Rolf Schneider: Zu Ernst Jandls Gedicht „schtzngrmm…“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Ernst Jandls Gedicht „schtzngrmm…“ aus Ernst Jandl: Laut und Luise. 

 

 

 

 

ERNST JANDL

schtzngrmm
schtzngrmm
t-t-t-t
t-t-t-t
grrrmmmmm
t-t-t-t
s——c——h
tzngrmm
tzngrmm
tzngrmm
grrrmmmmm
schtzn
schtzn
t-t-t-t
t-t-t-t
schtzngrmm
schtzngrmm
tsssssssssssssss
grrt
grrrrrt
grrrrrrrrrt
seht
seht
t-t-t-t-t-t-t-t-t-t
seht
tzngrmm
tzngrmm
t-t-t-t-t-t-t-t-t-t
seht
seht
grrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr
t-tt

 

 

Materialschlacht

Ernst Jandls überschriftslose Verteilung von über zweihundert Buchstaben auf zweiunddreißig Verszeilen erscheint beim ersten Blick als die bare Sinnlosigkeit. Sofern hier ein künstlerischer Anspruch besteht, was man wohl annehmen darf, wenn dergleichen ein Gedicht heißt, ist man am ehesten geneigt (wir befinden uns im Zeitalter der künstlerischen Grenzüberschreitungen), auf eine Annäherung ans Graphische zu halten. Buchstaben sind nicht bloß Bedeutungsträger. Sie vertreten auch einen ästhetischen Wert für sich.
Mit Grenzüberschreitung hat Ernst Jandls Text in der Tat zu tun, allerdings begibt diese Grenzüberschreitung sich in Richtung aufs Akustisch-Musikalische. Jandl, Verfasser einer – übrigens recht erfolgreichen – Sprechoper, hat für eine bedeutsame Weile seines Lebens in der Nachfolge von Autoren aus dem französischen Symbolismus und dem deutschen DADA experimentiert. Dort stimmte man darin überein, daß Sprache außer Sinnbedeutungen auch Klangmaterial enthalte; letzteres lasse sich um seiner selbst willen verwenden. Man nennt diese Richtung aus nicht ganz einsehbaren Gründen Konkrete Poesie, ihre einzelnen Beispiele Lautgedichte.
Ernst Jandl selbst zieht den Ausdruck Sprechgedicht vor. Er notiert:

das sprechgedicht wird erst durch lautes lesen wirksam.

Liest man im vorliegenden Text die ersten beiden Zeilen laut, hört man plötzlich ein durchaus verständliches und nicht sehr behagliches Wort: Schützengraben. Jandl hat es verändert. Er trieb ihm alle Vokale aus, weiterhin zog er die letzte Silbe auf einen Nasal zusammen. Warum er so verfuhr? Mir scheint im Fortfall der Vokale zunächst die simple Einsicht versteckt, daß der Schützengraben ein Ort ist, wo sich Verluste ereignen. Das umgangssprachliche Verschleifen von Endsilben aber deutet auf ungepflegtes Sprechen hin, wie es sich in ungepflegten Umgebungen ereignet. Ein Schützengraben ist genau so.
Der Rest des Gedichtes ist dann teils aus Wiederholungen, teils aus Reduktionen gemacht, auch aus der Wiederholung von Reduktionen. Da alles miteinander von einem ausschließlich aus Konsonanten bestehenden Gebilde ausgeht, treten auch in der Folge ausschließlich Konsonanten auf. Verschlußlaute, Reibelaute, Zischlaute, Nasale. Sieht man genau hin, sofern man nicht vorzieht, die Sache durch lautes Lesen zu verfolgen, entdeckt man in der Zusammenstellung eine wohlüberlegte Dramaturgie.
Schon das t-t-t-t der dritten Zeile macht unüberhörbar deutlich, daß in dem hier gemeinten Schützengraben weder die Sterne der Heimat leuchten noch Männerzoten gerissen werden. Die aus dem Grundwort gefilterten Geräusche erzählen vielmehr eine moderne Materialschlacht mit Maschinengewehrsalven, Artilleriedetonationen und dem Zischen von Flammenwerfern. Die Geräusche sind von jener Art, wie sie mit ihren Bleisoldaten spielende Knaben erzeugen, um sich einem männlichen Abenteuer namens Krieg zu nähern.
Ernst Jandl hat außer „schtzngrmm“ noch ein anderes Gedicht zum Gegenstand verfaßt:

vater komm erzähl vom krieg
vater komm erzähl wiest eingrückt bist
vater komm erzähl wiest gschossen hast
vater komm erzähl wiest verwundet wordn bist
vater komm erzähl wiest gefallen bist
vater komm erzähl vom krieg.

In diesen Versen des einstigen unfreiwilligen Jungsoldaten Ernst Jandl werden Grundeinsichten mitgeteilt, die „schtzngrmm“ mit seinen Mitteln wiederholt. Die letzten Zeilen sollen dabei vermutlich nicht mehr (oder nicht mehr nur) jenes Geräusch wiedergeben, das vorbeijagende Projektile oder angefachte Feuer erzeugen. Notiert wird jenes Zeichen, mit dem man sich auf Friedhöfen oder an Orten des Grauens zum Schweigen ermahnt. Ungerührt und stupide antwortet darauf nochmals ein Detonationsgeräusch, dessen Kadenz t-tt wie „tot“ klingt. Das Ende und die Logik der Schützengräben ist der Tod.
Außer einer Menge von Gedichten, die den Krieg bejubeln, besitzen wir in unserer Lyrik Gedichte, die den Krieg verurteilen. Die meisten sind bloß gut gemeint. Zu den anderen, wenigen, die betroffen machen können, gehört der Text Ernst Jandls.

Rolf Schneideraus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Neunter Band, Insel Verlag, 1985

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