Peter Härtlings Gedicht „Vielleicht ein Narr wie ich“

PETER HÄRTLING

Vielleicht ein Narr wie ich

vielleicht ein narr wie ich
narren sind immer gleich
und wunderlich
und immer reich

warst es auch du
ein flugzeug macht mich ganz verrückt
doch du hältst deinen speer gezückt
und stößt hart zu

ich möchte dich bruder nennen
feierlich und sehr zart
doch du wirst meine stimmung nicht kennen
du fühlst dich sicher genarrt

1951

aus: Mein Gedicht ist mein Messer. Hrsg. v. Hans Bender. List Verlag, München 1964

 

Konnotation

In seinen frühesten literarischen Anfängen hatte der Dichter und Erzähler Peter Härtling (geb. 1933) den Don Quijote des Miguel de Cervantes, bekannt als „Ritter von der traurigen Gestalt“, als große Identifikationsfigur entdeckt. Der 18jährige Härtling hatte das Gymnasium vorzeitig verlassen und sah sich einer unsicheren Zukunft gegenüber: „Quichotte, ein Narr wie sein aus der Bahn geworfener Bewunderer.“ Hier reiht sich nun das lyrische Ich ein in die imaginäre Zunft der Narren.
In seiner Sehnsucht nach Bruderschaft übersieht das Ich, dass die Narren von unberechenbar verschiedenem Charakter sind und dazu neigen, sich ständig unter dem Druck einer neuen Situation zu verwandeln und neu zu erfinden. Aber das Ich des 1951 entstandenen Textes ahnt, dass seine Sympathiebezeugung nicht unbedingt auf Gegenliebe stößt. Mit diesem ersten ernsthaften Gedicht betrat Härtling die Bühne der Literatur. Einige Jahre nach diesem Text entstand ein ganzer Zyklus mit ketzerischen und närrischen „Kaspar“-Gestalten.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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