Du hast die Regeln aufgetrennt.
Nie wollte ich mit dir
Umspannwerke fotografieren,
im „Salon des Amateurs“ feiern.
Auch wollte ich nicht
mein Collier
von Kiev Stingl
mit dir teilen
oder dir eine Insel in den Strom bauen.
Aber wollen wollte ich dich schon.
Stimme: Marit Beyer
Sound: Alexandros Konstantaras
Cover: Johanna Hansen
Stimme, Video: Jana Kerstan
Stimme: Lilian Wilfart
Video: Engin Akyurt
Poesiegewähr ohne Bitterstoffe
Gedichte sind kein Moratorium, vielmehr eine umarmende Vision. Stehen ein. Für das, was kommt. Selbst dort, wo sie sich einer Lebensinventur stellen und „das ES reiten“. Dem, was heute ist. Weil es war. Bisweilen gewesen ist. Was nachwirkt. Das Vergangene also stets im aufgreifenden Blick; letztlich die Versaugen: jetztlich.
1 Schauen aus Wörtern, die sehen. Im Aufhören dieser Wahrnehmung lichten sich Erkenntnisse und eine poetische Seins-Form: 1 Versenkung. Die Bilder fortwährend am Ohr des Atems. Ohne Lähmung 1 Gestaltetes der Natur, das dem Wesentlichen nicht entkommen will. Sprache geprüft am Sprechen. Im Ansprechen, am Zuspruch: Ein JA. Hier DU. Hier ICH. Und: Hier ES. Ge:schichten werden Zeug*innen des Gelebten – auch das anderer. „Bitte versuchen Sie mich nicht / in Begrifflichkeiten zu fassen“, sagt Jane Wels. Die Verse, die sie bündelt, schaffen eine ernsthafte Leichtigkeit. Wissen ES. Wider die Schwere der vergänglichen Uhren, deren Zeiger ausgestreckte Hände sind.
Kontemplation wirft die Zeit ins Ruder. Damit werden Gedichte künftig. 1 Betr:achtung, in der uns die Lektüre dieser hier vorliegenden Miniatouren anredet und sich auffädelnd ins Zugewandte kristallisiert: 1 Immer-Morgen; 1 Stets-Nach-Vorn; 1 Wissensgarn, das 1 Angelschnur sein darf. Geflochten aus dem, was nicht nur einstmals war, sondern dereinst gewesen sein wird. IST. Und jeder Buchstabe schmeckt. Wie Jane Wels ES schreibt:
Jeder Buchstabe
schmeckt nach dir
ES offenbart das Unerschütterliche eines Lieb- und Leibgedichts. ES wird so Hand. ES wird so Berührung, wird so Duft der fragenden Fingerkuppen ihrer erlebten Imagination, die jegliches Wort und überall aufhört. Wie lustgeklärt, wie poetisch! Ich kann sagen: Jeder Buchstabe schmeckt ebenso nach ihr. Nach Jane Wels. Ein Mund, der Wörter kostet und sich nicht zum Schweigen legt, weil an den Worten irgendwann der Hunger genagt hätte.
Jane Wels ist die lyrische Kontinuität gelungen. Nach ihrem in diesem neuen Buch nun aufgesprungenen Debüt Schwankender Lupinen. In späteren Lebensjahren keimt ES in dieser Sammlung einen Zweitling, der wie schon der erste Lyrikband aus dem Jahr 2024 ein lichter Mitling wird:
Ich schaue sie an,
die Jahre,
wie sie mir anhängen,
werfe ihre Zahl an den Haken,
(…).
So kann der Dialog mit den Leser*innen beginnen. Ein Dialog, der sich durch den eingefühlten Gedankenfluss rankt. Ein Du im Lauf der Jahre, die sich hier in Gedichten einfinden. Die sich auflösen, einlösen; fortgelöst:
„Are you German“
„I don’t know who I am
I am in love.“
Mehr ist nicht zu sagen als dies: Jane Wels Poeme buchstabieren nicht nur eine, sondern die Lieb. Eine Liebe, die sich auskennt. Die Jahre erzählen’s. Oder wie es in einem mich sehr vereinnahmenden Gedicht als respektvoller Ausdruck pocht und der wunderbaren Rebecca Horn gewidmet ist:
(…) und die Zeit öffnet sich
Vielleichter oder wahrscheinlicher noch ist die Bedeutung dieser so barfüßigen Gedichte genau das: Zeit, die sich öffnet, weil sich diese Verse Zeit ins ES genommen haben. Zeit, die über die Jahre hinausweist.
José F.A. Oliver, Vorwort
Sehfeld und Imagination
Es sind die alten Fragen, die nach einer Lektüre der Gedichte von Jane Wels auftauchen: Warum und auf welche Weise gelangen die Ideen, Gedanken, Beobachtungen und Empfindungen aus dem Körper der Schreibenden (zu denen unbedingt das Zerebralsystem zählt) aufs weiße Blatt Papier – oder zunächst nur in die Tasten des PCs? Wodurch wird der Impuls zum Schreiben ausgelöst – durch die Inspiration, die Einhauchung des Geistes, von außen, wie beim mythologischen Schöpfungsakt? Oder sprechen die Dinge etwas in uns an, das mit einem Gedicht antwortet; oder ist es als Erstes der Geist, der sich bereitmacht, um seinerseits auf die Dinge reagieren zu können?
Der schöpferische, dichterische Prozeß mag individuell mal eher auf die eine, mal eher auf die andere Weise geschehen. Er läßt sich analysieren, jedenfalls bis zu einem gewissen Maß, aber er bleibt trotzdem geheimnisvoll, numinos, unerklärlich. Deshalb hat Jane Wels für ihren zweiten Gedichtband einen treffenden Titel gefunden, der diesen Umstand ins Bild einfängt: Dem Es, dem Unbewußten, Unbezwingbaren, Wilden sind die Zügel einer gewissen Kontrolle angeschirrt. Damit ist allerdings kein irgendwie gelenktes automatisches, auch kein ,halbautomatisches‘ Schreiben in der Bedeutung der französischen Surrealisten gemeint. Nur die Rittigkeit des Es.
Das Wilde, Ursprüngliche wird zugelassen, es darf die Bildlichkeit bestimmen, es muß fließen dürfen, ohne sich um die Konventionen von hohem oder niedrigem Stil, von Originalität oder Allusionen kümmern zu müssen. Es tränkt sich am Quell der Hippokrene nach Belieben und nährt die Leidenschaften. Die Gedichte von Jane Wels sind nämlich keine – im doppelten Sinn – ,reinen‘ Kopfgeburten, sie strotzen vor Lust am Sinnlichen, vor Erfahrung und Erfreuung der Sinne an der Welt. Doch wird hier nicht der Befriedigung des Selbst gefrönt, sondern vielmehr immer nach einem dialogischen Prinzip geforscht, sei es durch Anrufung oder durch Herbeirufung eines Du. Und auch das Ich, das als Gegenpart eines Du nötig ist, schlüpft immer wieder in andere Rollen, andere Gestalten, selbst unbelebte, wie die Oortsche Wolke.
Fließendes, Faserndes, Verlaufendes fasziniert die Dichterin; immer wieder finden vogelflügelschnelle Traummetamorphosen statt, sie ebenfalls eine Entgrenzung des Ichs durch das schreibende Es. Doch sind diese Gedichte nicht nur „Selbstoffenbarung“, sie zeigen auch, für kurze Augenblicke, eine paradiesische Welt der Phantasie, der Imagination, die sich aus allem, was sie umgibt, bedient und entflammt.
Das vorliegende Buch schließt beinahe nahtlos an den Vorgängerband an. Wie an einer Perlenschnur aufgehängt, reihen sich die Kleinod(i)en aneinander, in geschliffener Rohheit, unmittelbares Kraftfutter für Verstand und Gefühl. Das Unbewußte flüstert seinen Rosen-Kranz!
Jürgen Brôcan, im Juni 2025, Nachwort
Jane Wels
hat für ihren zweiten Gedichtband einen treffenden Titel gefunden, der den geheimnisvollen dichterischen Prozeß einfängt: Dem Es, dem Unbewußten, Unbezwingbaren, Ursprünglichen, Wilden werden die Zügel einer gewissen Kontrolle angeschirrt, trotzdem darf die Bildlichkeit fließen, ohne sich um Konventionen von hohem oder niedrigem Stil, von Originalität oder Allusion kümmern zu müssen. Immer wieder finden vogelflügelschnelle Traummetamorphosen statt, auch sie eine Entgrenzung des Ichs durch das schreibende Es. Diese Gedichte zeigen für kurze Augenblicke eine paradiesische Welt der Phantasie, der Imagination, die sich aus allem, was sie umgibt, bedient und entflammt.
edition offenes feld, Ankündigung
Beiträge zu diesem Buch:
Michael M. Seehoff: Das Es reiten – Neuer Lyrikband von Jane Wels
blog.lerchenflug.de, 20.7.2025
Walter Pobaschnig: Jane Wels: Das Es reiten. Gedichte. edition offenes feld
literaturoutdoors.com, 15.7.2025
5 Fragen an KünstlerInnen zur Gegenwart. „Packt euer Stück Leben am Schopf! Es gehört euch.“ Jane Wels, Schriftstellerin _ Baden-Baden/D 21.6.2024








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