Felix Philipp Ingolds Skorpioversa – Bildgedichte (Teil 18)

Bildgedichte
Eine kleine kommentierte Anthologie

Teil 17 siehe hier

Paul Eluard hat mehrheitlich Gemälde des europäischen Modernismus zum Anlass lyrischer Annäherung genommen. Der schwindende, in manchen Fällen völlig geschwundene Realitätsbezug der zeitgenössischen Malerei liess ihn nach Wegen und Mitteln suchen, auch ungegenständliche Bildwerke dichterisch adäquat zu erfassen, Werke also, die nicht mehr ihrem Inhalt (ihrer Aussage) nach, sondern einzig aufgrund ihrer Form- und Farbgebung (ihrer Komposition und Materialität) «besprochen» werden können.
Picasso, mit dem Eluard eng befreundet und künstlerisch verbunden war, bot zu diesem Exerzitium besonders viel Anschauungsmaterial – figurative, kubistische und surrealistische Werke gehörten gleichermassen dazu. Das Bildgedicht sollte nun zu einem «irrationalen Kommentar der Malerei durch die Dichtung» werden, und Eluard fand und entwickelte dafür ein adäquates, ganz neues Konzept, indem er sich nicht nur an bildnerischen Einzelwerken abarbeitete, sondern immer auch die Künstler, ihre handwerklichen und stilistischen Besonderheiten, bisweilen ihr Atelier und ihre Arbeitsweise in den Blick nahm. Das Bildgedicht wird solcherart als Widmungsgedicht bewerkstelligt.
Exemplarisch für dieses Verfahren ist die Picasso gewidmete Gedichtfolge «Die Arbeit des Malers» aus dem Band «Ununterbrochene Poesie» (Poésie ininterrompue, 1946), ebenso die viel frühere Lyriksammlung «Hauptstadt der Schmerzen» (Capitale de la douleur, 1926) mit Widmungsgedichten an die Bildkünstler Masson, Arp, Braque, Picasso, Chirico, Klee, Max Ernst u.a.m. – «Sehen heisst verstehen, beurteilen, umgestalten, vergessen und sich vergessen, sein oder verschwinden.» Dieses Credo aus dem Sammelwerk «Zu sehen geben» (Donner à voir, 1939) ist zugleich die Formel für Eluards dichterische «Nachbildungen» zeitgenössischer Kunst.

… Fortsetzung hier

© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik

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