Bildgedichte
Eine kleine kommentierte Anthologie
Teil 3 siehe hier …
Funktional bietet das Bildgedicht eine Vielzahl von Möglichkeiten.
Es kann, ähnlich wie die Bildbeschreibung, ein Kunstwerk mit sprachlichen Mitteln gesamthaft wiedergeben, dies jedoch in dichterisch instrumentierter und komponierter Form.
Bevorzugte Vorlagen sind dargestellte (historische, mythologische, literarische oder anonyme) Personen, darunter Regenten, Militärs, Würdenträger und Helden aller Art, aber auch abstrakte Figuren mit konventionellen Requisiten und Bedeutungen (Eva, Venus, Odysseus, Judas, Don Quijote, Othello, Robinson), ebenso Tiere als reale oder symbolische Gestalten (Dürers Hase, Marcs Pferde, Picassos Stiere beziehungsweise das Einhorn, die Nixe, der Kentaur).
Weit verbreitet ist das Bildgedicht als Bildnisgedicht. Porträts von namentlich bekannten wie auch von anonymen Persönlichkeiten und Symbolgestalten kommen dafür gleichermassen in Frage. Hier ein paar Beispiele dazu.
Zu Leonardos Mona Lisa (La Gioconda) liegen Dutzende von Bildnisgedichten vor, meist mit dem stereotypen Verweis auf die Schönheit, das Lächeln, das Geheimnis der unbekannten Frau, die dabei oft direkt (als «du», als «Sphinx», als «Sibylle») adressiert wird:
… welch Schicksalswort | Birgt sich in deinem Mund, der lächelnd sich versagt? | Geheimnisvoll deine Vollkommenheit! Zu schön das Rätsel! […] Bleib heiter, siegreich, unnahbar; | Und lächle ohne Worte weiterhin! (Edward Dowdon)
Sie ist älter als die Felsen, zwischen denen sie sitzt; | Wie der Vampir | War sie vielfach tot | Und eignete sich die Geheimnisse des Grabes an […]. (Walter Horatio Pater)
Es lächelt die Gioconda … Welch’ Beglücken, | Welch’ Traumland wohl versetzt sie in Entzücken? | Wohin wohl ihr verschleiert Auge schweift? (Manuel Machado)
Eine Frau: so täuschend | sittsam das schwarze Haar, | dunkel erscheinend | eine fremde Gefahr. || Nichts um ihre Augen, | die erschreckend klar | jede Schwäche kennen, | die in uns ist und war. (Cor Klinkenbijl)
nur ihr gleichförmiges lächeln | der kopf das reglose pendel || ihre augen träumen die unendlichkeit | aber in den blicken schlafen schnecken (Zbigniew Herbert)
… Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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