Gesprächspartner Entgegenkommen signalisieren wollte, spielt keine Rolle. Wichtiger ist das Eingeständnis, daß er „nicht von diesem Weg abweichen“ konnte und auch „in der Zeit des erotischen Wahns“ nicht abließ, Gedichte zu schreiben. Für den frommen Kablukow mögen die „erotischen Gedichte“ Mandelstams – die Gedichte für Marina Zwetajewa, Tinatina Dschordschadse und Salomeja Andronikowa – „lästerlich“ gewesen sein. Für den Bestand der russischen Lyrik waren sie schlechthin wunderbar.
Das Jahr 1916 war für Mandelstam wie kein zweites von Liebe und Tod geprägt, Nach Höhenflug und Bruch der Beziehung zu Marina Zwetajewa mußte er den Tod seiner Mutter beklagen und im Skrjabin-Essay den Tod des Künstlers als dessen „letzten schöpferischen Akt“ erkennen. Viel Tod für ein einziges Lebensjahr:

Zwölf Monate, die von der Todesstunde singen.

Und keine schlechte Wappnung für das bald anbrechende Jahr der Revolutionen, für den Umsturz der Zeit.

Ralph Dutli, aus Ralph Dutli: Mandelstam. Meine Zeit, mein Tier. Eine Biographie, Ammann Verlag, 2003

 

 

Frank Diamand: Die Jahrhunderte umgeben mich mit Feuer. Osip Mandelstam, 1976.

 

Joseph Brodsky spricht über Mandelstam.

 

Zum 70. Todestag des Autors:

Olga Martynova: Eine Streichholzflamme im Wind
Frankfurter Rundschau, 29.1.2019

Fakten und Vermutungen zum Autor + Dichterstimmen +
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Porträtgalerie: Keystone-SDA

 

Paul Celan liest Ossip Mandelstam: „Diese Nacht, nicht gutzumachen“.

 

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Fritz Mierau: Ein biographisches Interview (Auszüge aus ca. 17 Stunden Videomaterial, 2006/2007) von Dietmar Hochmuth.

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