ROSE AUSLÄNDER
Ich bin
schon lange verschollen
doch
ich lebe immer noch
in einem
verlorenen Zimmer
und spiele
mit Worten
wie ein
törichtes Kind
nach 1950
aus: Rose Ausländer: Und preise die kühlende Liebe der Luft. Gedichte 1983–1987. S, Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1988
Wie ihr Dichterkollege Paul Celan (1920–1970) wuchs Rose Ausländer (1901–1988) in der Vielvölkerstadt Czernowitz in der Bukowina auf; dem einst östlichsten Grenzposten der Habsburgermonarchie, der heute zum Staatsgebiet der Ukraine gehört. Im barocken Sprachmilieu dieser Stadt überlagerten sich Mythen, Märchen und Legenden aus vielen Traditionen. Nach der Okkupation der Stadt durch die Nazis lebte Rose Ausländer seit 1943 in Kellerverstecken und entging damit der Deportation. Gegen Paul Celans poetisches Signum der Heillosigkeit setzte sie ihr ästhetisches Credo der Hoffnung.
Das „Spiel mit Worten“ hat die Autorin zur Überlebensstrategie entwickelt. Die Einkehr ins „Mutterland Wort“ wurde zur Grundfigur ihrer Dichtung. Im Gegensatz zu Celans streng sprachskeptischer, zerklüfteter Dichtung beruht Rose Ausländers Lyrik auf einem fast naiven Vertrauen in die Wirkungskraft des poetischen Wortes. Mit Hilfe dieses Sprachvertrauens lassen sich die Erfahrungen des Verschollenseins und der Verlorenheit überstehen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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