Hans-Jean Arp: DAS EINE IST DAS ANDERE LAND: SCHÄL MIR EINE FEE

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Hans-Jean Arp: DAS EINE IST DAS ANDERE LAND: SCHÄL MIR EINE FEE

Arp-DAS EINE IST DAS ANDERE LAND: SCHÄL MIR EINE FEE

ÜBER DIE SPRACHE

eine rosenwolke
über einem starren seil

vom sommerhimmel
der in flammen steht
fallen ununterbrochen
wintermäntel

aber muß er die nabelringe
erst anziehn um sie auszuziehn?

nein er zittert nicht vor freude
er sagt einfach:
„an diesem garderobenständer
hängt ein gehängter“

eine morgenstunde läutet
jemand erwacht und ist aus glas

eine große schöne frau
in einem gesprungenen schalltrichter
balanciert auf der zunge
einen starren
limousinenzwerg

er zittert nicht vor freude
denn hat er die schlacht gewonnen?
die zahllosen haufen
arme und beine
müßten ihn beglücken
doch er sagt einfach
und offen:
„weiß hat die schleppe verloren
weich ist hart geworden
und rührt sich nicht vom fleck
und zwischen langsam und grau
weinen kommas punkte“

Übersetzt von Oskar Pastior

 

ÜBER DIE SPRACHE

Eine Rosenwolke
an einem straffen Seil.

Aus flammendem Sommerhimmel
fallen unaufhörlich
Wintermäntel.

Muß er Nabelringe
ein- und aushaken?

Nein, er erschrickt nicht vor Freude.
Er sagt nur:
„An diesem Kleiderhaken
hängt ein Gehenkter.“

Es schlägt die erste Stunde.
Ein Mann erwacht verglast.

Ein schöne edle Frau
in baufälligem Gartenhaus
hält ohne Bewegung
auf ihrer Zunge
einen Zwergmaurer.

Er erschrickt nicht vor Freude.
Hat er den Kampf gewonnen?
Die zahllosen
Arme und Beine
müßten ihn stärken.
Er aber sagt nur
und von ganzem Herzen:
„Weiß hat seinen Schweif verloren,
das Weiche ist hart geworden
und verläßt seinen Raum nicht mehr,
und zwischen dem Langsamen und dem Grau
weinen die Kommata Punkte.“

Übersetzt von Reinhard Döhl

 

 

 

Nachbemerkung

J’ai vu votre œuvre, Monsieur Arp,
A Montmartre, pays d’escarpes.
Que la critique vous écharpe,
Moi, je vous chante sur la harpe.
Max Jacob, 1915

Für die Festschrift zum 100. Geburtstag Arps, ZERSTREUUNG DES ALPHABETS 1986 (edition die horen, Bremerhaven), schrieb Erich Fried folgendes Gedicht:

JEAN ARP

Was sagt der Pyramidenrock
mit Einzahl Mehrzahl Rübezahl?
Daß Kunst Vertrauen haben darf
auf sich und ihre Lust und Qual

Und dir fiel immer aus und ein
was ausfällt schwer in deiner Zeit
du schlugst die „große Zeit“ in Holz
Papier und Stein uns kurz und klein

Und war sie arg und lang und bang
hast du – trotz allem Spaß – gewarnt
Nie hat das Falsche dich umgarnt
dem das bei Vielen doch gelang

Das eine wie das andre Land
war deine Heimat, deine Wahl:
Du warst einer, der gut bestand
mit Einzahl Mehrzahl Rübezahl

Fried weist in seiner Hommage auf zwei Aspekte der Arpschen Dichtung, die in den wissenschaftlichen Arbeiten zum Werk lange Zeit unbeachtet geblieben sind, erst seit 1986 vereinzelt und in Umrissen ins Bewußtsein gerufen wurden: einerseits Arps Kritik an den Verhältnissen, sein genauer Blick auf und seine Warnungen vor Entwicklungen, die den Menschen und seine Zukunft bedrohen, schließlich vernichten werden. Das Gedicht Arps als MAHN- und WARN-Gedicht (vgl. z.B. den Zyklus „Die ungewisse Welt“ von 1939/45 oder den Band Sinnende Flammen von 1961), als eines, das über die ERDE geht – ERDE: eines der Hauptwörter dieser Dichtung, in Relation zum Wortfeld WOLKE geradezu strukturierendes Denk- und Bildmotiv (Brunnen) seines lyrischen Sprechens: den Kopf unten, die Füße oben, Romantik und Büchner im Gedächtnis, eine poetische Zeitgenossenschaft, nicht verführbar, im Rekurs auf die Kunst und ihre Mittel, die er lebenslang als „konkrete“ verstand, Vorschlag zu einer FORM: das ist auch, vielleicht überhaupt erst ,Geschichtsschreibung‘. Zum anderen ist weithin lange unbekannt geblieben in der Bundesrepublik, daß Arp auch ein umfangreiches, durchaus eigenständiges französischsprachiges Dichtwerk geschaffen hat, von Marcel Jean zusammengetragen, kommentiert und 1966 bei Gallimard in Paris herausgegeben.
Die hier vorliegende Auswahl folgt in ihrer Zusammenstellung der Chronologie der französischen Ausgabe: sie beginnt mit dem ersten französischsprachigen Text Arps aus dem Jahre 1920 und endet mit dem Gedicht „Sur la langue – Über die Sprache“, das Marcel Jean in seiner Ausgabe an die vorletzte Stelle des Schlußkapitels „Unveröffentlichtes 1961-1964“ setzt. Es versteht sich, daß unsere Ausgabe nur ein vorläufiges Angebot an den deutschen Leser Arps sein kann: die Notwendigkeit, auch das übrige noch unübersetzte Konvolut französischsprachiger Texte in deutscher Übertragung vorzulegen, bleibt. Bleibt mir, zu danken: den Freunden und Kollegen Übersetzern, Heribert Becker für sein Engagement, seinen diese Auswahl mitbestimmenden Auswahlvorschlag, dem Gallimard-Verlag, der Stiftung Sophie Taeuber-Arp und Hans Arp und besonders Johannes Wasmuth in Rolandseck. Zu danken: der Titel-Fee, aber auch den anderen Feen wie Susanne Diewald, Nicole Henneberg, Françoise Hynet, Reinhard Krahforst, Birgit Mendoza, Albert Petermann, Peter Urban-Halle.
Es ist nicht ganz undenkbar, daß Hans/Jean Arp an diesem Buch und seinen Freiheiten, den darin versteckt vorkommenden offenen „Sprach-Spielzügen“, Freude gehabt hätte.

Gregor Laschen, Nachwort

 

Es ist weithin lange unbekannt geblieben,

daß Hans/Jean Arp auch ein umfangreiches, durchaus eigenständiges französischsprachiges Werk geschaffen hat. Von Marcel Jean zusammengetragen, wurde es 1966 bei Gallimard in Pris veröffentlicht.
Die hier vorliegenden Auswahl – herausgegeben von Gregor Laschen – folgt in ihrer Zusammenstellung der Chronologie der französischen Ausgabe. Als Übersetzer wirkten Heribert Becker, Reinhard Döhl, Wolfgang Drost, Walter Helmut Fritz, Ludwig Harig, Gregor Laschen, Oskar Pastior, Karl Riha, Johann P. Tammen, Ralf Thenior, Ernest Wichner und Johannes Wolfkind.

Literarisches Colloquium, Klappentext, 1989

 

Schwarzes Unkraut

Ende 1943 lieh mir Karel Teige ein dünnes Bändchen mit dem sonderbaren Titel weißt du schwarzt du –. Er deutete an, daß eine solche Dichtung vielleicht etwas zum Übersetzen wäre. Der Autor: Hans Arp. Dieser Name hatte damals für mich einen mythischen Klang – genau wie der Namen Max Ernst, der das Bändchen mit Collagen ausgestattet hatte. Die Gedichte faszinierten mich (in des Wortes schwärmerischer Bedeutung), ich begann gleich tschechische Wörtchen auf der Folterbank zu strecken und wie zitiert, erkannte ich: „ist dies diesseits, ist jenes jenseits.“ Mir ging die mysteriöse Geschichte vom verschwiegenen Subjekt und besonders von der „Arbeit mit Zahlen“ auf, was in der Dichtung bisher keiner versucht hatte. „Mitten im wissenschaftlichen Jahrhundert“ der epochalen Erfindungen und Kriege versetzte sie mich in Begeisterung, und ich konnte mich an diesem sich ernst gebärdenden Spiel, an dieser grandiosen Ironie, nicht satt sehen. Wie in Trance übersetzte ich in wenigen Tagen diese Gedichte und gab ihnen den Titel Černé býlí – mit dem Gedanken, die Buchstaben „ý“ und „í“ könnten graphisch zwischen Härte und Weichheit schwanken und so dem Spiel eine zusätzliche Bedeutung verleihen. Die Übersetzung gab ich sogleich in vier Exemplaren heraus: die Maschinenschrift kalligraphisch, kein Durchschlag!, das Papier handgeschöpft, jedes Exemplar auf dem Kopf mit einer Originalzeichnung von Josef Istler, Ein „Schwarzdruck“ im Protektorat! (Als viel später meine Arp-Auswahl erschien, war der Titel von der Zensur wegen Tschernobyl nicht genehmigt worden!!)
Im Juni 1946 ging ich als unersättlicher Kunstverschlinger in Paris von einem Ausstellungssaal in den nächsten. Zwischen den postsurrealistischen Bildern von Henri Goetz sah ich in einem dieser Säle einen Mann, der mir bekannt vorkam. In meiner Erinnerung tauchte ein Schachbrett von Miniaturporträts aus einer Anthologie auf, die ich von meinem Freund Bohdan Lacina kannte. In der ersten Reihe die Jugendbildnisse der künftigen Klassiker des 20. Jahrhunderts: Breton, Ernst, Dalí. Und im vierten Feld endlich der Mann, vor dem ich stand. Ich war von der Gesetzmäßigkeit des surrealistischen Zufalls überzeugt und zweifelte keinen einzigen Augenblick, dies könne nur Hans Arp, der Mitbegründer des Dadaismus, sein.
Er war es. Zuerst sprach ich ihn in meinem Schulfranzösisch an, danach lieber deutsch. Als Elsässer war er in beiden Sprachen zu Hause. Er war sehr zuvorkommend und sachlich, offen und naiv und vor allem: ohne die geringsten Anzeichen des unangenehmen Exhibitionismus einiger Großer. Sofort erinnerte er sich an den Maler František Foltýn (aus der Gruppe Abstraction – Création) und freute sich, von mir zu hören, daß er lebe, gesund sei und (ein weiterer Zufall!) bei uns in Brünn „um die übernächste Ecke“ wohne. Von Arp eingeladen, ging ich ein paar Tage später durch die Kastanienallee zu seinem Atelier: Meudon, rue des Châtaigniers Nr. 21. Ich mußte nicht lange suchen. Rings um die kleine Villa leuchteten die Rundungen seiner Plastiken. Durchs Haus gingen ab und zu fünf oder sechs Personen beiderlei Geschlechts, sie schienen mir sehr beschäftigt – mit Zeichnungen, trugen Gipsfragmente, suchten in Büchern: Arp stellte uns vor. „Junge Freunde“, sagte er. Und dann setzte er noch schelmisch, leicht ironisch hinzu: „Oder Schüler?“ Bald begann er aus verschiedenen Ecken Geschenke herbeizuschleppen. Größten Nachdruck legte er auf einige schon damals sehr kostbare Nummern der Zeitschrift Plastique: 1937–39, Paris – New York! Immer hob er bei diesen Kostbarkeiten den Herausgeberanteil seiner Frau Sophie Taeuber hervor. Er zeigte mir ihre Arbeiten, deren ausgewogene Schönheit er ausführlich lobte, mir schien am Ende sogar, daß er sie über seine Statuen und Blätter stelle. Ganz unerwartet erzählte er mit schlichter Zärtlichkeit vom Tod seiner Frau – wie er sie in Zürich am 13. Januar 1943 früh im Bett gefunden hatte. „Im Nebenzimmer“, wiederholte er einige Male. Und: „Der Ofen hatte gequalmt.“ Dann verschwand er für einige Zeit im Garten. Zurückgekehrt, begann er mir ununterbrochen Fragen zu stellen: Wie sieht bei uns die neue Kunst aus, welchen Tendenzen folgt sie, wie steht es mit der Buchkultur. Arp beherrschte perfekt die Kunst des Zuhörens. Unerwartet fragte er nach meinen Familienverhältnissen und den Möglichkeiten einer freischaffenden Künstlerexistenz. In seine leicht melancholischen Worte schlichen sich Anzeichen eines liebenswürdigen Humors. Dann verschwand er wieder und überließ mich den unablässig arbeitenden und wirbelnden jungen Leuten. Als ich im Dämmer des Sommerabends sein Haus verließ, drückte er mir ein letztes Geschenk in die Hand: eine kleine Collage – vier viereckige Formen, auf denen fünf rundliche braune „Urzeichen“ gedruckt waren. Arpisch! Für immer sehe ich die Kastanienphantome, zwischen denen ich zum Bahnhof Meudon ging.
Nach einigen weiteren Treffen mit Hans Arp in Cafés am Montmartre und Montparnasse, als ein Wort das andere gab und jedes die Welt öffnete, entstand der kühne Traum einer Arp-Ausstellung in Brünn, einer tschechischen Übersetzung seiner Bücher, einer Dada-Ausstellung – – – alles riß das Jahr 48 mit sich. Der Briefkontakt war in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre gewaltsam unterbrochen, zerschnitten. Erst 1957 fand einer meiner Briefe den Adressaten. Er antwortete mir am 14. Juni 1957:

Lieber Kundera,
welch große Freude ist es für mich, endlich nach vielen Jahren von Ihnen Nachricht erhalten zu haben. Wie oft habe ich an Sie gedacht, und wie gerne möchte ich eingehend und lange mit Ihnen sprechen. Eine Woche unausgesetzten Sprechens wäre notwendig, um nur das Wesentliche über Malerei und Kunst, das sich seither ereignet hat, zu berühren. (…) Seit wir uns zuletzt gesprochen haben, sind viele Gedichte in deutscher und französischer Sprache veröffentlicht worden und viele Plastiken in Bronze und Stein entstanden. Ich war in den letzten Jahren öfters krank, und vor drei Monaten erlitt ich einen zweiten Herzinfarkt, von dem ich mich langsam erhole. Ich wünsche Ihnen alles Gute und hoffe, daß wir uns bald wieder einmal sehen. Ihr Arp

Wir trafen uns nicht mehr. Arp starb am 17. Juni 1966. Und volle 45 Jahre nach meiner ersten Berührung mit seinen Gedichten kam endlich ein ordentlicher Gedichtband mit Reproduktionen und dem Titel Auf einem Fuß heraus. Ein Traum hatte sich erfüllt.

Ludvík Kundera, aus Ludvík Kundera: el do Ra Da(da), Arco Verlag, 2007

 

Lesung in der Akademie der Künste Berlin am 26.4.1987. Sowohl Walter Höllerer als auch Eugen Gomringer lesen eine stark personalisierte Auswahl der Gedichte von Hans Arp, die sie über ihre persönliche Erfahrung mit dem Dichter und Künstler motivieren. Beide kleiden ihre Lesungen in erörternde Passagen ein, die das Werk und die Person Hans Arps umkreisen. Oskar Pastior liest ohne Einbettung eine Auswahl an Gedichten von Hans Arp. Am Ende liest, über Tonband eingespielt, Hans Arp selbst einige Gedichte, was aus dieser Aufnahme ein diachrones Miteinander eigentlich entfernter Dichterstimmen macht.

 

ERINNERUNG AN ARP

Ach, aber ach, sagt Paul Klee
schließt ein Auge
und grämt sich.
Denkt er an Lieschen
als es noch kleinwar,
an Traumhaftes,
an den zukünftigen Feind.

Ach, sage ich, wer kann
es denn wissen. Ich denke
an Arp und den Bahnsteig
zu Frankfurt. Es schlagen
die Türen und Fenster.

Ach, aber ach. Ins Sichtbare
weißt du
kommt keiner zurück.

Elisabeth Borchers

 

 

Zum 50. Todestag des Autors:

Carmela Thiele: Hans Arp waren Gattungsgrenzen fremd
Deutschlandfunk, 7.6.2016

Fakten und Vermutungen zum AutorIMDb + Archiv +
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Porträtgalerie: Keystone-SDA

 

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