Rosmarie Waldrop: Ins Abstrakte treiben

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Rosmarie Waldrop: Ins Abstrakte treiben

Waldrop-Ins Abstrakte treiben

BANK-GELD

Gibt es ein Maß auf Erden? Gold wurde dafür gehalten. Standard, an dem zu messen war. Nicht eine Farbe, die im Dunkel verschwindet. Unverändert, während sie den Ochsen ersetzt, den Laib Brot, die Bohne.

Kein Preissystem hält das Licht auf einem Gesicht zurück, nicht einmal in der Erinnerung. Obwohl das Gold der Sonne den Saft beschleunigt, der in den Blättern kreist. Und einen Holztisch riechen lässt nach Wald und erinnert an stoßweises Schluchzen. Und Butter im Mund schmilzt.

Gold war kostbar, noch ehe ein Fürst sein Antlitz draufprägte. Und kehrt zu dem zurück, was es war. Was also fügt der Akt des Bezeichnens hinzu? Einen Grad von Abstraktion? „Höher?“ Wie die menschliche Seele angeblich mit dem Geist eines Tieres in die Welt schlüpft. Aber durch die Majestät des offenbarten Wortes greift nach. Hoch droben. Die Sphäre der Nichtigkeit. Der alle Welten entspringen? Ist doch immer unser Hintern, auf dem wir sitzen.

Zeit bewegt sich durch Materie. Und Materie zerfällt. Der Rand des Blattes kräuselt sich und vergilbt. Die Haut erschlafft. Eine Kluft bildet sich zwischen „gutem“ Geld, der reinen Emission des Staates, und den abgenutzten (oder betrügerisch verschnittenen) Münzen in Umlauf. Zwischen barer Münze und einem erinnerten Gesicht bar aller Umrisse. Noch etwas toter.

Wegen dieses Spalts entstand eine neue Form von Geld in den Renaissance-Staaten mit internationalem Handel. Wie Venedig und Amsterdam. Nicht Währung im alten Sinn, sondern ein Versprechen der Zeiterstreckung. „Imaginäre“ Münze, ein Unterschied zwischen ist und meint, der Religionskriege wert ist. Sein globaler Wert ein fixes Gewicht Gold oder Silber und lokal eine variable Summe Goldgeld im Austausch dafür. „Bankgeld“, genau im Standard von Groschen, von Grips.

Und damit ein neuer Typus von Transaktion. Geld, gekauft und verkauft. Mit sich selbst in Beziehung tretend, als ob auch es den Spiegel einsetzen könnte. Aber ohne Spiegelung. Oder Licht, das sich darin sammelt. Ohne den Glanz eines Apfels vor den dunkleren Blättern. Ohne Halt in Gefühlen.

 

 

 

Von der Goldmünze

mit dem Fürstenkopf über das Papiergeld bis hin zum digitalen Geldstrom heutiger Bezahlsysteme verläuft die Entwicklungslinie einer zunehmenden Entmaterialisierung des gesellschaftlichen Lebens. Auch von der Erfindung der Null und der Entdeckung des Fluchtpunkts in der Malerei führen ähnliche Linien in unsere zusehends durch 0 und I bestimmte Gegenwart. Diese Tendenz zum Abstrakten wird in Rosmarie Waldrops Buch poetisch untersucht, indem sie die von Brian Rotman beschriebenen Beobachtungen aus der Position einer Frau neu artikuliert – einer Frau, die ihren eigenen Körper ins Spiel bringt und mitbedenkt. Er ist der unhintergehbare Endpunkt des Abstrahierens, ein konkreter Körper, den es nach anderen Körpern verlangt.
Waldrops poetische Sprache, sinnlich und abstrakt, schlägt aus dieser Engführung Funken, die irritieren und ein Feuerwerk an Denkanstößen bieten. Ein grandioser Text, der zugleich tut, was er verhandelt.

Edition Korrespondenzen, Klappentext, 2015

 

Beiträge zu diesem Buch:

Jan Kuhlbrodt: Zu Rosmarie Waldrop: Ins Abstrakte treiben
signaturen-magazin.de

Monika Rinck: Rosmarie Waldrop: Ins Abstrakte treiben
lyrik-empfehlungen.de, 2016

 

 

 

Ann Cotten und Elfriede Czurda über Rosmarie Waldrop am 15.9.2022 in der Alten Schmiede, Wien

 

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