THOMAS BERNHARD
Psalm
Was ich tue, ist schlecht getan,
was ich singe, ist schlecht gesungen,
darum hast Du ein Recht
auf meine Hände
und auf meine Stimme.
Ich werde arbeiten nach meinen Kräften.
Ich verspreche Dir die Ernte.
Ich werde singen den Gesang der untergegangenen Völker.
Ich werde mein Volk singen.
Ich werde lieben.
Auch die Verbrecher!
Mit den Verbrechern und mit den Unbeschützten
werde ich eine neue Heimat gründen –
Trotzdem ist, was ich tue, schlecht getan,
was ich singe, schlecht gesungen.
Darum hast du ein Recht auf meine Hände
und auf meine Stimme.
1960
aus: Thomas Bernhard: Gesammelte Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1991
In den Neun Psalmen, die er 1960 als Privatdruck erscheinen ließ, hat der Schriftsteller und „Übertreibungskünstler“ Thomas Bernhard (1931–1989) eine fatalistische Heilsgeschichte aufgezeichnet. Hier geht es nicht mehr um die rühmende Lobpreisung der Ewigkeit Gottes, sondern um die bittere Einsicht in die „Stimme der Vergängnis“. Gerade die Psalmen, die älteste Form der gottverbundenen Dichtung, eignen sich offenbar für ein heftiges Bekenntnis zu einem fragwürdig gewordenen Gott, an den man nicht mehr richtig glauben kann.
Der Verlust der transzendentalen Gewissheit, die Erfahrung der schmerzhaften Abwesenheit Gottes manifestieren sich bei Bernhard in negativen Gebeten und in peinigenden Selbstbezichtigungen. Trotz aller weltzugewandten Einsatz- und Leidensbereitschaft konstatiert hier das lyrische Subjekt das eigene Versagen. Das Ich ist kein geeigneter Prophet für die Verkündung der frohen Botschaft – die angedeutete Demutshaltung gegenüber dem göttlichen Du erweist sich als sarkastischer Kommentar zur eigenen Nichtigkeit.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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