Ulrich Weinzierl: Zu Ernst Jandls Gedicht „nachtstück, mit blumen“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Ernst Jandls Gedicht „nachtstück, mit blumen“ aus Ernst Jandl: idyllen. –

 

 

 

 

ERNST JANDL

nachtstück, mit blumen

im zimmer, drin ich schlafe
will keine blumen ich.
dem schläfrigen zur strafe
bewegt die fliege sich
wenn sie der blumen duft
zu sich ins zimmer ruft.
die blumen sind lebendig
lebendig bin ich auch;
die fliege ist es auch noch
und tot ist nur der rauch
den ich durch mund und nase
aus meiner lunge blase
die fliege zu vertreiben.
die will bei blumen bleiben
und wird dann mich entdecken.
die fliegenklappe hebend
steh ich im nachthemd bebend –
nie hat die fliege lebend
und dauerte es stunden
den weg zurück gefunden
wo fliegen der geschmack
liebender fliegen packt.

 

Der Depressionshumorist

Ein Text von vorgestern? Die Antwort ist ein kleines Ja und ein großes Nein. Er stammt aus den 1989 veröffentlichten idyllen und scheint auf den ersten Blick der verdächtigen Gattung tatsächlich am nächsten zu kommen. Denn rundum finden wir in dieser Sammlung das blanke Gegenteil alles Idyllischen: Wort gewordenen Überdruß und Ekel, Notate von Symptomen körperlichen und – drohenden – geistigen Verfalls, manchmal sogar die bewußt eingesetzte Drastik der Altersobszönität, im sexuellen wie im außersexuellen Sinn. Wir entdecken die für Ernst Jandls Spätwerk charakteristische „heruntergekommene Sprache“, eine Art Pseudo-Gastarbeiteridiom, wir entdecken den längst zu Ehren der Klassikeraltäre erhobenen Buchstaben-Rastelli der „konkreten poesie“. Dieses Gedicht indes erinnert an des Autors Anfänge, an den vermeintlichen Melancholie-Traditionalisten des Debütbandes Andere Augen von anno 1956, über den Jandl in der Folge schrieb:

beim berglandverlag
hab ich mein erstes
buch verlegt
und futsch wars.

Keineswegs aber handelt es sich hier um die Regression eines verdienten Avantgardisten in den Schoß der alleinseligmachenden Konvention, sondern nur um Radikalisierung einer jener artistischen Ausdrucksmöglichkeiten, die dem schriftstellernden Proteus Jandl seit Jahrzehnten zur Verfügung stehen. Die List formaler Täuschung hat dieser spielerische Ernstmacher, der Depressionshumorist Jandl, immer virtuos beherrscht.
Schon der Titel „nachtstück, mit blumen“, weckt mancherlei Assoziationen, sowohl an die Welt der musikalischen Romantik als auch an die der bildenden Kunst. Einerseits schieben sich Robert Schumanns „Nachtstücke op. 23“ ins Bewußtsein, andererseits wird ein gemaltes Stilleben beschworen, oder wie’s im Französischen trefflicher heißt: nature morte.
Zweifellos hat die Szenerie etwas versponnen Kauziges – in der Mischung aus verpatztem Spitzweg-Genrebildchen und versifizierter Wilhelm-Busch-Tücke. Die Ich-Person, der autobiographische „Held“, führt einen leicht grotesken Kampf gegen Schlaflosigkeit und Insektenplage, und das allein wäre sicher nicht der literarischen Rede wert. Doch in Wirklichkeit geht es um ganz anderes, nämlich um die Menschheits- und Dichtungsthemen Leben, Liebe und Sterben. Vier Verse und ihr Unausgesprochenes enthalten bereits das Wesentliche:

die blumen sind lebendig
lebendig bin ich auch;
die fliege ist es auch noch
und tot ist nur der rauch

Mit mehr Beiläufigkeit und understatement läßt sich das ewig gültige Memento mori kaum auf den Begriff bringen. Gerade was sich nicht reimt, „lebendig / noch“, ist Drohung und Klage zugleich, als deren Echo wir die Vergänglichkeitsmetapher „auch / rauch“ vernehmen.
Anhänger herkömmlicher Lyrik bedient Jandl scheinbar bestens: Haufenweise serviert er ihnen dreifüßige Jamben, Kreuz- und Paarreime, einmal zudem einen dreifachen Reim. Zum Schluß freilich sprengt der Dichter das selbstauferlegte metrische Korsett. In den letzten beiden Zeilen verwendet Tonkünstler Jandl nicht mehr als vier Vokale, der Daktylus „liebender“ unterbricht den einlullenden Rhythmus, und die Brutalität der Tötungsaktion, deren direkte Darstellung ausgespart wird, offenbart sich in der verstörenden, weil winzigen Klangdifferenz von „geschmack“ und „packt“ – ein Paukenschlag an der rechten Stelle. Von diesem Schlußpunkt aus gelesen, so denke ich, zeigt das „harmlos“-koboldhafte Notturno seine wahre, unromantische Gestalt: ein Scherzo über Eros, Gewalt und Tod, also durchaus eine Botschaft von heute. Zu entziffern mit jenen „anderen Augen“, deren Gebrauch uns Meister Jandl hartnäckig und erfolgreich gelehrt hat.

Ulrich Weinzierlaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Fünfzehnter Band, Insel Verlag, 1992

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