Poesie und Poetik des Namens
Beispiele, Analysen, Kommentare
Teil 4 siehe hier …
«Mit klappernden Zähnen am Morgen Sophie» – mit diesem ingeniösen Titel hat Günter Eich eins seiner frühen Gedichte (in «Abgelegene Gehöfte», 1948) ausgestattet. Die hier genannte Sophie wird nicht direkt angesprochen, sie wird vom lyrischen Ich in der dritten Person Einzahl genannt, charakterisiert und kritisiert:
Nachts besucht mich keine
als die Kalte Sophie.
Sie greift mir frech an die Beine
und stösst mir Frost in die Knie.
Sie ist ganz die meine.
Mit eisiger Koketterie
schmiegt sie sich an mich, die Kleine,
so lüstern kannt ich sie nie.
Dass ich vor Ohnmacht weine,
darum hasse ich sie,
sie, die einzige eine
Nacht der Kalten Sophie.
Die Kalte Sophie, die letzte der drei Eisheiligen von Mitte Mai, tritt in diesen eintönig gereimten Strophen provokant an Stelle der ausbleibenden Geliebten auf – sie kommt nachts, wird sogleich übergriffig, schmiegt sich «mit eisiger Koketterie» an den Mann, der sich überrascht zeigt von ihrer kalten Lüsternheit und darob in ohnmächtigen Hass gerät, Hass auf diese Sophie, die er mit Frost und Nacht gleichsetzt.
Die «kleine» heilige Sophie steht hier stellvertretend für eine frigide Liebe und gewinnt dadurch eine überpersönliche Anmutung, die das Erleben des Autors transzendiert und auch für Aussenstehende nachvollziehbar wird.
… Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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