CHRISTIAN SAALBERG
Genesis
An einem Montag schuf Gott die Erde.
An einem Dienstag versuchte er es noch einmal.
An einem Mittwoch stand alles schief und das Wasser lief über den Horizont.
An einem Donnerstag rief er Leute zu Hilfe.
An einem Freitag brach der Himmel ein.
An einem Sonnabend versagte sein Herz.
An einem Sonntag gab er es auf.
1990er Jahre
aus: Orte. Schweizer Literaturzeitschrift. Heft 148, 1996
Viele Jahrzehnte lang hat der 1926 im Riesengebirge geborene Christian Saalberg unter seinem bürgerlichen Namen Christian Rusche das Dasein eines pflichtbewussten Juristen geführt, bis er Anfang der sechziger Jahre mit dem Gedichteschreiben begann. Sein Pseudonym Saalberg ruft die Kindheitslandschaft des Dichters auf jenen Ort, an dem das Sommerhaus seiner Großeltern stand. Als Saalberg im Mai 2006 starb, hatte er 23 Gedichtbände in diversen Kleinverlagen veröffentlicht, ohne dass der Literaturbetrieb davon Notiz genommen hätte.
Christian Saalberg, der sieb selbst als Nachfahren der französischen Surrealisten begriff, war ein phantastischer Dichter der Vergänglichkeit, der mit traumverlorenen, eindringlichen Melodien das Wunder des Daseins und auch die Begrenzungen der Existenz besungen bat. In seinem späten Gedicht „Genesis“ vergegenwärtigt er lakonisch das Scheitern der biblischen Schöpfungsgeschichte – das Gottesprogramm geht fehl, der Schöpfer kapituliert.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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