KITO LORENC
Hör die Nachtigall trapsen
sag nicht ich weiß
sag nicht ich weiß nicht
sag wer weiß oder was weiß ich
mal sehn womöglich immer hin
wer weiß schon ob und wie
oder was ich erinnere mich nicht
vielleicht später mal oder viel
früher schon mal ganz anders
irgend wie ja genau so
ähnlich sicher wie
wenn man könnte es mal
versuchen was es
bringt ja nichts es
besagt ja nichts
weiter so und
jetzt
hörst du sie trapsen
2000/01
aus: Jahrbuch der Lyrik 2003. Hrsg. v. C. Buchwald u. L. Seiler, C.H. Beck Verlag, München 2002
Aufgewachsen in zwei Sprachen und zwei Kulturen – dem Deutschen und dem (slawischen) Niedersorbischen –, entfaltete sich bei dem 1938 in einem Lausitzer Provinzflecken geborenen Dichter Kita Lorenc früh eine große Sprachempfindlichkeit. Als Erkunder der sorbischen Volkskultur und als Übersetzer schärfte Lorenc auch in Gedichten seinen Sinn für Sprachkritik. Seinen ersten Lyrikband veröffentlichte er 1961 in sorbischer Sprache, die darauf folgenden zweisprachig. Die herrschenden Sprachregelungen der Politik und der Medien provozierten seinen Widerstand in Form von heiter-bissigen Sprachspielen.
Die berühmte Redewendung „Nachtigall – ick hör dir trapsen“, die auf die Vorhersehbarkeit bzw. leichte Durchschaubarkeit einer Handlung oder einer Äußerung zielt, wird hier in einer skurrilen Demontage auseinandergenommen. Eine Gewissheit des Sagens ist in diesem um 2000 entstandenen Gedicht nicht möglich, denn alles wird in Widerrufe und Dementi eingebunden. So dass man die Nachtigall aufgrund der immer überraschenden Negationen und Selbstwidersprüche eben nicht „trapsen“ hört.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
Schreibe einen Kommentar