ERNST JANDL
vater komm erzähl vom krieg
vater komm erzähl vom krieg
vater komm erzähl wiest eingrückt bist
vater komm erzähl wiest gschossen hast
vater komm erzähl wiest verwundt wordn bist
vater komm erzähl wiest gfallen bist
vater komm erzähl vom krieg
1966
aus: Ernst Jandl: poetische Werke, hrsg. v. Klaus Siblewski. Luchterhand Literaturverlag, München 1997
Die leuchtende Anekdote vom heldenhaften Verhalten des soldatischen Mannes im Krieg – sie ist schon oft an Stammtischen kolportiert worden, in einem Tonfall unverhohlenen Triumphs. Ernst Jandl (1925–2000), der 1943 im Alter von 18 Jahren zum Reichsarbeitsdienst eingezogen und ein Jahr später auf das Terrain des Tötens befohlen wurde, zitiert in seinem im Oktober 1966 entstandenen Gedicht die begeisterten Erzähler dieser Szenerien des Schreckens – um dann in einer trockenen Pointe die Absurdität dieser Kriegs-Nostalgie bloßzulegen.
Sechs Verszeilen genügen, um das gemütlich-heimelige Sprechen vom Krieg seiner Bodenlosigkeit zu überführen. Gerade das Beharren auf der refrainartigen Wiederholungsformel „vater komm erzähl“ steigert den Schrecken. Die ungeduldigen Fragen des Kindes an den Vater resümieren wie nebenbei die grausigen Stationen des Soldatenlebens: das pseudo-heroische „Einrücken“, die Arbeit des Tötens und das jämmerliche Finale in Blut und Tod.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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