Oskar Loerkes Gedicht „Genesungsheim“

OSKAR LOERKE

Genesungsheim

Was schlug man diesen zum Krüppel?
Er dachte hinter der Stirn:
Da öffnete ihm der Knüppel
Den Schädel, und Hirn war nur Hirn.

Warum haben Jauche-Humpen
Dort jenen die Augen verbrannt?
Sie haben einen Lumpen
Einen Lumpen genannt.

Warum schweigt dieser im Knebel?
Weil sein Gewissen schrie!
Wes Kopf sprang zum Reiche der Nebel?
Dessen Gurgel vor Ekel spie!

1933/34

aus: Oskar Loerke: Die Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt. a.M. 1958

 

Konnotation

Als ein Idealtyp für die „nicht-faschistische Literatur im Dritten Reich“ (so der Literaturwissenschaftler Hans-Dieter Schäfer) darf die Lyrik des als „Naturmagier“ nur unzureichend beschriebenen Dichters Oskar Loerke (1884–1941) gelten. Zwar kann man Loerke eine Unterwerfungsgeste anlasten, als er 1933, nach seinem Ausschluss aus der Preußischen Akademie der Künste, ein „Gelöbnis treuer Gefolgschaft“ zu Hitler unterzeichnete. Aber seine um 1933/1934 entstandenen Gedichte sprechen nicht von „Gefolgschaft“, sondern vom existenziellen Schrecken.
Die Tortur der Versehrten und Geschlagenen und Kranken in dem von Loerke hier evozierten „Genesungsheim“ resultiert stets aus brutaler Repression einer Machtinstanz. Der gedemütigte „Krüppel“ wie der zum Schweigen gebrachte Geknebelte: Sie alle sind Opfer – so legt es das Gedicht nahe – eines grausamen Macht-Staates. Ihr Vergehen: Sie alle haben an einer Position der Aufrichtigkeit und des „Gewissens“ festgehalten.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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