Traian Pop Traian: Die 53. Woche

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Traian Pop Traian: Die 53. Woche

Traian-Die 53. Woche

WIR SIND FREI

das geschah am Tag nachdem Ion Monoran
aaaaadie Wodkaflasche von
Nichita Stanescu nahm um sie Bacovia auf dem Bellu-
aaaaaFriedhof zu bringen
Rolf Bossert ließ sich gerade am Blitzableiter des
aaaaaSchriftsteller-
hauses herab Virgil Mazilescu biss ein Stückchen
aaaaaGedicht vom Tragebeutel
mit Gemüse ab Matei Visniec verteilte Märchen mit Blinden
Florin Iaru erlernte ein Lied zum Überqueren der Straße
Was würden wir rumänischsprachigen Schriftsteller ohne die
deutschsprachigen anfangen
fragte sich Mariana Marin
Eugen Jebeleanu traf eben mit
seinen beiden altbekannten Zicken ein und jeder wusste daß es an der Zeit war
Eugen Suciu einen Besuch abzustatten
es regnete bitterlich und
wir zwei Narren streckten uns unter dem Tropfenfall auf dem
Siegesboulevard aus
wir sind frei
aaaaaaawir sind frei
aaaaaaaaaaaaaawir sind frei tönten wir – jaja
aaaaaaaihr seid schon frei, schien jetzt
das blinzelnde Auge der Ampel zu sagen
die in die Reserve
zurückgezogen wurde
aber ein beneidenswertes Gedächtnis
besaß

Aus dem Rumänischen von Horst Fassel
nach 15 Jahren, Cannes, Juni 1998

 

 

 

Vom Unerträglichen und seiner Zeit

– Über Traian Pop Traian und seine Art, Gedichte zu schreiben. –

„Alles hat seine Zeit“, sagt der Prediger Salomo. Wenn aber der Tag der Nacht gleichgesetzt ist, wie es die Klausenburger Studenten der Nachkriegszeit aus dem Kreis um ihre Zeitschrift Echinox (= Äquinoktium) taten, herrscht bestenfalls Zwielicht. Ob nun, wenn schon beschworene Dämmerung herrscht, Abend oder Morgen erwartet wird, Eiszeit oder Tauwetter, ist dies aufs Ganze gesehen den zahlreichen Debüts dieser Nachkriegsjugend bis zum Ende des Saeculums oft nicht abzulesen. Auch wenn sie sich vermeintlich „progressistisch“ gibt. In Wirklichkeit ist sie ungebärdig. Traian Pop aus dem Kreis Temeswar aber gilt ohne Vorbehalt als „Rebell“ der achtziger Jahre, als Zorniger, wenn nicht als Rädelsführer unter den rumänischen Poeten im zunehmenden Widerstand gegen die Diktatur.
Für den Landeskundigen ist es schon fast ein Gemeinplatz, dies noch zu erwähnen. Diesen Widerstand geleistet zu haben, gilt auch nicht als Verdienst: Äußerstenfalls legitimiert er den Autor als integren Charakter, welche Schwächen er sonst auch haben mag. Mit anderen Worten: Bei einer Prüfung seines bisherigen Werkes als Leistung geht es nicht so sehr um das Was wie um das (poetologische) Wie, um die Unverwechselbarkeit dieser Stimme. Denn selbst wenn auf Befehl von oben manche Wörter aus dem Sprachschatz gestrichen waren, durfte nach demselben Befehl in den Jahren der Unterdrückung, der Gängelung oder wie man die Bevormundung heute auch nennen mag, alles gesagt werden: Gerade damit brüstete sich die Zensur (die es angeblich gar nicht geben sollte).
Aber es kam auf das Wie an. Darüber war man als schöpferischer Mensch verständigt, ohne davon sprechen zu müssen. Ein Augenzwinkern genügte, und nur Schwätzer verloren darüber noch Worte… wenn sie nicht gar Zuträger waren und den „Behörden“ gegenüber den Mund aufrissen. Freilich nicht nur, um sich wichtig zu machen.
Jeder Umgang mit Menschen besteht auf etwas wie einem Gesellschaftsvertrag. Und der wiederum auf einem ungeschriebenen beiderseitigen Einverständnis. Auch alle Kunst gründet sich auf etwas wie eine solche Übereinkunft. Wer als Schreibender zur Feder greift, geht seinen Lesern gegenüber stillschweigend davon aus und hofft auf das wechselseitige Einverständnis – auch seiner Rezensenten. Selbst ein Verriss stützt sich darauf, wenn auch nur ex negativo. Denn von der – sagen wir: landläufigen, wenn nicht gar objektiven Erwartung dessen, was ein (Sprach-)Kunstwerk sein soll, kann die Vorstellung des einzelnen aus vielen Gründen abweichen. Solche Gründe liegen dann freilich meist im Bereich des Subjektiven – unerheblich, ob sie dann Vernunft, Geschmack, Unvertrautheit, mehr-weniger boshafte Missgunst, ja vielleicht denunziatorische Rachsucht heißen und mit opportunisch-tendenziösen Unterstellungen arbeiten.Dieser Gefahr ist in einer Diktatur jeder ausgesetzt. Auch wenn er nur unter vier Augen und hinter vorgehaltener Hand einen Witz erzählt. Um wie viel mehr also ein geschriebenes Werk. Und wie nun schreiben davon, „wes das Herz voll ist“: von jederlei Bedrängnis, angesichts von Argwohn und Gefährdung durch jedes Wort, wenn es mangels gutgesinnter Übereinkunft so und so oder so verstanden werden kann… unterm Anschein von Loyalität gar verstanden werden soll!? Wie schreiben, wenn einer Dichter ist und sich im Wort mitteilt, das nicht mit Vernunft allein erschöpft und irgendwelchen rationalen Zwecken dienstbar gemacht werden soll? Denn seit es Dichter gibt, sind sie sich im tiefsten doch darin einig:

Gesang vor Rede,
Dichtung vor Prosa,
Flöte vor Pfeife,
Leier vor Bogen
(William Golding).

Mit dem Recht der Jugend, meinte man nicht nur zu wissen, nein, wusste sehr genau, was Dichtung, was insbesondere ein Gedicht ist. Mit demselben Recht hatte man auch alles Alte über Bord geworfen. Das heißt, alles, was einengte, war alt. Die Staatsgewalt vielleicht ausgenommen. Denn so genau unterschied man wiederum nicht zwischen Inhalt, Absicht und Form, wenn – ja, wenn! – man durfte. Und das hatte ja auch seine Folgen: Man spaltete sich selbst, in Vorbeter und Nachbeter. Oder, um es mit Goethe zu sagen: „Die Kunst gibt sich selber die Gesetze und gebietet der Zeit. Der Dilettantismus folgt der Neigung der Zeit.“ Mit heutigen Worten für die Heutigen formuliert:

… Das Wort ist Samen. Frucht. Und Blüte… Die Grenze der Beschreibung. Ich proklamiere. Das Reich der Metapher. Allein die Poesie ermöglicht noch Kommunikation… (Carmen Francesca Banciu, „Ein Land voller Helden“, 135).

Pech hatte, wer auf Grund manipulierter Interpretation beim sauren Bier ertappt wurde. Wer jedoch ungeschoren blieb, übte nicht gleich den Aufstand, hielt sich bedeckt, sowohl gegen Schwächere als auch gegen ohnehin Verdächtige. Weil man sich selbst aber auch verdächtig war, überspielte man das mit mehr oder weniger Frechheit der Aussage in Form oder Formlosigkeit. Davon gabs ja von allen Seiten genug, genug auch davon zu sagen nach vorbehaltlosem Zuspruch von seinesgleichen, der schon als Solidarität selbst über die Stränge haut. Was Form, was (Vers-)Maß, was Zurückhaltung, ja Haltung! Solches Vielerlei allein war schon Fessel – und die sollte man sich selbst anlegen? Fessel schon vom Material tradierter Poetik her – aber noch vieles, vieles mehr, kurzum schlechthin alles. Weil man alles wusste, abgeguckt hatte und zu sagen verstand, so zwar, dass seinesgleichen es auf Anhieb erfasste, auch wenn es noch so kryptisch war. Das verband, verbrüderte auf der Wellenlänge gleicher Emotion, mehr noch als allein durch die Ratio.
Aber wehe, wenn beide sich verbündeten oder anfeindeten. Und wenn es verbündete, war man allein schon damit im Recht. Altüberlieferte Form, auch wenn sie noch so bewährt war? Wenn das Herz voll war und zornig – weil es sich hatte spalten müssen? Oder umgekehrt: Wenn es sich spalten musste, weil es voll Zorn war (und in Gefahr, sich zu verraten)?
Aber wohlgemerkt: Revoluzzer waren sie nicht. Dazu gab es zu viele gebrannte Kinder – zu denen sie noch kaum gehörten.
Sie waren bloß gewarnt. Kurz: Die Unerträglichkeit der Bevormundung ertragen zu müssen, der Verdächtigung, Verfolgung, Unterdrückung, Gefangenschaft, Kerker jeder Art, Hunger und Durst, Zwangsaufhalt, Berufsverbot – das waren Leiden einer Jugend, die sich unterwarf, ohne sich zu unterwerfen… Verstehe das, wer kann.
Unterm Anschein der Gefügigkeit fand sie zum Ausgleich in einer so langwierigen wie ambivalenten Dämmerung, die, als Zustand nicht von ungefähr oft beim Namen genannt, dem Götzen den Untergang, dem ausharrenden Geist aber Befreiung bringen und zu seinem unverfälschten Ausdruck verhelfen sollte. Unter dem Gewicht des Überdrucks schmolzen freilich die festen Formen dahin. Dämmerung verwischt alle Maße und Grenzen. Schon um die Zeit des ersten Weltkrieges wusste einer aus der Generation der Expressionisten zu sagen:

… allem Elementarwesen liegt die sehnsüchtige Todesfurcht vor Maß und Ordnung zugrunde, wie sie auch der Wohllaut verkörpert (Franz Werfel).

Auch wenn man sich des Vorteils begibt, der im unbegrenzten Reichtum der Formen liegt: Man übersieht, daß eben die Form – wenn schon durchbrochen – so doch unendlich modellierbar, variierbar (musikalisch gesprochen „figurierbar“) ist und unerschöpflich neue Ausdrucksmöglichkeiten bietet. Dadurch wächst die Gefahr, dass die Aussage oder Botschaft einer Eintönigkeit erliegt, die besonders bei längeren Expektorationen an Integrität, an Intensität, an Sprengkraft verliert.
Mag dann die Textualität dank (scheinbar) noch soviel Unordnung oder Gedankensprüngen – die nicht ganz leicht nachzuvollziehen sind, dank (scheinbar) noch so willkürlich abgebrochener Zeilen (Versen?) und des stilistischen Enjambements (das aber nicht metrisch ist!) –, mag diese Textualität also noch so vieldeutige, meist satirische Aussagen enthalten, auch wenn sie vielleicht dank graphischer Anordnung mehr auf optische als auf auditive Wirkung aus ist! Ob eine an sich schon provokatorische Absicht das in einem Sprachkunstwerk nötig hat, mag dahingestellt bleiben. Es ist ohnehin genug Bemerkenswertes da, ob aphoristisch, ob metaphorisch, lyrisch oder meditativ. Vieles klingt rein diskursiv polemisch, und zwar so sehr, dass es wie Prosa wirkt. Aber auch wie Dichtung? Denn ein Vers ist aller Freiheit zum Trotz ein metrisches Gebilde. Was zwingt uns, Verse zu hören, während das Auge durch versöhnliche Zeilenordnung getäuscht wird und die Substanz alles andere ist als das, was die Poetik „freie Rhythmen“ nennt, weil das Maß immer noch durchschimmern muss. Denn: Diese Generation meint, den poetischen Rhythmus entbehren zu dürfen (zu können?), der ohnehin längst „ausgewandert“ ist. Und zwar in ein Bereich, das ihn allein in Beschlag genommen und sozusagen verabsolutiert hat, auch auf Kosten wirklicher Musik: der Tyrannei des Schlagzeugs, ihn also den genießerischen Sinnen, statt dem schöpferischen Geist untertan macht. (Um nicht vom dionysischer und apollinischer Kunst zu sprechen.)
Ist aber musikalischer Rhythmus gleich dem poetischen? Dieser vielleicht auch „Wohlklang“ = Euphonie zu nennende Rhythmus ergeht sich auf diesen Blättern auf der Ebene einer Imago, die ein Hörbild genannt werden dürfte. Es ist nicht zu leugnen, daß aufs Ganze gesehen in der ab und zu hymnisch anmutenden Diktion die Bitterkeit von Jeremia ihren Ausdruck sucht, der nach biblisch-alttestamentarischer Gepflogenheit Vers genannt wird – obgleich in dieser Sprache von keinem Metrum die Rede sein kann, wohl aber von lyrischer Prosa. Freilich unterscheidet sie sich durch ein wesentliches Element etwa von den Sprüchen Salomonis u.a. Das ist die Ironie, die auch sich selbst und das eigene Ich nicht verschont.
Im allgemeinen gewinnen wir den Eindruck von rezitativischer Sprache: eines Parlando, das auch von weitem an kein Metrum gemahnt, ganz gleich welchen Inhalt sie mitteilt:

also lege ich los indem ich gleichzeitig leugne und gestehe
was die einen nicht gesagt
was die anderen nicht getan
die Regeln
die Regelwidrigkeiten
zeigen sich ebenso gefügig wie verschwiegen
mir bleibt nur übrig meine Wahl zu treffen…
(„Liebesnacht“)

Dies ist der springende Punkt und hier wird er beim Namen gennannt: „gleichzeitig leugne und gestehe“, sich „gefügig und verschwiegen“ zwischen Regeln und Abweichungen ergehen – also zwischen Gebot und Verbot. Das heißt: Alles zu sagen auch das Unerträgliche, das von Machthabern Verbotene, es aber so zu sagen, daß es ist, als ob nichts („Böses“) und doch mehr, als was da geschrieben steht, gesagt wird – nämlich die verbotene Wahrheit.
Soweit und soviel, was die Botschaft betrifft. Freilich ist diese Botschaft durch die Form, in der sie übermittelt wird, verfremdet. Man könnte sagen: Der Leser werde dank der formalen Schlitzohrigkeit der Aussage hinters Licht geführt. Und doch ist gerade diese Form längst legitim und dem verständigen Kenner vertraut.
Zweihundert Jahre nach Jean Paul – Friedrich Richter, dem deutschem Dichter zwischen Empfindsamkeit und Romantik, fühlen wir uns an den von ihm gepflegten „Streckvers“ = Polymeter erinnert: Sein „elastischer Poet“ Walt, eine der Hauptgestalten des Romans Flegeljahre (1804) erfindet die und gefällt sich in dieser Form stark rhythmisierter Prosa, der aber ein eigentlicher Verscharakter, das gleichbleibende Metrum fehlt. Unsere schnellebige Zeit bedient sich noch „expressiverer“ stilistischer Mittel. Dazu gehören Aufzählungen im Telegrammstil, elliptische Sätze ohne Prädikat, drei- bis vierfach überdehnte Zeilen (die der „Streckvers“ auch schon vorwegnimmt), Interpunktionslosigkeit, Definitionen, Metaphern der Materialität statt Musikalität, Neologismen und anderes:

„… Bedeutungen haben längst keinen Bezug mehr
außer dem halsstarrigen Wunsch
sie aufzuzählen…“

(das Verhehlen
einer solchen Sachlage
setzt eine gewisse Solidarisierung mit der Arbeit
des Sternputzers voraus – etwa die Einbildung
einer Abenddämmerung –
es ist ein Schwert mit zwei Schneiden
geschliffen auf Drängen
des einsamen Schwimmers)

die Bestandsaufnahme
der Phrasen ist unverändert
nur der zerbrochene Buchstabe blinkt
über der staunenden Regenbogenhaut des Wortes
(Sein oder Nichtsein im Getöse
dieser Vergeblichkeit gleich dem Ozean
der erschauert wenn du beim Durchwühlen
seiner Eingeweide um Hilfe rufst
wohl wissend dass dich niemand hören kann)“
(„Abgang von der Bühne“)

Ähnlich die Conclusio oder das Fazit nach einer Folge von an sich unsentimentalen Betrachtungen über das eigene Verhalten unter bestimmten Umständen:

„… bedeutet es doch
dass er eines wahren Gefühls nicht fähig ist – gerade er
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaader noch hofft
seine ganze Liebe in einen Vers zu fassen?“
(„Wenn“)

Da fällt das Stichwort „Gefühl“ – und es scheint hier als positive Eigenschaft gewertet, auch wenn es dem Subjekt angeblich abgeht. Darüber hinaus gibt es also den Wunsch (die Absicht?), einen gültigen Vers fertigzubringen – das heißt, nach allen Regeln der Kunst. (Aber welche sind gemeint – wenn nicht die Abweichung die Regel ist – siehe oben?) Und schon Rilke sagte vor mehr als zwei Menschenaltern:

… Ach, aber mit Versen ist so wenig getan, wenn man sie früh schreibt… Denn Verse sind nicht, wie die Leute meinen, Gefühle (die hat man früh genug), – es sind Erfahrungen…
(„Malte“).

Freilich, Erfahrungen hat diese Generation genug. Leider meist einseitige, das haben sie Zeitläufe mit sich gebracht, das Exil eingeschlossen und die Intoleranz hier wie dort: Denn es gab ja nicht nur das antifaschistische Exil, es gab auch den eisernen Vorhang und es gibt den Fanatismus jeglicher Fundamentalismen und Couleur. Obwohl nur wenige wissen oder wissen wollen, was hinter solchen Schranken vorging und vorgeht. Über solche Erfahrungen kann keiner mitreden, der sie nicht gemacht hat, aber meint, sie missachten oder kleinreden zu dürfen. Denn solche Missachtung ist selbst wieder Provokation und darf nicht Anlaß zu Ärgernis finden, wenn die poetische Reaktion ihrerseits brüskiert, weil der Sprecher verletzt ist.
So fühlt sich diese Dichtung in Gefahr, zur polemischen Oratorik zu verflachen oder auch zu „nostalgieren“. Dagegen hilft dann das ironisch-jokose, ans Absurde grenzende Ingrediens wie, unter anderen, in der Satire „Ragout in der Steppe“. Man möge dem Nachdichter hier die Absicht verzeihend zugutehalten, dass er diesen im Original zum Hexameter gravitierenden Versen mit dem Metrum ein Gran Ironie zugesetzt hat, um dem (landfremden) Leser durch den Gegensatz zwischen fester Form und Burleske in der Persiflage des gesetzlosen Geschehens die Absurdität auch der Lage zu suggerieren. Diese Lage zwang die Entrechteten in der Deportation zur Selbstbewährung, auch wenn einer sich gegebenenfalls mit dem Teufel verbrüdern musste. Es ist bei genauem Hinsehen eine Parodie auf das biblische „Hier lasst uns Hütten baun“ (Matthäus 14,4).
So ist etwa Europa – spätestens seit dem Kosowo-Krieg – um ein Rätsel reicher. Dies Rätsel lautet: Was geschieht auf dem Balkan? Oder genauer: Was ist der Balkan? Wer es nicht versteht, die Zeichen zu deuten, wird dies Rätsel nie lösen. Das heißt, ein Landfremder darf nicht seine Maße anlegen. Das heißt: Schon in der Wirklichkeit sind die Zeichen anders zu setzen als in der Vorstellung. Um der Eindeutigkeit willen gebraucht die Schrift – wenn es darauf ankommt – Satzzeichen. Wenn aber solche Satzzeichen fast durchwegs fehlen? Heißt das dann nicht, daß ein Text zwar so oder so, aber auch so und so gelesen werden kann (soll) – dass (weil) nichts nur das ist, wofür es sich gibt. Was etwa sind Schweine, die „gezüchtet in Nischen den Grauzonen der Planwirtschaft waren“? Was sind Händler mit „mehr oder weniger voraussehbaren Herkunft“? Wo sind sie versammelt? Steht nicht auch ein Statist oder ein Requisit für etwas anderes? Kurz gesagt (und nicht nur im Bilde): Es war „wie zu Zeiten des Krieges behaupteten die Alten – wer hätte ihnen widersprechen können?“ Wer ist Käufer, wer Verkäufer, was echtes Geld? Wer lässt schlachten, wer ist Schlächter, wer die Staatsgewalt? Wer ist der Verschleppte, wer sind Treiber, wer Vertriebene, wenn alles austauschbar ist wie Täter und Opfer und das Misstrauen umgeht? (Ragout in der Steppe).
So widerspricht simple kausale Logik unter diesen Umständen der nackten Wirklichkeit und umgekehrt. Dass die Kunst sich das zunutze macht, ist nicht nur ihr gutes Recht, selbst wenn es ihr nicht darum geht – um mit Paul Klee zu sprechen –, Sichtbares darzustellen, sondern Unsichtbares sichtbar zu machen. Es ist vielmehr unumgänglich „die „mutatio rerum“ beim Wort zu nehmen, die Unordnung der Welt nach Gesetzen einer höheren Ordnung quasi dingfest zu machen und Ereignis werden zu lassen. Dahin geht die Bemühung von Traian Pop Traian und das ist seine erstaunliche dichterische Leistung. Nur muss der Leser ihm die Bereitschaft entgegenbringen und diesen Weg mit ihm zurücklegen. Er muss die gewohnten Vorstellungen, seine Erwartungen – sich selbst – ändern, einsehen, dass die Welt sich bis zur Unkenntlichkeit geändert hat, die Welt – oder was? Dass seine vermeintlich unantastbaren Begriffe von Regeln und Kunst falsch sind wie die von Wirklichkeit und Wahrheit. Denn, um mit Brecht zu reden:

die Verhältnisse, die sind nicht so.

Und die Verhältnisse, in denen nichts mehr zu einander, weder zu sich selbst noch zum Gegenteil stimmt, sind das A und O jeglicher Einsicht und wahrhaftigen Aussage: erst recht, wenn sie poetisch ist und nicht ein X für ein U ausgibt. Da ist dann eine Katze etwa keine Katze, so wenig wie der Mond noch Mond, und es treten Beziehungen zwischen den Dingen auf, werden wirksam, und wir begreifen, daß die Welt auch von der uns abgewandten Seite gesehen werden kann (muss) und dann erst rund ist, nach der grundeinfachen, mindestens zweihundert Jahre alten Feststellung von Matthias Claudius:

So sind wohl manche Sachen,
die wir getrost belachen,
weil unsere Augen sie nicht sehn

So ist es denn sehr die Frage, wie in einer absurden Welt, die als vermeintlich „beste aller möglichen Welten“ schon von Voltaires Candide ad absurdum geführt wurde, Gedichte zu schreiben sind. Wenn es nach Ion Camion schon unmöglich ist, die Gattung Gedicht erschöpfend zu definieren! In einem unverwechselbaren Gebilde von bestürzender Ironie suggeriert Traian Pop Traian die „Möglichkeit“ des Gedichts und – über die bloße Möglichkeit als Gedicht hinaus – die Notwendigkeit seiner Vollendung in der Idee. Schon in den Gefängnissen und Zwangslagern des „Sozialismus mit menschlichem Gesicht“ ging das Wort eines Wärters um, das die Häftlinge dann mit grausiger Ironie zur Ermunterung einander zuriefen: „Lass die Logik, Kumpel, die hat hier nichts zu suchen.“ Anders gesagt – oder etwa im Bilde eines Schmierenkomödianten zur Frage erhoben: Wie „ein Tablett getragen wird“? Wird dem Regisseur der Versuch je gelingen, die Dinge ins rechte Lot zu bringen, ohne sie noch mehr zu verwirren? Wer ist überhaupt dieser „Regisseur“? Wenn selbst der Stückeschreiber („unaufmerksam, wie er ist“) solche Kerle sich hat einschleichen lassen, ehe sie auch nur gelernt hätten, „die Wahrheit und nichts als die Wahrheit zu sagen“, aber sonst jederlei Unfug stiften! – Diese tragikomische Szene steht als Metapher für die Groteske des gelebten und „erfahrenen“ teatrum mundi, mit Scherz, Satire, Ironie und tieferer Bedeutung.
So sind diese „Texte“ eigentlich gegen den Strich zu lesen. Ihre scheinbare Formlosigkeit suggeriert für den, der Augen hat, hinter die Dinge zu schauen, und Ohren, tiefer hineinzuhören, bei aller Ungebärdigkeit die Unverletzlichkeit der poetischen Idee (wenn man bereit ist, auch im platonischen Sinn). Wie alle Kunst unserer Zeit bedingt sie Einverständnis mit der (stillschweigenden) Übereinkunft, dass das Schöne, außer gut und wahr, auch das Versprechen von etwas Höherem sein muss. Dieses Höhere müssen wir beim Lesen in uns finden. Bereitschaft ist der Schlüssel, Umstände der Entstehung sind Akzidentien, Begegnung kann zu Erfüllung werden – wenns hochkommt zu Selbstfindung: Offenbarung eines Geheimnisses, hinter dem noch mehr Geheimnisse, auch hinter möglichen Fratzen, auf unsere Entdeckung warten. Als Bemühung eines schöpferischen Geistes gegen alle saekulare Zerstörung. Dieser Geist muß aufbegehren und sich aller (sprachlichen) Mittel bedienen, auch wenn sie in gewissem Sinn immer einem Konformismus des Nonkonformismus Ausdruck geben. Sprache an sich ist ein Konformismus, und doch wird ein unverdorbener Kopf sie in unverkennbarer eigener Weise mehr oder weniger konform gebrauchen. Aber wenn er ein Dichter ist und auch nur von altbekannten Dingen spricht, wird es sein, als ob sie noch nie gesagt worden wären, und wir lernen durch ihn sie neu sehen. Freilich – hat das auch seine Zeit.

Georg Scherg, September 2000, Nachwort

 

Traian Pop Traian,

ein aufbegehrender Schriftsteller der Generation ’80, der Lyrik, Prosa ,zornige‘ Dramen und Anti-Ceausescu-Texte verfasst hat, meldet sich nun zurück nach einer Weile der Abwesenheit, die wir schmerzlich empfunden haben – wir alle, die Zeugen seines fulminanten Eintretens in die literarische Arena gewesen sind. Damals, in den Jahren des jungen Temeswarer Geistes.
Die 53. Woche ist nicht nur ein Buch, das Erlebtes ins Gedächtnis ruft und in neuer Gestalt auf seine Seiten bannt, es handelt sich vielmehr um einen erfrischend lebendigen ,Roman‘ von bemerkenswerter Ausdruckskraft. Die Jahre pulsieren hier wie in kaum einer anderen Neuerscheinung. Traian Pop Traian ist beunruhigend jung geblieben.

Cornel Ungureanu, Pop Verlag, Klappentext, 2013

 

Prosagedichte von Traian Pop Traian

nun ins Deutsche übertragen

– Der 1952 in Kronstadt geborene Autor hat bereits mehrere Bücher in Rumänien veröffentlicht, darunter auch  Săptămâna 53, das 1999 von der Akademie der Wissenschaften, der Literatur und Kunst Oradea preisgekrönt wurde. Nun ist nach dem Poem in drei Akten, Schöne Aussichten, auch Die  53. Woche  auf Deutsch erschienen, in der edition monrepos im eignen Pop Verlag. Die Lyrik darin stammt aus den 1970er und 1980er Jahren aus Temeswar sowie im dritten Teil aus den 1990ern bis Anfang 2000. Übersetzt wurde sie von Gerhardt Csejka, Horst Fassel, Edith Konradt, Johann Lippet und Dieter Schlesak. –

Zu Wort kommt in diesen Prosagedichten, die meist ohne Satzzeichen auskommen, zum Teil im Deutschen auch kleingeschrieben sind, ein kraftvolles lyrisches Ich in widrigen Zeiten in Rumänien und im dritten Teil dann in Deutschland und auf Reisen. Die politischen Hintergründe werden aber in der Meditation über die  Conditio humana  in den ersten beiden Zyklen nur angedeutet. Im Mittelpunkt steht die Befindlichkeit des Ichs, seine Trauer, seine Illusionslosigkeit, seine Bitterkeit. Autobiografisch geprägt, sprechen diese Gedichte von Konzerten und Aufführungen, denn auch der Autor war am Theater beschäftigt und arbeitete als Toningenieur. Es sind wehmütige Liebesgedichte mit dabei, vor allem aber wird ein Status quo des lyrischen Ichs beschrieben, wie im Gefängnis, eines gescheiterten Ichs: „wie ich hungrig / vom Schnee der mich eingeholt hatte“ (21), das seine Ziele zwar nicht hochgesteckt hatte, aber doch unzufrieden ist mit seiner Machtlosigkeit, seinem Schweigen.
Zum Teil ist seine Unauffälligkeit nur ein Spiel, das ihm aber selber missfällt. Das Schweigen nach außen hin, wird beredt im Gedicht, doch auch dieses ist nicht das wahre Sprachrohr, denn die großen Worte bergen eine Gefahr. Die Unzufriedenheit des lyrischen Ichs kulminiert im Gedicht „Die  53. Woche“:

In dieser Woche wurde ich geboren
und wirklicher kann ich in keiner anderen Woche des Jahres sein
trinkfreudig und lebenslustig – die ewig widerkehrende Null
(S. 44).

Das Ich mutiert aber zur dritten Person: „er gleicht einem Gespenst soll er sich doch von seinen Träumereien nähren […] / leichtsinniggekrümmtverrückt“ (S. 44) und spaltet sich dann in ein „Du“ auf. Die Meditation endet mit einem Abgesang auf „das zahnlose und bucklige Jahrhundert“, das dem lyrischen Ich ins Gesicht lacht. In dieser Situation sind auch Gedichte sinnlos, da alles gesagt ist, der Winter lässt einen verstummen. Belangloser als eine Mücke, ein Grashalm, ein Staubkorn stellt sich das lyrische Ich dar und „nur der zerbrochene Buchstabe blinkt“ (72). Hoffnungsfroher kommt der dritte Teil daher („Alles ok“), nun handeln die Gedichte aber vom Befremden und die Unzufriedenheit wird hinübergerettet mit der Auswanderung.
Als Rebell der achtziger Jahre, als Zorniger, wird Traian Pop Traian von Georg Scherg im Nachwort bezeichnet, und tatsächlich, sein kraftvolles lyrisches Ich lebt diesen Zorn über die  Conditio humana  aus und ist dadurch auch jetzt noch hochaktuell.

Edith Ottschofski, Siebenbürgische Zeitung, 2.11.2014

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Elke Engelhardt: Traian Pop Traian
fixpoetry.com, 26.3.2015

 

 

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