Anthologika
Teil 14 siehe hier …
Pathos und Demut (das «Prangen» und die «Sternlein») finden in den drei zitierten Anfangsstrophen völlig unangestrengt zusammen – dieser Anfang könnte schon das Ganze sein: Doch es folgen vier weitere, ganz anders geartete Strophen, in denen Claudius seine objektive Anschauung des nächtlichen Standbilds aufgibt und ihm einen moralischen beziehungsweise moralisierenden Touch verleiht, nimmt er doch das «Wunderbare» der Natur mahnend in Schutz vor den «Luftgespinsten» und «Künsten» von uns «Menschenkindern», die wir bloss «eitle arme Sünder» sind; eine spätere Strophe lautet dementsprechend:
Gott, laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
aaaaaNicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden,
Und vor dir hier auf Erden
aaaaaWie Kinder fromm und fröhlich seyn!
Hier wird Einfalt gegen Verstand und Wissen und Können eingefordert, Vergängliches wird pauschal abgewertet gegenüber dem ewigen göttlichen Heil, menschliches Tun und Lassen soll befreit werden von seiner üblichen «Eitelkeit», und praktizierte Unbedarftheit soll uns dazu verhelfen, «wie Kinder fromm und fröhlich» zu sein. So mutiert das zunächst schlicht und schön eine nächtliche Naturkulisse beschreibende «Abendlied» zu einem frömmelnden Abendgebet, das als solches – in seiner offenkundigen Stereotypie – nichtssagend bleibt, mit klischeehaften Sätzen wie diesen: «Gott, lass uns dein Heil schauen, | Auf nichts Vergänglichs trauen.» Oder: «Verschon uns, Gott! mit Strafen, | Und lass uns ruhig schlafen!» Sätze, die damals in jedem Gebetbüchlein zu finden waren.
… Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
Schreibe einen Kommentar