Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Die Farbpalette der Dichtung (Teil 11)

Die Farbpalette der Dichtung
Eine kleine koloristische Poetik

Teil 10 siehe hier

Georg Trakls singuläre Farbenpoetik findet bei Paul Celan in abgeschwächter Form eine späte Entsprechung. Auch Celan verwendet nebst den Grundfarben vorzugsweise die Nichtfarben Weiss und Schwarz sowie die Materialfarben zu Gold und Silber, und auch er bewerkstelligt für die Farbe Blau weitläufige metaphorische Bezüge.
​Schon in der «Todesfuge» (1945), einem seiner frühesten, heute bekanntesten Gedichte, setzt Celan das Blau als äusseres Kennzeichen des mörderischen «Meisters aus Deutschland» prominent ein: «… sein Auge ist blau», wobei Blau assonantisch mit dem lautähnlichen Blei korrespondiert – «er trifft dich mit bleierner Kugel».
Die blaue Augenfarbe wird konventionell mit Blondhaar assoziiert (doppeltes Kennzeichen für den prototypischen Germanen), und das tut auch der Dichter, indem er dem blauäugigen deutschen «Meister» die deutsche Margarete mit ihrem «goldenen Haar» zur Seite stellt, dies wiederum in klarer farblicher Abgrenzung vom schwarzen, hier «aschenen Haar» der jüdischen Sulamith. Den Antagonismus zwischen dem Mörder und dem Opfer akzentuiert Celan ausserdem effektvoll durch das mehrfach wiederholte Oxymoron der «schwarzen Milch».
​In positiver, gar liebender Anschauung kehrt Blau als Augenfarbe bei Celan wieder in einer Strophe aus dem Band «Mohn und Gedächtnis» (1952), die von der «Todesfuge» rhythmisch wie metaphorisch merklich geprägt ist; der Text («Die Jahre von dir zu mir», 1948) beginnt mit diesen Versen:

Wieder wellt sich dein Haar, wenn ich wein. Mit dem Blau deiner Augen
deckst du den Tisch unsrer Liebe: ein Bett zwischen Sommer und Herbst.
Wir trinken, was einer gebraut, der nicht ich war, noch du, noch ein dritter:
wir schlürfen ein Leeres und Letztes.

Hier wird mit heftigen Stabreimen geweint (wieder-wellt-wenn-wein), im Tränenfluss «wellt» sich das Haar der Geliebten, mit der zusammen das lyrische Ich nicht nur das «Bett zwischen Sommer und Herbst» teilt, sondern auch einen Trunk unbestimmter, nur geahnter Herkunft aus letzter Leere, geheimnisvoll und ebenso fatal wie die «schwarze Milch» in der «Todesfuge», diesmal aber eher als Heil denn als Unheil angerichtet. Das Augenblau scheint alles zu überstrahlen – die grosse Liebe wie auch deren Ort und deren Zeit – und evoziert damit das Blau des Himmels.

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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