Heinz Czechowski (Hrsg.): Brücken des Lebens

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Heinz Czechowski (Hrsg.): Brücken des Lebens

Czechowski (Hrsg.)-Brücken des Lebens

O SPINDEL im Monde, lasse dir Zeit!
Zähl die Kleeblätter ab am Wetterkreuzhügel,
setz die Wut-Rosen ein, die der Truthahn verschreit,
und wenn du dich drehen mußt, dann dreh einen Zügel
für den Wildeselwind aus Südosten.
Geh ins Dorf jetzt den Birnenmost kosten!
Der ist heuer so stark wie ein türkischer Wein,
betrinke dich Spindel! – nur laß mich allein
das Garn für mein Sterbehemd spinnen.
Du drehst viel zu locker, du haspelst zu schnell
und oft mußt du mitten im Hundegebell
das Knüpfwerk von vorne beginnen.
Ich aber habe die Knoten so satt!
Mein Tod soll so glatt wie ein Wegerichblatt
und weich wie ein Katzenschwanz werden.
Mein Flachsacker blüht noch auf Erden!
Der geht dich nichts an und du findest ihn nie,
du besoffene Spindel – ich steh bis zum Knie
im gebrechelten Elend vom vorigen Jahr
und mein Herz könnt dich lehren – wie Erzengelhaar
so glatt und so stark wird sein Faden.
Nein, Mondrad; du kannst mir nicht schaden,
selbst wenn du noch runder den Dorfrand verläßt
und alles verdrehst hinterm Apfelgeäst.

Christine Lavant

 

 

 

Vorbemerkung

Dieses Buch ist eine thematische Anthologie. Das Thema der in ihm enthaltenen Gedichte ist das menschliche Leben. Der geschichtliche Bogen spannt sich von der Alterselegie Walthers von der Vogelweide bis zu den Versen der Dichter unserer Tage. Der Titel, einem Gedicht Erich Arendts entnommen, steht in unterschiedlicher Beziehung zu den einzelnen Teilen: Er soll die in der deutschsprachigen Dichtung waltende Kontinuität humanistischen Denkens bezeichnen; er soll aber auch das Menschenverbindende, das Dichtung auszustrahlen vermag, andeuten.
Das Thema der meisten Gedichte dieses Buches ist die Verwirklichung und Selbstverwirklichung des Menschen in der Gunst und Ungunst der Zeitläufte; seine Anstrengung, seine Selbstbehauptung, sein Sieg. Dieses Thema wäre jedoch unwahr, wenn es die im Laufe der geschichtlichen Entwicklung aufgetretenen Zweifel, Niederlagen und Erschütterungen, die den Weg in die Zukunft begleiteten, verschweigen würde. Dies sollte man bei der Lektüre nicht vergessen. Obwohl dieses Buch keinen Anspruch erhebt, die Kontinuität und Diskontinuität des Geschichtsprozesses, soweit er sich in deutschsprachigen Gedichten aus neun Jahrhunderten widerspiegelt, auszudrücken, war es am Schluß der Arbeit an diesem Buch für den Herausgeber doch überraschend, in welchem hohen Maße sich in dieser Dichtung der Gang der Geschichte widerspiegelt. Lebenslauf, Klage und Ausblick, Schöpfung, Worte und Träume, Arbeit – die einzelnen Teile der Anthologie – erscheinen so als Teile eines großen Themas, das auch dort, wo die Gedichte die Innenwelt eines Dichters beschreiben, niemals von der allgemeinen geschichtlichen Bewegung losgelöst ist.
Der Herausgeber ließ sich von dem Gedanken leiten, ein Lesebuch zusammenzustellen, in dessen Gedichten im Widerspiel von Frage und Antwort, in unterschiedlichen Tendenzen und Möglichkeiten poetischer Artikulation das menschliche Leben als ein schöpferisches Bewußtwerden der Kraft des Menschen gegenüber den Kräften des Krieges und der Zerstörung dargestellt werden soll. Es scheint natürlich, daß es sich dabei oft um die Widerspiegelung von Grenzsituationen handelt, in denen sich Leben und Tod, Traum und Wirklichkeit begegnen. Im Zentrum stehen – und wie sollte es bei einer Konzeption, die von sozialistischer Grundposition ausging, anders sein? – die Teile, in denen sich das produktive Verhältnis des Menschen zur Welt, sein schöpferisches Wesen äußert.
Die Anordnung der Gedichte folgte nicht allein der inneren Konsequenz des ausgewählten Materials, sondern stellt in der Folge der einzelnen Teile die Überwindung der Klage und die Hinwendung zur optimistisch-praktischen Tätigkeit des Menschen als gesellschaftliches Wesen dar. Von diesem Gedanken ausgehend, entstand eine quasi musikalische Komposition, in der Themen aufgenommen und fallengelassen werden, um im nächsten Teil wieder anzuklingen. Innerhalb jedes einzelnen Teils wurde versucht, der Chronologie zu folgen; Verschiebungen ergaben sich mitunter dort, wo Motive oder Themen eine Zusammenballung bestimmter Komplexe verlangten.
Wenn sich der Herausgeber auch bemühte, bei der Auswahl der Gedichte Objektivität walten zu lassen, indem innerhalb der thematischen Grenzen das Gültige und Bleibende in die engere Wahl gezogen wurde, so stand er doch infolge der Begrenzung der Seitenzahl oft vor der Tatsache, auf wichtige Gedichte verzichten zu müssen. Das Schwergewicht der Auswahl wurde auf Autoren des 20. Jahrhunderts gelegt, die, dem Thema der Anthologie entsprechend, unseres Erachtens das größere Recht erworben haben, zu den bewegenden Fragen der Zeit zu sprechen. Diese Feststellung schließt freilich nicht die Behauptung ein, daß ihre Gedichte gültiger oder bleibender als die der klassischen Autoren seien.

Heinz Czechowski , Halle, im Dezember 1967, Vorwort

 

 

Zum 70. Geburtstag des Herausgebers:

Jens Bisky: Vom Nichts begleitet
Süddeutsche Zeitung, 7.2.2005

Beatrix Langner: Schreiben im eigenen Schatten
Neue Zürcher Zeitung, 7.2.2005

Hans-Dieter Schütt: Rückwende
Neues Deutschland, 7.2.2005

Fakten und Vermutungen zum HerausgeberIMDbKLG + Archiv +
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Porträtgalerie: Brigitte Friedrich Autorenfotos + Keystone-SDA +
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Nachrufe auf Heinz Czechowski: Die Welt ✝ poetenladen ✝
titelmagazin ✝ Der Spiegel ✝ Deutschlandfunk ✝ Freitag
Berliner Zeitung ✝ Der Tagesspiegel ✝ Süddeutsche Zeitung

 

Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Der Czechowski“.

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Heinz Czechowski

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