Sonnenpferde und Astronauten

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch Sonnenpferde und Astronauten

Sonnenpferde und Astronauten

AN DEN RAUM

Ein Himmel ist der Waldweg,
Auf dem die Sterne kreisen –
So nah sind sie –
Auch abseits im All,
Zwischen den Gräsern
Und unter den Büschen.

Winde sind Füße, die manchmal
Du stillhältst, um keinen Stern
Zu zertreten. Manche erlöschen davon.

Hinter dir leuchten sie auf, da du
Vorbei bist. Wie Geäst knackt
Unter dir Donner. Du streckst
Eines Blitzes Arm aus und
Greifst einen Glühwurm und legst ihn
Auf den Wolkenteller deiner Hand.
Davon wird es hell und tagt.

Und so bestimmst du die Tage,
Die Wetter, den Wuchs einer Erde,
Die an dir sein muß sehr unten,
Vielleicht an den Sohlen des Weltalls.

Uwe Greßmann

 

 

 

Nachwort

Vor zwei Jahren konnten wir Gedichte junger Menschen veröffentlichen, die inzwischen schon ihren Platz als junge Lyriker in unserer Literatur eingenommen haben.
Wenn wir jetzt einer noch jüngeren Generation das Wort geben, so hat sie sich ihrem Publikum zumeist schon persönlich vorgestellt. Auf größeren und kleineren Veranstaltungen wurden Gedichte von noch unbekannten Autoren vorgetragen und fanden die Anteilnahme und Kritik ihrer Zuhörer.
Das Gedicht hat an Lebendigkeit gewonnen. Neue Lebensbereiche unseres sozialistischen Landes werden erschlossen; verhalten und ungestüm, je nach Temperament, gibt man dem Ausdruck, was man fühlt und weiß. Poetische Proklamationen, mit denen eine Jugend ihre Ansprüche und ihre Mitarbeit anmeldet, stehen neben dem kleinen Lied aus unserem Alltag. Der heitere Vers hat seinen Platz neben dem politischen Gedicht, das seine bewußten Akzente setzt.
Sicher ergibt sich daraus für den jungen Lyriker auch eine größere Verantwortung; aber wir sind gewiß, daß sie gerade dem Autor bewußter wird, je mutiger er sich selbst im Gedicht profiliert. Schon deutet sich an, daß die Traditionen realistischer und sozialistischer Dichtung eigen verarbeitet und nicht mehr nur nachgeahmt werden, wie man das vor Jahren noch bemerken konnte. Man ist über die bloße lyrische Selbstverständigung hinaus und erobert sich Zug um Zug die neue Wirklichkeit, frisch und ohne didaktischen Metrikschlüssel.
Fast alle dieser Autoren haben schon in einem Beruf gearbeitet, bevor sie studierten und geschrieben haben. Sie stehen auch deshalb ihrem Leser nahe. Sie kennen ihn gut genug, um ihm von den kleinen und großen Entdeckungen im Land der Poesie mitzuteilen, von den Astronauten und den Sonnenpferden, der Wirklichkeit und der Phantasie unserer Zeit.

Gerhard Wolf, März 1963, Nachwort

 

Lyrik lockte – Tausend kamen!

Lyrik Welle
Junge Lyrik ohne Patina
Lyrik Frühling im „Kosmos“

so lauteten die Schlagzeilen der Zeitungen, die von den großen Lyrikveranstaltungen berichteten, die in Berlin im Filmtheater Kosmos und in der Republik stattfanden und die tausende Hörer anzogen. Die Gedichte junger Autoren hatten den Bann gebrochen, mit einem Male erreicht, was viele Lyrikbände vorher nicht erreicht hatten: die jungen Lyriker fanden ihr Publikum. Wir stellen Ihnen hier zehn der jungen Lyriker vor, die auf diesen Veranstaltungen ihre ersten Verse lasen oder ihre Lieder sangen. Diese Proben verheißen mehr als nur einen ersten Auftakt. Frisch und zupackend bemächtigen sie sich unserer Wirklichkeit, nicht verkrampft und didaktisch-moralisierend, sondern aufgeschlossen und lebendig. Der heitere Vers steht neben dem Liebesgedicht, das kleine Lied neben dem politischen Bekenntnis. Sie schreiben, wie es in einem Vers von Volker Braun heißt, für das Honorar der Herzen: so bilden sie ihre poetischen Wirklichkeiten von unseren kleinen Träumen – den Sonnenpferden – von den Visionen dieser Zeit, dem Flug der Astronauten.

Mitteldeutscher Verlag, Klappentext, 1964

 

Beitrag zu diesem Buch:

Sonnenpferde und Astronauten
lyrikzeitung.com, 6.1.2017

 

 

„Suchend und selbstbewusst in Sujets und Sprache“

– Die Renaissance der Lyrik in der DDR. Ein Gespräch mit Gerhard Wolf. –

Burga Kalinowski: Im Jahr 1964 brachten Sie Sonnenpferde und Astronauten heraus, Untertitel: „Gedichte junger Menschen“.

Gerhard Wolf: Das ist die zweite Anthologie gewesen, die erste heißt Bekanntschaft mit uns selbst, 1961 war das. Da ist der Werner Bräunig drin, Heinz Czechowski, Bernd Jentzsch, Rainer Kirsch, Karl Mickel. Volker Braun war dann in Sonnenpferden und Astronauten dabei – mit Uwe Greßmann, Sarah Kirsch, Klaus Möckel, auch Wolf Biermann gehörte dazu. Das war das einzige Mal, glaube ich, dass Biermann in einer Anthologie war. „Sonnenpferde“ ist eine Metapher von ihm, die „Astronauten“ sind von jemand anderem. Beide Anthologien kamen im Mitteldeutschen Verlag heraus.

Kalinowski: Da war viel Bewegung.

Wolf: Ja, eine neue Generation meldete sich. Das waren die, die den Krieg als Kind erlebt hatten, in Nachkriegszeit und DDR-Aufbau erwachsen geworden waren, die lebten mitten im DDR-Alltag und setzten sich mit seinen Alltäglichkeiten und Ansprüchen, mit den Widersprüchen ihres Landes auseinander. Suchend und selbstbewusst in Sujets und Sprache. Die wollten was. Die sahen den Aufbruch zu einem richtigen Sozialismus, kurz, dass eine neue Zeit anbricht, auch eine Zeit für große Talente. So war das. Die konnte ich alle beim Mitteldeutschen Verlag herausgeben, erst diese beiden Anthologien, und die wichtigsten Autoren kriegten dann alle Einzelbände.

Kalinowski: Zum Beispiel?

Wolf: Das war Volker Braun, Bernd Jentzsch, Heinz Czechowski, die Kirschs, Karl Mickel, Adolf Endler, Reiner Kunze.

Kalinowski: Das ist ja die Sächsische Dichterschule.

Wolf: Die ganze Sächsische Dichterschule sowieso und was noch da drumrum war. Das konnte ich alles verlegen.

Kalinowski: Da haben Sie schöne Sachen gemacht.

Wolf: Da konnte man gute Sachen machen. Da kamen auch gute Sachen. Das waren junge Leute, die studierten noch oder arbeiteten. In Arbeitsgemeinschaften junger Autoren und Zirkeln schreibender Arbeiter gestalteten sie zum ersten Mal die DDR als Thema. Engagiert und kritisch. Man konnte „Provokation für mich“ von Volker Braun bringen, es war provokativ – und möglich. Oft gab es Schwierigkeiten wegen eines Gedichts. Manchmal hat man dann ein Gedicht rausgenommen, um den Band zu retten. Oder man musste sich einsetzen, um ein Gedicht durchzusetzen, was dann meistens, Gott sei Dank, auch gelang.

Kalinowski: War das im Sinne von: Jetzt bauen wir die DDR auf?

Wolf: Das wäre mir zu einfach. Es war ein Versuch, tatsächlich Wirklichkeit zu erfassen, auch mit kritischen Akzenten und allem, was so passierte. Und da kamen zum ersten Mal diese Talente alle zu Wort. Deswegen die beiden Anthologien. Da war diese Autorengeneration gebündelt. Da sind sicher auch drei bis vier Namen drin, die man heute überhaupt nicht mehr kennt, aber es waren die wichtigen Leute dabei.

Kalinowski: Was kennzeichnet DDR-Lyrik?

Wolf: Die war sehr viel thematischer und gebunden an die Probleme und Konflikte, die sich im Land – und in der Welt – abspielten. Schon 1957 machten wir dazu in der Volksbühne eine Veranstaltung mit Peter Huchel, Stephan Hermlin und Erich Arendt. Von Huchel gab es einen Gedichtband, von Hermlin kam in den 1960er Jahren bei Reclam Kontur eines Dichters heraus, als es ihm gar nicht so gut ging. Später erschienen die jüngeren Autoren wie Rainer Kirsch oder Günter Kunert. Überhaupt, der Reclam hat riesige Verdienste, weil er von den wichtigsten Autoren Bücher gemacht hat, die in großen Auflagen dort erschienen und gut gekauft wurden. Bei Lyrik hat man immer gesagt, wenn man 2.000 verkauft, ist man zufrieden. Wenn die zweite Auflage kam, dann war man froh, dass es noch mal weiterging.

Kalinowski: Als das Datum für den Beginn der Lyrikwelle in der DDR wird der 11. Dezember 1962 genannt, die Lesung in der Akademie der Künste.

Wolf: Das war Stephan Hermlin, der dort die Gedichte von jungen Leute vortrug. Die Lesung führte noch am selben Abend zu großartigen Diskussionen, brachte ihm anschließend einigen Ärger ein – und später Lorbeeren.

Kalinowski: Worin bestand der Wert dieser Lesung?

Wolf: Es war die erste, mit der die DDR lyrisch ein Gesicht bekam – in und mit gültigen Gedichten, um es auf einen Satz zu bringen. Was Hermlin da ausgewählt hatte, konnte man alles gelten lassen. Deswegen hatte die Veranstaltung auch so einen Vorbildcharakter.

Kalinowski: Was war aus Ihrer Sicht der Impuls für diese Generation?

Wolf: Dass sie sich mit der Wirklichkeit kritisch auseinander- und gleichzeitig aber für einen besseren Sozialismus, sagen wir mal so, einsetzten. Es war nie ein antisozialistischer Tenor, sondern es war ein kritischer Impuls. Der wurde manchmal natürlich eben gerade verdächtigt, weil er kritisch war. Bei Biermann hat es sich dann in dieser Weise entwickelt, wie wir es gesehen haben. Mit den Jahren wurde die Kritik immer schärfer – bei seinem großen Konzert 1976 in Köln forderte er: Jetzt oder nie, die DDR braucht sozialistische Demokratie.

Kalinowski: Und auch: „So oder so, die Erde wird rot.“

Wolf: Ja, und dann konnte er nicht mehr zurück ins Land. Man hätte den umarmen müssen, hätte ihm einen Preis gegeben – und gut wär’s gewesen. Aber es war so: Wenn irgendwelche Einwände kamen, das hatte selten mit Lyrik zu tun. Es war albern zum Teil, meistens aus einer engstirnigen politischen Sicht, wenig souverän.

Kalinowski: Was für ein gesellschaftliches Biotop brauchen junge Leute, um zu dieser Art von Lyrik zu kommen. Was muss passieren?

Wolf: Auseinandersetzungen. Aufbruch. Die Anstöße damals entstanden auch aus der Abrechnung mit dem Stalinismus durch Chruschtschow auf dem XX. Parteitag und der folgenden Tauwetterperiode. Eine politische Welle, die schließlich auch in der DDR anbrandete. Ihr folgte die große Lyrikwelle in der Sowjetunion, wo öffentliche Dichterlesungen am Majakowski-Denkmal in Moskau mit 50.000 Menschen stattfanden, Tausende junge Leute hörten Jewtuschenko oder dem Dichter Wosnessenski zu und deklamierten die Verse mit – stellen Sie sich das vor. Das fand überall statt, in Stadien, Konzerthallen und Universitäten. Sehr eindrucksvoll.

Kalinowski: Auch ein Beispiel für hier?

Wolf: Auf jeden Fall. Und: Der neue Ton aus der Sowjetunion wirkte über die Literatur hinaus in die Gesellschaften hinein. Ich glaube, diese Entwicklungen übten damals Druck auf den Machtapparat in der DDR aus. Das schwappte über, und plötzlich gab es eine ganze Reihe von Talenten hier, die alle ein bisschen getragen wurden von diesem Ethos: Abrechnung mit Stalin, mit Zensur und überhaupt. Aufbruch eben.

Kalinowski: Es gibt ein Archiv, in dem von etwa 100.000 jungen Leuten Briefe und ihre Gedichte aufgehoben sind. So entstand überhaupt die „Poetensprechstunde“ der Jungen Welt und daraus die Poetenbewegung.

Wolf: Ja, die FDJ hat versucht, diese Lyrikbewegung zu übernehmen – zum Teil ist es gelungen, zum Teil nicht. Manchmal waren es ganz gute Veranstaltungen – und auch eine Menge tagespolitischer Schrutz. Darunter wird eine Reihe von Talenten gewesen sein. Das Gros wäre nie zu einer großen Stimme gekommen.

Kalinowski: Als Dichterschmiede war das auch nicht gedacht, mehr so als Möglichkeit.

Wolf: Ja, das auch. Aber ich meine, von der FDJ wurde das instrumentalisiert. Das war politische Lyrik im Sinne der braven DDR. Versuche, die Konflikte, die Wirklichkeit und die Widersprüche in den Vers zu bringen, um das wieder mit so einem einfachen Satz zu sagen.

junge Welt, 27.7.2022

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