Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Lyrisches Herbsteln (Teil 3)

Lyrisches Herbsteln

Teil 2 siehe hier

Georg Trakls «Farbiger Herbst» nimmt sich aus wie eine Fortschreibung oder Überschreibung von Stefan Georges wohl bekanntestem Gedicht «komm in den totgesagten park» (1897), das den Herbst ebenfalls in seiner übergänglichen Buntheit zwischen Blau und Grau als ein feierliches Finale vor Augen führt.

Komm in den totgesagten park und schau:
Der schimmer ferner lächelnder gestade ·
Der reinen wolken unverhofftes blau
Erhellt die weiher und die bunten pfade.

Dort nimm das tiefe gelb · das weiche grau
Von birken und von buchs · der wind ist lau ·
Die späten rosen welkten noch nicht ganz ·
Erlese küsse sie und flicht den kranz ·

Vergiss auch diese letzten astern nicht ·
Den purpur um die ranken wilder reben
Und auch was übrig blieb von grünem leben
Verwinde leicht im herbstlichen gesicht.

Auch hier wird ein Stück domestizierter Natur zum Schauplatz des Verwelkens und Verscheidens – ein Park, der bereits «totgesagt» ist, aber doch noch letzte Spuren und Regungen von Lebendigkeit erkennen lässt, so die purpurnen Ranken «wilder Reben», die «noch nicht ganz» abgeblühten Rosen, dazu irgendwelche Überreste von «grünem Leben».
​Georges modernistische Typographie täuscht nicht über die konventionelle Aufbereitung der herbstlichen Szenerie hinweg, auch nicht über die fälschlich (an Stelle des Himmels) als «blau» bezeichneten Wolken, die den «Schimmer ferner lächelnder Gestade» weitertragen. Alles ist hier an seinem Platz, hat seine Richtigkeit wie eh und je, die gewohnten Requisiten des Herbsts bilden das Setting des Gedichts – «späte Rosen», «letzte Astern», «graue Birken». Und all dies adressiert George (anders als Trakl nach ihm) an ein anonymes Du, das mehrfach in das berichtete Geschehen einbezogen wird: «Komm in den totgesagten Park …» – «Dort nimm …» – «Erlese … küsse … flicht» – «Vergiss … nicht» – «Verwinde leicht …» Die bald ermunternde, bald mahnende Anrufung eines Gegenübers verleiht der herbstlichen Stimmung etwas Versöhnliches, wenn nicht Tröstliches und wirkt damit der endzeitlichen Resignation entgegen.

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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