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es sieht mir ähnlich
wenn ich in Mitteleuropa
so gehe als käme ich
gerade aus Asien
kurz vom Pferd gesprungen
mit Steppengras im Haar
kaufe mir Stutenmilch
werde sie trinken
oder lieber Benns Gedichte
wieder lesen
der in der Bozener Straße wohnte
durch die ich jetzt gehe
als käme ich gerade
aus Asien
Die Gedichte in diesem Band sind geografisch präzise, Gedichtskizzen, nummeriert von 1 bis 110, ohne Titel, Annäherungen an die neue, verwandelte Stadt. Sie erzählen vom Flanieren durch das moderne Berlin mit Sonycenter und dem Café Einstein Unter den Linden, Orten, die die Autorin wie eine Touristin abzulaufen scheint. Aber Aldona Gustas’ Berlin ist auch das ihrer persönlichen Geschichte, das der Nachkriegszeit. Es ist mit historischen Vorgängern wie Rahel Varnhagen und „der Kollwitz“ bevölkert, ist ihr Vilnius, Wien, Florenz, Paris oder andere Städte, weckt die Lust dorthin zu fahren. Es sind auch allgemeine Reflexionen über das Erleben einer anonymen Großstadt, und zum Schluss denkt die Autorin über gelebtes, möglicherweise ungelebtes und noch zu lebendes Leben nach.
Eine Autorin, die es sich lohnt kennenzulernen, auch in früheren Bänden oder im Querschnitt. Gesammelte Gedichte 1962–1992, ebenfalls bei der Eremiten-Presse. Empfehlenswert sind auch die Symbiosefrauen beim Corvinus-Verlag.
Waltraud Schwab: Aldona Gustas
Waltraud Schwab: „Ich liebe ihn mehr“
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