Peter Rühmkorf: Peter Rühmkorf und sein Gedicht „Variation auf ,Gesang der Deutschen‘ von Friedrich Hölderlin“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Peter Rühmkorf und sein Gedicht „Variation auf ,Gesang der Deutschen‘ von Friedrich Hölderlin“, aus Peter Rühmkorf: Werke. Band 1, Gedichte. –

 

 

 

 

PETER RÜHMKORF

Wie der Phönix aus den Scherben, oh Vaterland,
Edelstahl platzt in den Nähten, Fette erholt,
Farben bei lebhaftem Angebot Aufgalopp, Kursgewinn,
Hanomag, hundertprozentige Rheinstahltochter…

also erhobest du dich, verlorengegebener
gräulich geviertelter Aar, doch bald auf der Höhe schon
deines alten Gewichts, und, ei, den Tauben gleich
an Kropf und Krallen!

Du Land, chromblinzelnd, wo man die Meinung verzieht
bei stillem Anteil, bin ich der deine schon?
Sieh, auch ich bin fix in der Lüge,
freundlich blinket mein Damaszenergebiß.

Wenn ich mich auf meine Feinde besinne,
morgens, wenn mir der rote Kamm unterm Hut schwillt…
leicht von den Knöcheln gebrochen, wächst ihr schon
neuer Vorrat, der morchelhäuptigen Hyder.

Wer wollte da? an welchem Fels? wozu?
mit was? dem Adler trotzen, dem längst überfütterten?
der von des Himmels Kaltschale nippt,
dein nicht zu achten und Helden-Unschlitt.

Oh Freund, vor kein Schafott bestellt, in Frieden,
wer bläst sich da auf und wie ohne Zweifel?!
Zück deine Hauer, alteingesessen, da bleibet ein
abgestochener Brei auf der Walstatt.

Kennst du Minervens Kinder? Was kümmert sie
des Wüsten Donnerers, des sie nicht achten, Gebell?
Schickt, schickt ihn nur ins Glück, da wird
keiner über die eigenen Zähne straucheln.

Das geht in Größe glatt, das ist wie über Nacht
ins Licht gefordert und vor die Sterne geschleift,
jeder zu allem aufgerufen, man teilet
dir vom Schmer des Säkels und heißt dich verdauen.

Nimm nun dein Pfund auf dich und wuchere,
ehe der schlechtere Mann das Licht absahnt –
unter die Gauner erhoben, sollst du
deinen Hintern zum Fluge lüften.

Gegrüßt in deinem Glanze, mein Vaterland!
Mit neuen Namen lockst du, mit Blust und Bluff,
wenn das entbundene Fett als Flamme
mächtig über die eigenen Ufer lodert.

Noch schwillst du an von unterdrücktem Krieg,
sinnest ein neu Gebild, das von dir zeuge,
das, einzig wie du selbst, das aus
Stroh geschaffen, goldene Körner treibt.

Wo sind nun Dichter, die ein neu Gemythe
auftuen diesem blauen Schlaraffen blick?
Tausendgut – Güldenfett – Rosenschleck –
Eselein deck dich, Deutschland, käufliche Mutter.

Also: aus voller Brust geklampft, aus vollem Magen –
das Lied, aus überfließendem Munde gespendet:
Schmierig währt am längsten, wer wollte da
mürrisch gegen die Seligen vorgehn?!

Die in der Sonnenlache, die im Gewinnbereich
ihren Jubel aus eigener Tasche bestreiten;
und – die Hand an der Börse – schwört es
sein gestrichen Maß Glück und Persönlichkeit.

Gebt also, gebt ihn endlich, gebt den Himmel frei,
und scheltet nicht, nein, besser preiset ihn, den wohlgelenken,
den Mann, der nach Sintflut und -feuer
wieder den Wanst in die Waage hievte.

Der was die ALTEN sungen, der Dichter spann,
wirklich erfährt, das prästabilierte Behagen:
Nun: Blüten angelandet! nun: Sternenstreusel! Und
mit dem Sänger geteilt auf Kippe und Schweigen.

Auf Kippe und Gedeih, daß nie und keiner
die Kreise jemals störe, Wanderer, kommst du nach
Deutschland, sage du habest uns hier
unterliegen sehen, wie es der Vorteil empfahl.

 

Was soll ein Gedicht?

Was will es? Kann es? Was ist ihm zuzutrauen, anzutragen, aufzubürden und sonst niemandem? Wo kommt es her? Wo zieht es hin? Wofür steht es ein? Wogegen steht es? Das sind so Fragen. Fragen freilich, die jede Generation aufs neue zu stellen hat und beantworten muß wie von Anfang an. Denn ob man auch Prognosen jederart eher mißtrauisch als gutgläubig gegenübersteht, dies jedenfalls zeichnet sich ab als eine Art von Faustregel: daß das Gedicht am ehesten zugrunde geht an Fraglosigkeit und daß es zur Formalität erstarrt, wo es mit vorgefundenen Antworten sich begnügt. In diesem Sinne gibt es Sicherheiten weder im Für noch im Wider und scheinbar eherne Grundgesetze moderner Kunstproduktion haben für genau so fragwürdig zu gelten wie überlieferte und liebgewordene Gegnerschaften. Man glaube doch nur ja nicht, daß es Spannungen gibt auf immerdar und Konfrontationen von unbegrenzter Haltbarkeit. Zuneigungen und Verwahrungen wechseln ihre Mienen, für unveräußerlich erachtete Immobilien hängen sich ans Bein, Vorgaben können sehr wohl in den Pferch führen, und was man eben noch als progressiv und an der Front zu bezeichnen neigte, enthüllt alsbald die Züge der Reaktion. Was allerdings nun nicht heißt, daß alles zu jeder Zeit jede Rolle spielen könne oder daß Werte nur eine Frage wären der Beleuchtung. Vielmehr, daß alles seine Zeit hat, die Aufgaben des Gedichtes sich ändern mit den Umständen, Lehrsätze und Leitlinien nicht ungebrochen tradiert werden können und daß auch Wertzuschläge wie progressiv und reaktionär, modern und unmodern nur nach Maßgabe der gesellschaftlichen Voraussetzungen erfolgen können.

Nun mag man vielleicht einwenden, Voraussetzung, das zähle weder so noch so, und interessieren dürfe nur, was schließlich im Vers, gefaßt, zu Tage trete. Dem habe die Aufmerksamkeit zu gelten und daran habe Kritik und Wertung sich zu wenden. Aber: wenn solche Forderung auch bestechend klingen mag und wenn der Vorsatz, ein Kunstwerk nur aus sich heraus verstehen zu wollen, zunächst recht ehrenwert erscheint – es ist doch weder der auf nichts als reine Formalitäten gespitzte Kunstbetrachter so frei wie er sich wähnt, noch je ein Kunstwerk unabhängig von allerlei gesellschaftlichen Bedingtheiten. Mehr noch: ein Kunstwerk, das die Bedingungen, zu denen es angetreten, kritisch zu reflektieren sich versagt, scheint ganz besonders hilflos in die Umstände verstrickt, und ein Poet, der sich für schlechthin und voraussetzungslos erachtet, ist meist der erste Diener und das bewußtseinsblinde Opfer von Vorausgesetztem.
Daß es dabei sehr oft politische Reflexionen sind, durch die das Gedicht hindurchmuß, darf seinen Herrn und Autor nicht verstören. Auch ein Gedicht, dem es um nichts so sehr wie Freiheit geht, kann von den bestehenden Formen der Dienstbarkeit nicht blindlings abstrahieren. Auch ein Poem, das seinen Leerplatz in der fehlgefügten Bürgerordnung sucht, darf des Bewußtseins von Druck und Zug gesellschaftlicher Kräfte nicht entraten. Und gerade einem solchen Vers, der spielen und sich in Unschuld wiegen möchte, stünde es wohl an, kundzutun, in welchem Lande er spielt und wie die Unschuld dort nicht heißt.
Die Frage nach Wert und Spannweite der Freiheit ist für die Poesie konstitutiv. Sie wird dringend in Zeiten, wo ohne Befehl und Weisung sich immer nur das Gewünschte einstellt und wo die Angst, daß Freiheit ruiniert werden könnte, die Absicht, sie zu nutzen, von vornherein verdrängt. Ein seltsamer Befund: Die ihrer am mindesten bedürfen, weil sie ohnehin mit dem Geforderten im Einstand leben, legen mit Inbrunst nahe, daß mit der Freiheit Maß gehalten werden müsse; die geneigte Observanz rühmt sich, und nicht zu Unrecht, ihrer Rechte; und der den Stachel nicht wahrnimmt, wider den sich zu löcken lohnt, behauptet, daß alles gewagt und geschrieben werden könne.
In solchem Klima gedieh dann allerdings auch die Reglementierung aufs wundersamste. Unter gleichen Ehrenbezeugungen wurden die Grundrechte in den Ruhestand versetzt, die Meinungsunterschiede eingeebnet, die Splittergruppen ausgeklauselt, die wenigen liberalen Querköpfe außer Betrieb gesetzt und Dichter, wie selten sie auch die verbriefte Freiheit wahrnehmen als Recht nicht zu Beifallskundgebungen, sondern zum Widerspruch, diffamiert. Man mache sich doch nichts vor. Hier, wo das Kopfschütteln außer Mode gekommen und eigentlich garnichts mehr strittig ist außer eines Mannes Kaufpreis, hier schrumpft auch der schmale Raum zwischen dem für herausnehmenswert Erachteten und dem Geradenochzugelassenen von Tag zu Tag. Schon heute sind wir nicht mehr im Besitz unserer gestrigen Möglichkeiten, und ein lautes und vernehmliches Nein, geäußert vor den Verfahrensfragen und Ausführungsbestimmungen, ist schlechterdings kaum noch denkbar. Was denkbar?! Zu Haus und unter Angehörigen, versteht sich, kann jedermann sich unbeschadet seiner scharfen Meinung rühmen und Schiebladeninhalte werden auch fürs nächste vermutlich noch nicht dem Zugriff der Kontrolleure ausgesetzt sein – wie aber, wenn Sie mit einigen Veränderungsvorschlägen öffentlich werden möchten? Sie können ja nicht einmal mehr Pazifismus sagen, nicht einmal Neutralität, nicht einmal mehr blockfrei, und Ihre differenzierten Ansichten über Landesverrat beschließen Sie lieber im eigenen Kopfe.
Solche Erwägungen, vorgetragen, wo über die Poesie und ihre Möglichkeiten Auskunft erwartet wird, mögen dem reinen Gegenstande unangemessen erscheinen, und nicht ganz zu Unrecht wird die Nase rümpfen der Politik in der Kunstdebatte wie einen Stilbruch scheut. Nichts nämlich scheint dem luftigen Wesen des Gedichtes ferner zu liegen als Macht und Wirkung, Hebelkraft und Einflußnahme, und gar als völlig unvereinbar nehmen sich die Ebenen aus, wenn man die Tagesbändel sich im einzelnen vergegenwärtigt. Wörter wie Notstand und Napalm, beispielsweise, wie NPD und Großekoalition, so etwas, sollte man denken, entziehe sich der Stilisierung wie von selbst, das müsse ein Vers, der auf Form hält, wohl doch von vornherein ausscheiden. Der Einwand klingt so unrecht nicht. Dennoch ist er so wenig von Präokkupationen frei und so tief in der herrschenden Formalideologie verwurzelt wie die Meinung, daß Kunst keine Meinung zu haben habe, wie die Ansicht, daß das Gedicht im Öffentlichen fehl am Platze wäre, wie der Gedanke, daß Poesie von Vorsatz und Prinzip in Ohnmacht sich bescheiden müsse. Warum denn, bitte, bliebe der Unbefangenheit zu fragen, warum denn sollte, müßte, dürfte, könnte Kunst nicht? Warum sollte dem zeitgenössischen Poeten grundsätzlich vorenthalten bleiben, was Dichtung vieler Zeiten und vieler Länder zu gegebener Stunde für sich in Anspruch nahm: das Recht, sich kräftig einzumischen in alltägliche Belange? Schließlich sollte man doch dem Gedicht zunächst einmal Vorurteilsfreiheit einräumen und seinem Dichter das Grundrecht, wahrzunehmen und aufzunehmen, was er für wichtig hält. Und nicht sogleich einen Verhaltens- und Enthaltenskodex dekretieren wollen, dessen scheinbar goldene Regeln sich schon bei flüchtiger Prüfung als Blech vom Tage entlarven.
Nein, Dichtkunst ist nicht das, kann nicht sein, als was die Kulturwarte und Dogmenverwalter sie sehen möchten. Ihre Lebensmöglichkeiten und Aussichten liegen jenseits der akkreditierten Regelsysteme und Schnittmusterbogen, und über ihr Wohl und ihr Wehe entscheidet, ob sie sich freimachen kann aus jenem ideologischen Dunstkreis, der den Notstand der Gesellschaft überlagert als seine Emanation. Zwar ist nicht zu leugnen, daß Poesie, auch wo sie der Gesellschaft entgegentritt als ihre Herausforderung, selber bereits als Kind der Not erkennbar wird, gegen die sie sich wendet; aber wo anders läge denn sonst überhaupt ihre Freiheit, wenn nicht in dem Versuch, sich nicht abzufinden. Wenn nicht in dem Versuch, die Zwangsfixierungen zu durchbrechen und mit ihnen die Bannmeile all der geläufigen Apriori und Vorkontrollen, mit denen eine der Veränderung grundabholde Gesellschaft auch ihr, der Kunst, einen Platz im Bestehenden zuweisen möchte. In diesem Versuch allein liegt ihre Chance. An dieses Wagnis heftet sich die Hoffnung auf Progreß. Und wenn wir auch gleich zugeben müssen, daß wir hier immer nur erst von Voraussetzungen sprechen, und daß Voraussetzung noch lange nicht Gedicht ist, so wollen wir dennoch zu behaupten wagen, daß in dieses Vorfeld bereits die wichtigsten Entscheidungen über Gedeih und Verderb des Verses fallen, und daß an ein Befolgen oder Nichtbefolgen der herrschenden Diätvorschriften mehr an potentiellem Mißraten oder Gelingen geknüpft ist, als unsere strukturenlesende Schulweisheit sich träumen läßt.
Für seine Skrupel aber, seine Bedenken und Zurücknahmen, für seine Zweifel in die eigenen Möglichkeiten, da sollte man den Typus, den wir hier ins Auge gefaßt haben, schon selber sorgen lassen. Denn: solange es den Poeten noch gibt, der vom Gedicht erwartet, daß es wirksam werde als Initialzünder und Unruheherd, solange wird just dieser Typ das Mißtrauen gegenüber dem eigenen Geschäft zu seinen Unveräußerbarkeiten rechnen. Weil es gerade ihm am ersten bewußt ist, daß er im letzten auf gar nichts sich beziehen kann, auf keine Partei, keinen Sozialverband, keine gesellschaftlich bestimmenden Faktoren, kein Glückssystem, und weil eine Zeit, die ihre Hoffnungen nur noch auf das Gedicht richten darf, dem Gedicht selbst für Illusionen keinen Platz mehr läßt. Die Situation scheint paradox. Das stete Bewußtsein von der Ohnmacht des Gesanges, es sollte jetzt gerade dort zu finden sein, wo eben noch von Aussichten und Möglichkeiten die Rede war? Das provozierende Gedicht sollte zugleich das resignierende sein? Der Trutzvers den Skrupeln besonders nahe? Die streitbare Strophe für Anfechtungen geradezu wesensmäßig prädisponiert? Allein, was keinem artistischen Wirklichkeitsflüchter mehr Probleme schafft keinen Formalästheten mehr bekümmert, mehr bekümmern kann, das Erschrecken vor der Wirkungslosigkeit des dichterischen Wortes, das wird wohl täglich aufs neue wachgerufen dort, wo einer sich anschickt, im Gedicht die Wahrheit zu Markte zu tragen. Und wenn der Gemeinte auch gelegentlich im Stande sein mag, seinen Versen Vorderfront zu geben und sich eindeutig zu erklären, gezielt entgegen, Fürsprech, Unterschreiber, Widersacher, so wird der vollkommene Mangel an Rückhalt ihm doch immer wieder die eigene Fragwürdigkeit demonstrieren.
Und hier kommen wir nun gegen Schluß an eine Erkenntniskehre, von der aus alles wieder gefährdet erscheint, was uns eben noch als Aussicht des Gedichtes vor Augen war. Denn was anderes bliebe dem Poeten als dann doch nur der Trost, den schöne Spiele bieten, wo ihm die Furcht, daß nichts bewirkt und nichts verhindert werden kann, den Mut zum Wankelmut verkehrt? Und was anderes bliebe ihm als wiederum nur das Vertrauen auf den Halt der Strophe, geformt, gegliedert und gebunden, wo das Bewußtsein der Vergeblichkeit ihn von Anlaß zu Anlaß frisch aus der Fassung geraten läßt?
Ich sage nicht ja. Ich sage nicht nein. Ich glaube aber sagen zu können, daß er auch da hindurchmuß, der Poet, wie durch die Hoffnung auf Wirksamkeit. Zwar wird er oft genug versucht sein, sich im Gedicht für eingekeilt und abgeschlossen zu erklären, und wer wollte es ihm verargen? Und wer wollte einen Enttäuschten schmähen, der gegen die Welt der Faktenschieber und Gewaltanwender hoffärtig eine eigene auszuspielen trachtet aus Wort- und Wetterleuchten? Und doch gibt es für ihn und seine Kunst nicht diesen schlichten Freispruch auf immerdar. Es gibt kein Sesamwort. Es gibt die reine Löseformel nicht, die das Gedicht entbindet und seinen Autor, jenseits von Zorn und Anteilnahme, in Freiheit setzt. Artistik jedenfalls rechtfertigt keinen ganzen Mann mehr, und das nun wirklich nicht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, sondern weil es eben diesen ganzen Mann nicht mehr gibt. Weil diese Vorstellung vom ungeteilten Individuum, das sich in Sprache, das in Kunst sich realisiert, längst selbst als Ideologem einer Stillhaltegesellschaft erkennbar geworden ist, und weil das sogenannte lyrische Ich sich überhaupt nur dialektisch noch seiner selbst versichern kann. Mag es immerhin möglich sein, daß in der Auseinandersetzung zwischen dem, was Kunst sein will und dem, was Anstoß stiften möchte, nicht das Zeitgedicht das letzte Wort behält; mag man es gleichwohl für möglich erachten, daß einer auszieht, die Wahrheit zu schreiben und doch am Ende im Zwielicht dasteht und seine Zweifel hochhält; eins freilich scheint mir unbestreitbar, daß nämlich auch eine artistische Lösung gar nicht mehr denkbar ist, es sei denn über den Widerstreit mit Hoffnungen und Absichten, die nicht primär dem Gedicht gelten, sondern den Zuständen in einem Lande, das wahrlich des Angstschweißes der Edlen wert ist.

Peter Rühmkorf, aus Walter Höllerer (Hrsg.): Ein Gedicht und sein Autor, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1969

 

Bevor Peter Rühmkorf nach Berlin kam,

hatte er seinen Auftritt auf dem Hamburger Markt, auf einem Lastwagenanhänger, „auf dem die Jazzer sich mit ihren Instrumenten einrichteten, um dann die zwingende Geräuschkulisse für des Poeten Peter munter böse Verslein zu produzieren. Er erklomm das Podium leger in Pullover und offenem Hemd, die bekannte Schlägermütze im Nacken, und wartete sitzend, in der klassischen Pose seines mittelhochdeutschen Dichtervorfahrs (daz kin in die hand gesmogen), bis seine Jazz-Kollegen ihre erste Solonummer absolviert hatten“; dann „breitbeinig stehend, die Ärmel hochgeschoben, Hände in die Hüften gestemmt, schmeckte er genüßlich die eigenen Alliterationen ab“.
In Berlin mußte er seine Gedichte, die gegen eine „der Veränderung grundabholde Gesellschaft“ geschrieben sind, zudem gegen eine Auffassung vom überzeitlich Mythopoetischen ins Feld führen: Yves Bonnefoy war sein Partner. Ein abrupter Gegensatz, – aber der Gegensatz war doch nur in den ausgesprochenen Pointen völlig evident. Sieht man von Rühmkorfs Kommentar ab: seine Gedichte selbst berufen sich weniger auf Veränderung als auf das konstante „Volksvermögen“, oder, um ihn nach seinem Aufsatz über Bengta Bischoff zu zitieren, darauf, daß wir „die unterdrückte und verbogene Natur doch allenthalben in ihre Rechte zurückdrängen sehen“; „eine bei aller Verbildung unbeschadet gebliebene Einfalt setzt sich, und das oft sehr direkt, über die Schranken eines vorfabrizierten Bewußtseins hinweg“. Auf eine „zweite Einfalt“ hofft Rühmkorf:

Das könnte dann so aussehen, daß just die höchste Verstiegenheit zur Unschuld des Singens zurückfindet, daß ein Verlust, über die hohe Kante gebrochen, in den reichsten Farben blinkert und irisiert; daß sich eine Vereinsamung munter und gesellig gibt; daß etwas aus dem Schmerz kommt und vielleicht allen Ernst vermissen läßt.

Die Umgangssprache, die gesprochene Sprache wird, mit ihrer Eindringlichkeit, gegen das feierliche Zeremonium des poetischen Bildersaals ins Treffen geführt, dort polemisch, da parodistisch, hier konstatierend, – ständig in Reibung mit literarischen Vorbildern, von Brockes über Klopstock zu Claudius, Hölderlin, Heine und Benn. Zwischen Alltag, den Wirtschafts- und Werbealltag miteinbezogen, und artistischem Kalkül balanciert Rühmkorf auf dem Seil, und denkt dabei an Heines Vorbild, „der auf der Schneide zweier Zeitalter höchst disparate Position bezogen hatte und alle Antinomien und Widersprüche seines Säkuls in aesthetische Sensation umzumünzen verstand“. Die Formelsprache des Kalküls – Irdisches Vergnügen in g – wird ihm, zwischen „Anpassung und Widerstand“, zum Vorbild für formelhafte Exerzitien in der Alltagssprache: „Ziehn wir von Babel nach Belsen.“ Mit mehr oder weniger Selbstgefallen sieht er sich als Bänkelsänger im Atomzeitalter, gibt er sich als anklägerische Narrengestalt, die ihre Wirksamkeit im Umgang mit Konsumenten berechnet, ein Traditionalist, meint Enzensberger, „der sich besessen zeigt von der Idee der Revision“. Er ist dabei versehen mit einem versteckten, unschwer aufspürbaren Hang zum Heldenmythos in seiner „Schizographenbrust“, der seinem Engagement querliegt und der gerade dadurch poetisch virulent wird. Das zeigt sich in seiner Auseinandersetzung mit Klopstock und Hölderlin ebenso deutlich wie in seinem Rom-Gedicht. In Rühmkorfs Kommentarsprache ausgedrückt: „ständige Interpolation zwischen Griechentum und existentiellem Unglücksrabentum eines“, wie Rühmkorf Heine bewundernd nennt, „romantischen Rationalisten“.
Die Wirkung auf die Kritiker in Berlin war, diesem verwickelten Sachverhalt gegenüber, einfach im pro und contra. Dem einen war Rühmkorf der Vertreter „satirisch-kritisch sich gebender Gebrauchspoesie, das versifizierte Engagement“, dem anderen der Dichter der „gewollten politischen Reflexion“:

Seine Hoffnung zielt auf den Fortschritt.

Walter Höllerer, aus Walter Höllerer (Hrsg.): Ein Gedicht und sein Autor, Deutscher Taschenbuch Verlag, 1969

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00