Marina Zwetajewa: Vogelbeerbaum

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Marina Zwetajewa: Vogelbeerbaum

Zwetajewa-Vogelbeerbaum

BAUT EINER KEIN HAUS −
Spuckt die Erde vor ihm aus.

Baut einer kein Haus −
Wird nie er zu Erde:
Erst Stroh, dann Asche im Herde…

Ich baute kein Haus.

 

 

 

Marina Zwetajewas Erfindungen

Kein russischer Dichter hat sich so sehr selber erfinden müssen wie Marina Zwetajewa. Tochter, die ein Sohn sein sollte. Dichter, in dem man die Poetessa lieber sah als den Poeten.
Als Sohn erwartet und als die unerwünschte Tochter zur Pianistin bestimmt (dem Wunschleben der Mutter), erträumt sie sich phantastische Adoptionen: durch einen Teufel im Zimmer der Stiefschwester, durch Altgläubigen-Nonnen in Tarussa, dem mittelrussischen Sommersitz der Familie, durch eine Tante in der Schweiz. Daß man eine Poetessa vor sich habe, war ein Gemeinplatz der beginnenden zwanziger Jahre. Ossip Mandelstam, konnte sich nicht fassen vor Entrüstung über die „Muttergottesstrickereien“ der Zwetajewa; ihr ganzes Moskau sei erlogen, bestenfalls unfreiwillige Parodie und überhaupt gebe es nur eine Frau, die mit dem Recht einer neuen Muse in den Kreis der Poesie getreten sei – die russische Wissenschaft von der Poesie, wie sie jetzt in der Formalen Schule von Eichenbaum, Shirmunski und Schklowski an Kraft gewonnen habe. „Zigeunerlyrismen“ sagt Majakowski. „Kleine Welt“, sagt Leo Trotzki: „Sie umfaßt die Dichterin selbst, einen Unbekannten mit Melone oder mit Sporen und – unvermeidlich – Gott, ohne besondere Kennzeichen.“ Valeri Brjussow, der Symbolist und frühe Förderer der Zwetajewa, will die Verkennung steuern, worauf kommt er? Auf einen Abend der Poetessen, von ihm präsidiert. Noch als Boris Pasternak 1926 Rilke auf Marina Zwetajewa aufmerksam macht, weiß er nur Marceline Desbordes-Valmore, die französische Romantikerin, zum Vergleich zu empfehlen.
Und das einer Frau, die ein „Wunder an Verstehen“ erwartet. Das Wunder zwischen „Ich küsse immer – als erste“ und „Zwischen uns – die Doppelklinge“. In ihrer „Erzählung von Sonetschka“, ihrer Geliebten während des Kriegskommunismus in Rußland, gibt es eine Stelle, die keiner der Sprecherinnen ausdrücklich zugewiesen ist, beide könnten sie sprechen:

Vor allem aber, ich küsse immer als erste, einfach so wie ich die Hand gebe; nur – unwiderstehlicher: Ich kann es einfach nicht erwarten! Danach, jedes Mal: Wer treibt dich bloß? Du bist selber schuld! Ich weiß genau, daß das niemandem gefällt, daß sie alle gern demütig tun und scharwenzeln, eine Gelegenheit abpassen, hinterherrennen, Jagd machen… Vor allem das – ich kann es nicht ausstehen, wenn der andere als erster küßt. Jedenfalls weiß ich, daß ich das will.
Aber dann „Die Klinge“:

Zwischen uns – die Doppelklinge,
Treueschneide – auch im Geist…
Aber der Bruder, herzbezwingend?
Und die Bezaubrung, die Schwester heißt?
……………………..
Zwei Seiten geschärft – und schneidet?
Es vereint! Zerreiß, Schwert, das Kleid,
Und, Wunde zu Wunde, Bein zu Beine,
Zueinander uns, drohender Wächter, befreit!

Marina Zwetajewa erfand das „ewige Paar der Sich-Nie-Begegnenden“. So bezeichnete sie 1929 (in deutsch) ihr Leben, das sie mit den Männern und Frauen ihrer Liebe lebte. Die Irritationen waren ungeheuer, beginnend bei ihrem Mann Sergej Efron, der nicht ahnte, wem er zugefallen war und endend bei Tanja Kwanina, ihrer letzten Liebe in Moskau, die auch nachdem sie die „Erzählung von Sonetschka“ gelesen hatte, nicht begriff, wie sie geliebt wurde. Das Wunder blieb aus und der eine, von dem Marina Zwetajewa sagt, er sei der einzige gewesen, der gewußt habe, wie sie geliebt sein wolle, Nikodim Plutzer-Sarna, ihr Geliebter im Sommer 1916, ist verschollen.
Heftig und innig, Usurpation und Verzicht, beides in einem – darauf war keiner gefaßt. Als es 1940 zu Begegnungen mit Anna Achmatowa kam, war die Achmatawa, die in den Gesprächen meist geschwiegen hatte, von der ungebrochenen Wildheit der Zwetajewa aufgerührt und soll gesagt haben, verglichen mit Marina sei sie sanft wie ein Kälbchen. Zweifellos blieb in dieser Verbindung immer ein Rest an Gewaltsamkeit, die Gewaltsamkeit einer Erfindung. Doch nur auf diese Weise ist es Marina Zwetajewa gelungen, etwas Unglaubliches zu vollbringen: In ihrer Heftigkeit reinigte sie das große Gefühl und man wird sich nicht wundern, von der Lieblingslektüre ihrer Jugend zu hören: Der Junge Adler von Edmond Rostand, Der Trompeter von Säkkingen von Viktor von Scheffel, Undine von de la Motte Fouqué. Herzzerreißende Geschichten von großen Passionen und großem Entsagen. Die viel verhöhnten Verse aus dem Büchlein der Lieder, das Scheffel in sein Versepos hineinschreibt, hört man hier etwas anders:

Behüt’ dich Gott! Es wär so schön gewesen,
Behüt’ dich Gott! Es hat nicht sollen sein.

Es gab für Marina Zwetajewa nur eine Gestalt, die die Spannung von Heftigkeit und Innigkeit, von Gefühlswucht und Entsagung auszuhalten vermochte, eine Gestalt, die sie ihr Leben lang gesucht und erfunden hat, die sie aus den Büchern ihrer Jugend herauslas, an der sie ihre geschichtlichen Sympathien maß und der sie sogar noch den Namen ihres Sohnes entlieh – die Gestalt des Ritters. Alexander Blok ist für sie der Ritter inmitten eines leeren Literaturbetriebs. Ritter St. Georg, der alte Schutzheilige Nordrußlands, steht ihr für die Weiße Bewegung, und ihrem Mann, dem Offizier der Weißen Armee, huldigt sie in einem „Georg“-Zyklus. Im Gesicht der Statue des Ritters Bruncvik unterhalb der Prager Karlsbrücke glaubte sie, ihre Züge zu erkennen. Ritter Bruncvik, der Legende nach Přemysl II erwarb auf seinen Fahrten vor seiner vierzigjährigen Herrschaft über Böhmen einen Löwen und ein Zauberschwert. Wenn sie einen Schutzengel habe, so Zwetajewa, dann einen mit seinem Gesicht, seinem Löwen und seinem Schwert. 1925 nannte sie ihren Sohn Georg.
Marina Zwetajewa – der weibliche Ritter, die Amazone. Was hat sie erzählt? Mit sechzehn besuchte sie mit dem Vater eine Charlottenburger Gipsabgießerei und durfte sich von den Kopien zwei wählen. „Und was war es, meine Liebe auf den ersten Blick – eine Amazone! Achills geliebte Feindin, von ihm erschlagen und beweint, und jene, die andere, gesittete, meine ,erste beste‘ – niemand anderes als Aspasia!“ Aspasia, die kluge Hetäre, Geliebte des Perikles, Genossin der Philosophen.
Sieht man die Erfindungen in der Ritter-Amazone-Aspasia ineinandergehen? Sohn in der Tochter, Dichter in der Poetessa. Mann in der Frau.

Zwetajewa lesen

Hochfahrend und wild wird sie einem begegnen, wo immer man sie aufschlägt. Aber diese Abschiede, Abweisungen, Verzichte, Sarkasmen, Beschimpfungen – vogelbeerbitter, sagt sie – haben einen unwiderstehlichen Zauber, den Zauber des Aufruhrs gegen die Vergänglichkeit. Es ist dieser Aufruhr, der sie zum Dichter macht.
„Für wen schreibe ich“, fragt sie 1927 in ihrem-Essay „Dichter über Kritiker“: „Nicht für die Millionen, nicht für einen einzelnen, nicht für mich. Ich schreibe für die Sache selber. Die Sache schreibt sich durch mich.“ – „Der furchtbarste, der erbittertste (und der würdigste!) Feind des Dichters ist das Sichtbare. Ein Feind, den er nur auf dem Wege der Erkenntnis überwältigt. Das Sichtbare in den Dienst des Unsichtbaren zu zwingen – das macht das Leben des Dichters aus.“
Man hat sie mit diesem Anspruch mythoman genannt, und tatsächlich haben alle, die mit ihr zu tun bekamen, diesen Kampf gegen das Sichtbare am eigenen Leib erfahren müssen und fürchten gelernt. Selbst die Tapfersten, die Helden ihrer großen Brief-Romanzen – Boris Pasternak und Rainer Maria Rilke – sind am Ende vor Marina Zwetajewas Mythisierungen zurückgeschreckt, wie erst die Zaghaften. Sie fanden da ihr Leben wieder als das sichtbare Material, aus dem die Zwetajewa das unsichtbare Entzücken ihrer Liebe, ihrer Verlassenheit, ihrer Vermessenheiten und Niederlagen arbeitete. Dem Dichter Maximilian Woloschin, ihrem Förderer und väterlichen Freund von der Krim, hat sie die Beschreibung dieser Operationen in den Mund gelegt: „Wenn Sie einen Menschen lieben“, sagt er zu ihr, „möchten Sie immer, daß er ginge, damit Sie von ihm träumen können. Möglichst weit weg ginge, damit es sich um so länger träumen ließe.“
Daß sie mit diesem Konzept nie die Saison bediente, gar die wechselnden Ismen, die „Quadrille der Literatur“, ist nur die äußere Form ihrer Entledigung von den gefährlichen Sichtbarkeiten. Immer sind die Besiegten ihre Helden, die ins Unsichtbare Sinkenden. In der Revolution zeigt sie das Heldentum der Gegenrevolutionäre. In der Emigration sagt sie von der Sowjetunion: „Die Kraft ist dort.“ Der Massendissens der Frauen in Frauenkursen, im Suffragetteneifer, Feminismus, Heilsarmeetreiben ist ihr tief zuwider: in der Kunst gebe es keine Frauenfrage. Die Russin kultiviert ihre deutschen Verwurzelungen, mythisiert natürlich auch hier. 1919 im Tagebuch:

Frankreich ist mir zu leicht, Rußland zu schwer, Deutschland angemessen – der alte Stamm, die Eiche, heilige Eiche (Goethe! Zeus!). Deutschland ist die passende Hülle für meinen Geist, Deutschland – mein Leib: seine Ströme – meine Hände, seine Haine – mein Haar, es ist ganz mein, und ich ganz – sein!… Deutschland – Schraubstock für den Leib und Eleusinische Felder für die Seele. Ich bei meiner Maßlosigkeit brauche einen Schraubstock.

Und die Russin verbindet sich mit einem russischen Juden, dem sie durch alle Unlösbarbeiten folgt, folgt „wie ein Hund“, wie sie es in der Stunde seiner tödlichen Bedrohung mit einem furchtbaren Eid geschworen hat, denn: „Alle Dichter sind Juden.“ Sie bleibt sich selber treu, als sie wider allen guten Rat in der sicheren Erkenntnis ihres Untergangs 1939, ihrem Mann folgend, in die Sowjetunion zurückkehrt.
Außerhalb der literarischen Schulen und politischen Übereinkünfte stehend, fehlt der Zwetajewa der Gruppen-Bonus. Und es mag durchaus auch darauf zurückgehen, daß sie von den großen russischen Dichtern des Jahrhundertbeginns Westeuropa als letzte erreicht. Sie ist ganz allein. Valeri Brjussow, einer der Organisatoren des russischen Symbolismus und nach der Revolution ein Arrangeur der literarischen „Quadrillen“, nannte die Zwetajewa wegen dieser fehlenden Gruppenzugehörigkeit sogar einen „Niemand“ was sie freilich selber nur als einen weiteren „titre de noblesse“ verbuchen konnte.
Wahr ist, daß sie von keinem der Flügel der russischen Avantgarde, mitgetragen wurde. Weder vom poetischen Aktivismus, der sich vor der Revolution geistig und nach der Revolution auch organisatorisch mit der sozialistischen Umwandlung Rußlands verband (Futurismus, vor allem Majakowski und seine „Linke Kunstfron“), noch vom poetischen Universalismus, der sein Ziel in der Anstrengung des Menschheitsgedächtnisses und der Gewinnung einer welterfahrenen Häuslichkeit für Rußland sah (Akmeismus, vor allem Nikolai Gumiljow, Ossip Mandelstam und Anna Achmatowa).
Beide Wege waren für Marina Zwetajewa ungangbar, weil sie ihre Grundlagen zerstört hätten. Der aktivistische, weil er einer ruhmredigen Ausstellung des persönlichen Lebens, eines Terrors des Sichtbaren, einer Glorifizierung der Vergänglichkeit bedurfte. Der universalistische, weil er einer Vereinigung von Alltag und Poesie, der Sublimierung des Sichtbaren, eines Einverständnisses mit der Vergänglichkeit bedurfte. An Majakowskis Beispiel hat sie ihr kritisches Verständnis des Aktivismus erörtert:

Ruhm beim Dichter konzediere ich als Reklame – zu finanziellen Zwecken. So applaudiere ich, selber der Reklame abhold, dem – auch hier unvergleichlichen – Maßstab Majakowskis. Wenn Majakowski Geld braucht, veranstaltet er die fällige Sensation („Reinigung der Dichter“, „Schlachtfest der Poetessen“, „Amerikas“ usw.). Skandal, die Leute strömen und lassen ihr Geld. Majakowski, den Dichter, schert weder Lob noch Schmähung: Er weiß, was er wert ist. Aber Geld braucht er. Und seine Selbstreklame ist gerade in ihrer Grobheit reiner als die Papageien, Affen und der Harem von Lord Byron, der bekanntlich kein Geld brauchte.
Unerläßliche Anmerkung: weder Byron noch Majakowski setzten für Ruhm ihre Leier in Gang, beide – das persönliche Leben, den Abfall. Byron braucht Ruhm? Da legt er sich einen Zoo zu, wohnt im Hause Rafaels, fährt – 
vielleicht – nach Griechenland… Majakowski braucht Ruhm? Da zieht er sich die gelbe Jacke an und wählt zum Auftrittsort einen Bretterzaun. Das Skandalöse des persönlichen Lebens bei gut der Hälfte aller Dichter ist lediglich die Reinigung jenes Lebens, damit es dort rein sei.

Diese Forderung von Vergänglichkeit war für Marina Zwetajewa, ebenso unannehmbar wie die eines stillen Einverständnisses mit ihr. Daher der Aufruhr, als sie bei der Rückkehr in die Sowjetunion die Achmatowa in ihrer großen Dichtung der Gedächtnisse Poem ohne Held scheinbar nur mit irgendwelchen Banalitäten aus dem Balleben der russischen Vorkriegszeit beschäftigt fand.
Auch was den Vers angeht, hielt sich Martina Zwetajewa außerhalb der Saison. Sie macht die exzessive Anstrengung der russischen Wortwurzeln bei Welemir Chlebnikow und den Futuristen ebensowenig mit wie die (impressionistischen) Lautnuancentechniken Mandelstams. Weder die Meetingssyntax Majakowskis noch die Flüstersyntax der Achmatowa. Was sie sich gewinnt, ist eine Virtuosität im Rhythmischen: russische Lied und Sagenfolklore, russischer Kirchengesang, die Auslassungen und Kürzel der Zurufe auf der Straße, das Stammeln und Stottern der Erregung, das Stocken des Erkennens. Gedankenstrich und Ausrufezeichen sind daher die Favoriten ihrer poetischen Interpunktion – die Zeichen des Wechsels und des Affekts. Der Wechsel als Übergang, noch mehr als Ankündigung des Unerwarteten, aber dann auch kombiniert mit Einschaltungen von Fragen und Ausrufen. Und das Zeichen des Affekts nach Befehl, Aufforderung, Warnung, Wunsch, Ausruf, Anrede. Man sehe als extremen Fall das Gedicht „Der Vorhang“ von 1923: Bei 24 Versen 18 Gedankenstriche, 12 Ausrufezeichen; in der deutschen Fassung von Elke Erb sogar 29 bzw. 14.
Hier gibt es nicht den Versuch, einer Syntax des Alltags zu folgen, weder der des vertrauten Gesprächs oder des Selbstgesprächs wie bei Anna Achmatowa noch der des argumentierenden Tribunen wie bei Majakowski. Es ist eine Syntax, die dem Sichtbaren seine wesentliche, innere, unsichtbare, unvergängliche Bewegung ablauscht. „Ablauscht“ – so hat sie es selber genannt, „Silbe für Silbe ablauscht“; aber gleich hat sie eine schöne Ermunterung angefügt, die unsere Lektüre bestimmen könnte. Sie schrieb nämlich:

Wie kann ich, ein Dichter, d.h. ein Mensch des Wesens der Dinge, von Form verführt werden? Ich werde vom Wesen verführt, die Form kommt von allein… Die allmähliche Offenbarung der Züge – so wächst der Mensch, so wächst das Kunstwerk. Wie abgeschmackt, ,formal‘ vorzugehen, d.h. mir (und häufig noch ziemlich falsch) meine Entwürfe nachzuerzählen. Wenn es die Reinschrift gibt, ist der Entwurf (die Form) schon überwunden. Ehe du mir erzählst, was ich in dem vorliegenden Fall bieten wollte, zeig mir lieber, was du dir hast nehmen können.

Fritz Mierau, Vorwort

 

Eine Auswahl

der schönsten Gedichte der großen russischen Lyrikerin Marina Zwetajewa (1892–1941), in der Nachdichtung durch sieben zeitgenössische deutsche Lyriker. Mit einer Einleitung von Fritz Mierau und Lebensdaten, die mit Lesestücken und Bildern zu Leben und Werk ergänzt wurden.

Verlag Klaus Wagenbach, Klappentext, 1986

 

„Unheilbar sprudelt es: Leben“

1927 notierte Marina Zwetajewa in ihrem im Pariser Exil entstandenen Essay „Der Dichter über den Kritiker“:

Ich schreibe nicht für die Millionen, nicht für einen einzelnen, nicht für mich. Ich schreibe für die Sache selber. Die Sache schreibt sich durch mich.

Der Satz enthält eine explizite Absage an den sozialen Auftrag, wie er etwa das Schaffen des „Volkstribuns“ Majakowskij bestimmte, und ein romantisch gefärbtes Plädoyer für die Autonomie der Kunst. An ihr hielt Zwetajewa zeitlebens fest, wenn sie sich der Einordnung in Gruppen und Kunstrichtungen strikte verweigerte und gegen jede Opportunität, bewußt unideologisch, 1914 für Deutschland, 1919 für die Weiße Armee, in der Emigration für Rußland lyrisch Partei ergriff.
Die Querlage als Seinsweise, die Widerspenstigkeit als schöpferisches Prinzip. Sie hat das Leben der Zwetajewa erschwert, die Rezeption ihres Werks behindert. Dieses wurde in der Sowjetunion erst spät, nicht zuletzt dank den Bemühungen von Ilja Ehrenburg. Konstantin Paustowskij und Zwetajewas Tochter Ariadna Efron, entdeckt und trifft seit einiger Zeit auch in nichtrussischen Kreisen auf lebhaftes Interesse. Es ist zwar längst unbestritten, daß Marina Zwetajewa zusammen mit Anna Achmatowa, Boris Pasternak und Ossip Mandelstam (mit denen sie befreundet war) zu den bedeutendsten russischen Dichtern des 20. Jahrhunderts gehört, doch gibt ihre Poesie dem Übersetzer fast unlösbare Probleme auf. Als Hauptschwierigkeiten wären zu nennen: die extrem elliptische Syntax, die Vorliebe für ausgefallene einsilbige Reimwörter, eine Lexik, geprägt von volkssprachlichen und kolloquialen Wendungen, von Archaismen und kühnen Wortschöpfungen. Eines ist Zwetajewas Lyrik nie: harmlos. Ihre harten, skandierten Rhythmen sind der klangliche Ausdruck einer unerbittlich präzisen Imagination, die mit äußerster Ökonomie und Gewissenhaftigkeit in Sprache umgesetzt wird.
1968 hat Christa Reinig für den Wagenbach-Verlag eine kleine Auswahl von Zwetajewas Gedichten übersetzt; 1980 erschien in Ostberlin (Volk und Welt) ein zweisprachiger Band unter dem programmatischen Titel Maßlos in einer Welt nach Maß, 1986 bei Philipp Reclam (Leipzig) eine weitere Auswahl. Aus diesen drei Editionen hat Fritz Mierau für Wagenbachs Taschenbücherei unter dem Titel Vogelbeerbaum ein neues Bändchen zusammengestellt, das 43 Gedichte aus den Jahren 1913 bis 1939, zwei Einführungstexte sowie eine ausführliche biographische und Bilddokumentation enthält.
Wer eine erste Begegnung mit der russischen Dichterin sucht, wird dankbar zu diesem Buch greifen, das zwar keine repräsentative, wohl aber eine vertretbare Auswahl aus Marina Zwetajewas lyrischem Œuvre in der Nachdichtung von Elke Erb, Sarah und Rainer Kirsch, Richard Pietraß, Christa Reinig und anderen bringt. Ein Wort zur Übersetzung: auch wenn die Methode, die schwierigen Texte der Zwetajewa anhand von Interlinearübersetzungen nachdichten zu lassen, durchaus einleuchtet – die Resultate vermögen nicht immer zu befriedigen. In Anbetracht der Risiken des Unterfangens nimmt man gewisse Mängel allerdings verständnisvoll in Kauf, um so mehr, als der Ton des Originals in der Regel getroffen ist.
Die Themen von Zwetajewas Lyrik sind Abschied, Liebe, Eifersucht, die Einsamkeit des Dichters in einer „Welt nach Maß“, das eigene „Hundeschicksal“, entlarvte Illusionen, der Holunderstrauch der Kindheit, der Einmarsch der Hitlertruppen in die Tschechoslowakei. Etwas Gnadenloses, Schneidendes ist in diesen Gedichten, ein rebellisches Pathos, eine gezähmte Verzweiflung. Wenn man Marina Zwetajewas Poesie verschiedentlich männlich genannt hat, so wegen dieser Besonderheiten, die mit einer seltenen formalen Stringenz gepaart sind.
Schonungslos nennt Marina Zwetajewa die Dinge beim Namen, etwa die Misere ihres Pariser Exils:

Wir gehen auf keine Reisen – duundich.
In zu stopfende Risse verkriechen – die Meere sich.
Alle Taschen zeigen bis auf den Pfennig kein Geld her.
Wir haben zu bleiben und kommen nicht auf ein Weltmeer…

(übers. v. Elke Erb)

Das Motto dieser Lyrik heißt Widerstand. In den frühen Gedichten ist ein Hang zur trotzigen Attitüde nicht zu verkennen (als Mädchen betrieb Marina Zwetajewa einen schwärmerischen Napoleonkult, glorifizierte das „Gegen-den-Strom-Schwimmen“ als selbstgewähltes Prinzip); die Attitüde wandelt sich jedoch bald schon zur Ahnung, ja Gewißheit, daß das Unglück nicht forciert werden muß:

In dieser christlichsten aller Welten sind die Dichter – Juden.

Die Tragik von Marina Zwetajewas Leben besteht nicht zuletzt darin, daß ihr romantisch gefärbter Auserwähltheitsglaube durch die Wirklichkeit, vor allem durch die Erfahrungen des Exils, eine negative Bestätigung gefunden hat. 1923, zu Beginn der Auslandszeit, schreibt sie über das Schicksal der Dichter:

Sie sind, die übrig sind, erläßlich
(und der Gesichtskreis schließt sie aus),
nicht aufzählbar für euer Welt-Adreßbuch;
das Abfalloch ist ihnen – Haus.

Sie sind die nackt Gebliebenen, Verjagten,
stumm euch wie Mist, und wortlos – Vieh,
sind eurem seidenen Saum – ein Nagel!
Den Räderwurfdreck ekeln sie.

Sie treten in den Schein, nicht in Erscheinung.
(Ihr Signum: Lepraschuppen, Grind!)
Die Welt hat Hiobs, die des armen einen
Jobs arme Neider sind:

Poeten – wir, auf Parias das Reimwort…
(übers. v. Elke Erb)

1939 weicht der Stolz einer luziden Resignation:

Für mich sein. Ein Kamtschatkabär
Ohne das Eis. Kann nicht dabeisein.
Kann nicht (wills auch nicht mehr!).
Wo man sich beugen muß, mir gleich…

(übers. v. Chrisia Reinig)

Die Einsamkeit ist längst kein Programm mehr, sondern bitterböse Realität, während das Alleinsein für Marina Zwetajewa, die von häuslichen Sorgen geplagt wird, die größte Sehnsucht verkörpert:

Der ist mein Gott, der mir das eine gibt: Stille der vier Wände.

Indes ist Marina Zwetajewas Dichtung – in allen Lebensphasen – ungemein kraftvoll, ungebrochen; Schmerz artikuliert sich nie wehleidig-elegisch, sondern scharf, nicht selten polemisch. Vergleicht man Marina Zwetajewas (an Mare Slonim adressiertes) Gedicht „Versuch einer Eifersucht“ mit Anna Achmatowas verhaltenem Eifersuchtsgedicht „Das ist einfach, das ist klar“, tritt der Unterschied der Temperamente und Stile kraß zutage: neben der „Muse der Klage“ Achmatowa nimmt sich Zwetajewa geradezu kämpferisch aus; ihre herausfordernd apostrophierenden Strophen verraten sprühende Vitalität und beißende Ironie. Um ein Charakteristikum dieser Poesie zu erwähnen: Der Eindruck der Lebendigkeit und Angriffigkeit resultiert aus Marina Zwetajewas Hang zu Befehl, Aufforderung, Warnung, Ausruf, Anrede – Zeichen des Affekts, die sie durch eine exzessive Interpunktion optisch unterstreicht. Fritz Mierau zitiert in seiner Einführung als extremes Beispiel das Gedicht „Der Vorhang“ von 1923. Die 32 Verse enthalten 25 Gedankenstriche und 14 Ausrufezeichen, die deutsche Fassung von Elke Erb sogar 39 beziehungsweise 14.
Erzählend sind diese Gedichte nie. Eruptiv, emotionsgeladen ließen sie sich als lyrisches „Gestammel“, als dramatische Fragmente, als Seelenprotokolle bezeichnen. Das Gedicht „Mein Schreibtisch“ ist eine moderne Ode, erschütternd nicht nur dadurch, daß ein banaler Küchentisch zum „mein-zu-Lebzeiten-Totenbrett“ gerät, „allen Niedrigkeiten – ein Nicht“. In beinahe barocker Manier baut Marina Zwetajewa hier auf dem Kontrast, auf der Diskrepanz und Dissonanz auf, um ihre grundsätzliche Unbehaustheit auszudrücken. Der Schnitt des Tischrands in die Brust steht für das Heil. „Andre – gebettet in nestwarme Wohnung, / Ich – nein.“ „Nein“, „nicht“ sind zentrale Schlüssel- und Reimwörter, und mehr als das. Marina Zwetajewa hat den Widerstand in kreatives Potential umgemünzt, bis sie am 31. August 1941, zwei Jahre nach ihrer Rückkehr in die Sowjetunion, daran zerbrach, ihrem Leben, mit knapp fünfzig, ein Ende setzte.

Ilma Rakusa, Neue Zürcher Zeitung, 26.2.1987

Marina Zwetajewa – Versuch eines Porträts

Neben Anna Achmatowa gilt sie als die bedeutendste russische Dichterin des 20. Jahrhunderts: Marina Zwetajewa, 1892 als Tochter eines Kunsthistorikers und einer Pianistin in Moskau geboren, 1941 – nach langjährigem Exil – in Jelabuga gestorben.
Man könne sie nur über Kontraste erfassen, das heißt über die „Allgegenwärtigkeit von allem“, schrieb Marina Zwetajewa 1937 an Jurij Ivask. Gegensätze, Widersprüche, Extreme sind ihr Wesens- und Lebensmerkmal. Sie liebt Napoleon und haßt die „Diktatur des Meeres“; sie besingt – in der Sowjetunion – die Weiße Armee und verteidigt – in der Emigration – den „roten“ Majakowskij; sie wählt die alte, vorrevolutionäre Orthographie, um ihrer Zeit prophetisch vorauszueilen; sie fürchtet die Errungenschaften moderner Technik und stößt ästhetisch an äußerste Grenzen vor; sie schafft es, „gleichzeitig zehn Beziehungen zu unterhalten“, und erträgt nicht die geringste Abwendung des Blicks; sie sehnt sich nach Liebe und scheut reale Begegnungen („Man stößt mit den Köpfen aneinander. Zwei Wände. Kein Hindurchkommen“); sie ist Dichterin mit Haut und Haar und zugleich „Pelikanmutter“, Vollhausfrau und Ernährerin; sie bevorzugt den Traum und „schmort im Alltag“ – „maßlos in einer Welt nach Maß“.
Es bedurfte einer gewaltigen Anstrengung, diese Gegensätze aus- und aufrechtzuerhalten, auch wenn just sie poetischen Zündstoff lieferten. Man ertappt Zwetajewa immer wieder bei dem Versuch, schmerzlich empfundene Dualismen gewaltsam auszumerzen. Mit fragwürdigem Erfolg, wie ein deutsch geschriebener Brief an Rainer Maria Rilke (2.8.1926) zeigt:

Den Mund hab ich immer als Welt gefühlt: Himmelsgewölbe, Höhle, Schlucht, Untiefe. Ich habe den Körper immer in die Seele übersetzt (entkörpert!), die – physische- Liebe – um sie lieben zu können – so verherrlicht, daß plötzlich nichts von ihr blieb. Mich in sie vertiefend, sie ausgehöhlt, in sie eindringend, sie verdrängt. Nichts blieb von ihr, als ich selbst: Seele.

Zwetajewas Prioritäten sind unverkennbar: In romantisch-idealistischem Geist erzogen, favorisiert sie die Seele vor dem Körper, die Abwesenheit vor der Präsenz, die Ruhelosigkeit des Begehrens vor dem Erfülltsein, das Ideal vor der schlechten Alltäglichkeit, die Dichtung vor dem Leben. Doch indem sie sich zur Auseinandersetzung zwingt, das „Kontra“ großschreibt und sich jeder Ideologie verweigert, indem sie das Risiko des Widerspruchs (der Isolation usw.) eingeht, schafft sie ihr Werk: ein „Gesamtkunstwerk“ eigenster Prägung, darin jede Metapher rückübersetzbar ist in harte Lebenswährung.
Ein Blick zurück in die Kindheit verrät dies:

Wichtigste Einflüsse: Die Mutter (Musik, Natur, Gedichte, Deutschland. Passion fürs Judentum. Einer gegen alle. Eroica). Weniger bewußt, aber nicht weniger stark: Einfluß des Vaters (leidenschaftliche Arbeitsliebe, kein Karriere-Ehrgeiz, Schlichtheit, Weltfremdheit). Vaters und Mutters Einfluß zusammengenommen: Spartanertum. Zwei Leitmotive in einem Haus: Musik und Museum. Atmosphäre: weder bourgeois noch intelligenzlerisch, sondern ,ritterlich‘, Leben auf hohem Niveau.

Jedes Stichwort – es handelt sich um die Beantwortung eines Fragebogens – ließe sich bekräftigen durch das Porträt von Zwetajewas Tochter Ariadna Efron: stilvolles, sicheres Auftreten, gerade Haltung, schlagfertige Rede („Sie sprach kurz, ihre Antworten waren Formeln“), spartanische Bescheidenheit in bezug auf Kleidung („Mode lehnte sie ab“), Essen und Schlaf, Liebe zu klar konturierten Landschaften (Berge, Felsen, Wald), die man als Fußgänger bewältigen kann. „Sich einfach zu ergötzen vermochte sie nicht.“
Mit Zigaretten, schwarzem Kaffee und einem Zimmer für sich allein wäre Zwetajewa glücklich gewesen. Aber solchen Luxus kannte sie nur als angehende Dichterin in Maximilian Woloschins Künstlerkolonie auf der Krim. Ebendort lernte sie Sergej Efron kennen. Bald darauf – sie war 19, er 18 – heirateten sie, 1912 kam die Tochter Ariadna zur Welt, und von da an gönnte ihr das Leben keine Ruhe: Revolution, Geburt von Irina, die während des Bürgerkriegs verhungert, Efron verschollen, erst 1921 die Nachricht, er lebe in Prag. 1922 Emigration, ärmliches Leben in Prager Vororten, 1925 Geburt des Sohns Georgij (Mur), Übersiedlung nach Paris. Enge, finanzielle Schwierigkeiten, Isolation.
In den dreißiger Jahren zunehmende Entfremdung von Mann und Tochter. Efron, Leiter des dem NKWD unterstehenden Verbands der Heimkehrer in die UdSSR, wird in den Mordfall Ignaz Reiss bei Lausanne verwickelt und muß sich 1937 über das republikanische Spanien in die Sowjetunion absetzen. Zwetajewa folgt 1939 nach, aus Treue, aber ohne Illusionen. Im Spätsommer wird Ariadna verhaftet, kurz darauf Sergej. Wohnungssorgen, Arbeitsprobleme, Angst. Nach Kriegsbeginn läßt sich Zwetajewa mit ihrem Sohn aus Moskau ins tatarische Jelabuga evakuieren. Dort nimmt sie sich am 31. August 1941 das Leben, 49 Jahre alt.
Ständiger Begleiter in dieser Wirrsal war das Heft. Das Heft auf dem Küchentisch, im Freien, auf den Knien. Hier entwarf Zwetajewa Gedichte, Poeme, Versepen, lyrische Essays, Prosaerinnerungen, Dramen, hier notierte sie Briefe und Tagebuchskizzen. In der Morgendämmerung oder in kurzen Pausen des Alltags. „Ich habe keine Zeit nachzudenken, die Feder denkt.“ Doch Schaffensdrang und Disziplin waren immens, das Schreiben ein Muß, das Zwetajewa als „Leibeigene der Lyra“ der Leibeigenschaft des Hausfrauendaseins abtrotzte. Warf man ihr Härte vor, reagierte sie unwirsch:

Meine scheinbare Härte war nur – Form, Wesenskontur, notwendiger Selbstschutz – vor eurer Weichheit, Rilke, Marcel Proust und Boris Pasternak… Ihr kauft euch – durch sie – frei, verstopft mit dieser hygroskopischen Watte die Wundlöcher, die ihr geschlagen habt, den brüllenden Schlund der Wunden… Robert Schumann vergaß, daß er Kinder hatte, vergaß ihre Anzahl, vergaß ihre Namen, vergaß überhaupt die Tatsache, fragte nur, ob die älteren noch immer so wundervolle Stimmen hätten. Aber – das ist nun eure Rechtfertigung – nur Solche schaffen Solches. (An Boris Pasternak, Oktober 1935)

Schaffen nur Solche Solches? Zwetajewa behauptet, wie sich längst gezeigt hat, den gleichen Rang wie die von ihr bewunderten Rilke und Alexander Blok, wie Ossip Mandelstam, Boris Pasternak und Anna Achmatowa. Und müßig die Frage, ob sie unter besseren Lebensbedingungen noch Besseres, noch mehr geleistet hätte. Die Zwänge, die Widerstände und Spannungen lieferten wesentliche Schreibimpulse, Zorn, Frustration und Sehnsucht („mein stärkstes Gefühl“) entluden sich im Gedicht.
Zwetajewa ist ein genuin dramatisches Talent, unter ihrer Hand gewinnt jeder Stoff geradezu explosive Expressivität. Ob Tisch oder Holunder, ob Vorhang oder ein Augenpaar – die Leidenschaft versetzt alles in Vibration. Und wo der Zorn diktiert, hagelt es (wie im Gedicht „Zeitungsleser“, 1935) sarkastische Staccatoverse:

… Zeitung lies: Geläster.
Zeitung lies: Der Feind.
Keine Spalte ohne Ekel,
Keine Zeile nicht verschweint…

(Übersetzung: Christa Reinig)

Selbst Abschied, Trennung, Tod inspirieren Zwetajewa nicht zu elegischen Zeilen, sondern – umgekehrt – zu einem vitalen, herausfordernd emphatischen Dialog. Der Bruch mit Konstantin Rodsewitsch – nach einer kurzen stürmischen Liebe in Prag – erscheint im „Poem vom Ende“ als Kulmination, als der geballteste Ausdruck der Beziehung. Und Rilkes Tod setzt in Zwetajewa jene schöpferischen Energien frei, die im Briefwechsel – mit seinem Maximalismus, seiner angespannten Hoffnung auf eine Begegnung (zu der es nie kommen sollte) – implodierten: die lyrische Nekrolog-Epistel „Neujahrsbrief“ liest sich als heiter-ernstes Gespräch außerhalb von Raum und Zeit, in der Freiheit uneingeschränkter Kommunikation und Phantasie.
Mit den Prosatexten „Dein Tod“ (1927) und „Einige Briefe von Rainer Maria Rilke“ (1929) führt Zwetajewa den Dialog fort. So wie sie in den dreißiger Jahren den Tod ihrer Freunde Andrej Belyj und Sonja Holliday mit dem Essay „Ein gefangener Geist“ und der wunderbar lebendigen „Erzählung von Sonetschka“ beantwortet. Aufrührerisch den Tod negierend, inszeniert sie Unmittelbarkeit; die Beschwörung des Dahingegangenen verdichtet sich zum Mythos, zur Gegenwelt.
Das gilt im besonderen für die autobiographische Prosa – „Mutter und die Musik“, „Das Haus beim alten Pimen“ u.a. –, wo die Gestalten der Kindheit, auch der jungen Marina, erweckt werden – subjektiv („wie ich es sehe“), mit heftigem lyrischem Zugriff, unter gezielter Verwendung direkter Rede und Thematisierung des Erinnerungsprozesses selbst. Nicht Familienchronik, sondern glühende Ich-Prosa, nicht wehmütiges Memorieren, sondern dialogischer Monolog einer Mythomanin.
Zeitgenossen, Brieffreunde bestätigen es: Zwetajewa war eine Mythenbildnerin, die sich von ihrem Gegenüber ein Bild schuf – leidenschaftlich, ungestüm, idealisierend –, darin der andere unterging, unfähig, ihren possessiven Eros zu erwidern. Tragik all ihrer Briefromane: die Überforderung des Partners durch maximalistische Ansprüche (der Loyalität, Zuwendung, Anteilnahme), seine „Vergewaltigung“. Zog der andere sich zurück – maßlose Erbitterung. Nur wenige, wie Pasternak, sind nicht erschrocken. Rilke, schon schwer krank, war solcher Intensität kaum noch gewachsen:

Rainer Maria Rilke! Darf ich Sie so anrufen? Sie, die verkörperte Dichtung, müssen doch wissen, daß Ihr Name allein ein Gedicht ist…

Superlative, Emphase, Begeisterung. Es ist dieselbe – hymnische – Begeisterung, mit der Zwetajewa zehn Jahre zuvor ihre „Gedichte an Blok“ („Dein großer Name, Buchstaben, vier, / Aus dem Flug gefangene Bällchen und / Die Silberschelle innen im Mund“) und an die „Muse der Klage“, Achmatowa, dichtete oder mit der sie 1919 das Land ihrer Seele, Deutschland, beschwor. Keine blinde, sondern eine luzide Begeisterung, die jedoch zur Mythisierung strebt. (Nicht umsonst kannte sich Zwetajewa in der Mythenwelt der Griechen glänzend aus und verarbeitete antike Sagenstoffe in Dramen und Gedichten.) Die Zielrichtung: oben, „darüber hinaus“, zum Absoluten. Akzidenzien geraten in den Sog der Vision. „Das ganze Werk der Zwetajewa“, schrieb Susan Sontag, „ist eine Aufforderung zur Verzückung und zur genialen Besonderheit, das heißt zur Hierarchie: eine Poetik des Prometheischen.“
Dieser Ansatz erscheint – paradox, wie so vieles bei Zwetajewa – gepaart mit Nüchternheit und daraus resultierendem Sarkasmus. So wie sie ihre Lebenssituation immer klar, illusionslos und ohne Selbstmitleid beurteilt, so wie sie bereits 1934 das heraufkommende Kriegsunheil ahnt und das Zeitalter der „organisierten Massen“ ablehnt, so kennt sie auch im Schreiben Momente des terre à terre, kennt sie die Register handfester Polemik. Voll Empörung reagiert sie auf die Annexion der Tschechoslowakei durch die Hitler-Truppen („Gedichte an das Tschechenland“), und ihre Briefquerelen mit kürzungswütigen Zeitschriftenredakteuren lassen an argumentativer Stringenz nichts zu wünschen übrig. Auseinandersetzung ist die Losung, im Guten wie im Schlechten.

Was heißt das – menschliches Schaffen? Erwiderung eines Schlages, weiter nichts. Eine Sache dringt auf mich ein, versetzt mir Schläge, ich erwidere die Schläge. Entweder die Sache stellt mir eine Frage, und ich antworte. Oder ich stelle vor die Antwort der Sache eine Frage. Stets Dialog, Zweikampf, Ringen, Kämpfen, Wechselwirkung. („Natalja Gontscharowa“, 1929)

Das tote Holz des Schreibtischs („mein Zu-Lebzeiten-Totenbrett“) – Zwetajewa reißt es aus seiner Statik, verlebendigt es zum Gegenüber, in einem Akt schöpferischer Vehemenz:

… Dank, daß du hütetest mich
Und beugtest. Vergänglichem ab
Schlugst du mich wie der Magier die Schläferin.

Der die Male der Schlacht
Tisch, in Kolonnen gebracht,
Die brannten: Der Adern Rot!
Chronik meiner Taten und Not!

Standbildstand, Munds Verschluß
Du warst mir Thron, Raum und Fluß
Warst das, was dem Judenvolk
Die Säule, die brennend rollt!

So sei gesegnet denn –
Mit Stirn, Ellenbogen, verknoteten
Knien – wie eine Säge gewußt –
Tischrand – Schnitt in die Brust!

(Übersetzung: Rainer Kirsch)

Auffallend die Metaphern des Verletzens: Das Vertrauteste, Unabdingbarste fügt Schmerz zu. Selbst das Brot – in einem späten Gedicht von 1940 – „tut weh“. Der Schmerz als Stimulans, als kreativer „Schlag“.
Schon 1916 findet Zwetajewa zu jenen Rhythmen, deren „musikalische Magie“ Pasternak so bewundert hat. Im Laufe der zwanziger Jahre strafft und verschärft sich die Form. Es dominiert der dreihebige Vers mit einsilbigen (Reim-)Wörtern: ein hektisches Staccato, bei einer maximal elliptischen Syntax (die jeden Übersetzer zur Verzweiflung treibt). Äußerste Verdichtung auch in der Prosa: substantivischer Stil voller Wortspiele, Assonanzen, Neologismen, dessen emotionale Geballtheit sich in einer exzessiv-expressiven Zeichensetzung manifestiert. Zwetajewa schreibt mit dem Ohr; ihre Texte sind Partituren, notiert für den mündlichen Vortrag, für die emphatische Deklamation.
Selbst in ihren deutsch geschriebenen Briefen an Rilke (und in ihren französischen Übertragungen eigener Arbeiten) bricht sich ihr Personalstil Bahn: dieselben Kunstgriffe, derselbe prägnante Rhythmus. Rilke schwärmte:

Welche Stärke Du hast, Dichterin, auch in dieser Sprache Deine Absicht zu erreichen, genau zu sein und Du. Dein Gang, der an die Stufen anklingt, Dein Ton, Du.

Zwetajewa hat nie einer poetischen (noch politischen) Richtung angehört, die Attribute symbolistisch, akmeistisch, futuristisch treffen nicht. Herber als (der frühe) Pasternak, verbindet sie rhythmisch manches mit Majakowskij. Die Darstellung entspricht jedoch immer einer zutiefst persönlichen, leidenschaftlichen Sicht der Dinge. Und keine Sache, die nicht Anlaß zur Leidenschaft gegeben hätte. So auch das Meer (in einem Brief an Pasternak vom 23. Mai 1926):

Ich liebe das Meer nicht. Kann nicht. So viel Platz, aber gehen kann man nirgends… Und nachts! Kalt, zurückweichend, unsichtbar, nicht liebend, von sich selbst erfüllt – wie Rilke! (Von sich selbst erfüllt oder von der Göttlichkeit – das ist einerlei.) Die Erde tut mir leid, ihr ist kalt. Dem Meer ist nicht kalt, es ist die Kälte selbst, alles, was an ihm erschreckt – ist es selbst. Sein Wesen. Ein riesiger Kühlschrank. (Nacht.) Oder ein riesiger Kochkessel. (Tag.) Und vollkommen rund. Eine ungeheure Untertasse. Flach, Boris! Eine riesige, flachbödige Wiege, die jeden Augenblick das Kind (die Schiffe) hinausschleudern kann. Man kann es nicht streicheln (naß). Man kann nicht zu ihm beten (schrecklich). So würde ich zum Beispiel Jehova hassen. Wie jede Macht. Das Meer ist Diktatur, Boris. Der Berg ist – Göttlichkeit.

Die Formulierung drängt zum Aphoristisch-Apodiktischen, ohne den Widerspruch zu scheuen. Es gehört zu Zwetajewas Lebendigkeit, daß sie provoziert.
Nicht nur in der Emigration steht Zwetajewa zwischen allen Fronten, doch dort gewinnt ihr Einzelgängertum schicksalhafte Züge. Als prosowjetisch verschrien, vom (klassizistisch geschulten) Literaturpapst Adamowitsch disqualifiziert, durch die Armut sozial ins Abseits gedrängt, von der Epoche abgestoßen, bildet sie in den Pariser Jahren definitiv ihren „Gegen-Sinn“ heraus: ein trotziges, tapferes „Kontra“. Es geht nicht um Märtyrerposen, um ein Leidenscharisma, sondern um die Unfähigkeit, sich zu arrangieren, mit dem Strom zu schwimmen: „daher mein Fußgängertum und meine vollkommene Einsamkeit: vor mir weicht alles zurück.“
Die Einsamkeit ist – neben der Liebe und der Kunst – das Leitmotiv von Zwetajewas Werk: einer gegen alle, alle gegen einen. Die Einsamkeit Gottes und des Menschen, die Einsamkeit des Dichters („jeder Dichter ist Emigrant“) und des Ichs hic et nunc:

Heimweh, jedesmal
Entlarvte Illusion!
Mir ist es ganz egal
Wo ich allein bin.

Allein auf welchem Stein
Steh mit dem Einkaufsnetz,
Ich weiß nicht, was ist mein,
Spital, Kaserne – nichts.

Gleich, vor welchem Gesicht
Sich mir das Fell sträuben muß.
Die Menschen drängeln dicht,
Ich bin herausgedrängt, allein.

Für mich sein. Ein Kamtschatkabär
Ohne das Eis. Kann nicht dabei sein,
Kann nicht (will’s auch nicht mehr).
Wo man sich beugen muß, mir gleich.

Ich folge nicht benommen
Meiner Heimatsprache, ihrem Milchschrei –
Und wenn, die mir entgegenkommen,
Mich nicht verstehn, es ist mir gleich.

(Die Schlucker von dem Zeitungsbier
Die Zentnerleser, Zeilenmelker…)
Sie, 20. Jahrhundert, sind von hier,
Und mein Jahrhundert – irgendeins…

(Übersetzung: Christa Reinig)

In die Literatur ihrer Heimat ist Zwetajewa erst nach Stalins Tod wiederaufgenommen worden. Heute reklamiert Rußland sie als die gegenwärtigste, aktuellste Dichterin, verwöhnt sie mit Editionen, Gedenkstätten, Feiern und Symposien. Die Zeit der Außenseiterin ist gekommen – in einer Epoche radikalen Umbruchs.

Ilma Rakusa, Neue Zürcher Zeitung, 3./4.10.1992

Ruhm und Armut

1925–1927

Paris erschloß sich Marina nicht so wie Prag, obgleich ihr Ruhm bereits bis zu den zahlreichen russischen Emigranten gedrungen war, denen sich diese Stadt immer als die reizvollste europäische Alternative zu ihrer Heimat dargestellt hat. Als junges Mädchen hatte sie das geschäftige Treiben in dieser Stadt als aufregend empfunden; jetzt versetzte sie der großstädtische Verkehr in Panik. Jedenfalls waren es nicht die Schönheiten von Paris, denen sie sich ausgeliefert fühlte.
Am 31. Oktober 1925 kam Marina Zwetajewa mit ihrem neun Monate alten Sohn Mur und ihrer zwölfjährigen Tochter Alja in Paris an, wo sie bei Murs Patentante, Madame Tschernowa-Kolbasina, Aufnahme fanden (sie war früher in Prag Marinas Freundin und Nachbarin gewesen). Die Tschernowas bewohnten drei Zimmer in Clarmart, einer Arbeitergegend, und die ganze Familie lebte in großer Armut. Aber Madame Tschernowa mochte Marina; ihre Töchter kannten und bewunderten ihre Dichtungen; und alle taten ihr Bestes, um ihre Gäste an ihrem kargen Leben teilhaben zu lassen. Es war ein Akt außerordentlicher Großzügigkeit, daß sie eines ihrer drei Zimmer abgaben.
Marina wußte das, fand aber dennoch den Mangel an Raum und die geräuschvolle Straße vor dem Haus bedrückend, und das Fehlen einer privaten Sphäre quälte sie. Das Zimmer, das sie bewohnte, wurde des öfteren von anderen Leuten betreten, die nicht nur miteinander schwatzten, sondern erwarteten, daß sie sich an ihrer Unterhaltung beteiligte. Selbst Marina war es unmöglich, zu ignorieren, daß es im Zusammenleben notwendig war, über Dinge zu sprechen, die sie nicht interessierten. Wie Serjoscha in Prag, hatte sie das Gefühl, in eine Falle geraden zu sein, wie sie in einem Brief an Anna Tesková vom 30. Dezember erläuterte:

Wir sind zu viert [Serjoscha war mittlerweile eingetroffen] in ein Zimmer eingepfercht. Ich kann überhaupt nicht schreiben. Mit Bitterkeit denke ich daran, daß selbst der mittelmäßigste Journalist einen Schreibtisch und zwei Stunden Ruhe hat. Ich habe keine Ruhe – nicht eine Minute: ich bin ständig von Leuten umgeben, die sich unterhalten, und das lenkt mich von meinem Notizbuch ab. Ich denke fast mit Freude an meine Stellung im sowjetischen Moskau – dort habe ich drei meiner Stücke geschrieben; Ein Abenteuer, Fortuna und Phönix – 2000 Zeilen Verse.1

Die Welt ringsum fand sie häßlich, das Viertel, in dem sie lebte, erinnerte sie an Romane, die in den Londoner Slums spielten. Das Fenster blickte auf einen Kanal, und wegen der zahlreichen Schornsteine war es unmöglich, den Himmel zu sehen. Sie haßte den Gestank von Ruß und das unaufhörliche Donnern der Lastwagen. Nirgendwo konnte man spazierengehen, weit und breit gab es keinen Busch, und zum einzigen Park waren es zu Fuß vierzig Minuten.
In seinen Erinnerungen hat Mark Slonim Marina vorgeworfen, sie rede zuviel über ihre Armut, doch sie beklagte sich selten bei Leuten, die ihr bei den unangenehmen Tätigkeiten des täglichen Lebens halfen. Sie war Frauen immer dankbar, die Aufgaben zu meistern vermochten, mit denen sie nicht fertig wurde. Vor allem hatte sie gelernt, jenen Liebe und Vertrauen zu schenken, „die dir Pullover stricken und sich um deine Kinder kümmern“. Mit Dankbarkeit erinnerte sie sich der Familie Tschirikov, die ihr in der Tschechoslowakei bei der Betreuung ihres Babys geholfen hatte (Frau Tschirikova war Schauspielerin) und auch an ihre tschechische Freundin Anna Andrejewna, deren mütterliches Wesen ihr bei Marinaden Beinamen „Muttertier“ eintrug. Voller Liebe sprach sie auch von Katja, einer weiteren Freundin aus dem Dorf, die Alja früher auf dem Rücken die unwegsamen Hänge von Všenory hinaufgetragen hatte.
Marina fürchtete, in Paris nicht dieselbe Unterstützung zu finden, und sie schrieb über Madame Tschernowa, als wäre diese eine Zimmerwirtin. Doch Marina bekam zumindest einen richtigen Tisch, den ihr Olga (eine der Tschernow-Töchter) schenkte, und trotz aller häuslichen Zwänge fand sie Gelegenheit, daran zu arbeiten. In der Wohnung von Madame Tschernowa beendete sie „Der Rattenfänger“2 – während sie schrieb und den Text überarbeitete, kochte sie Mur seinen Brei, kleidete ihn an und aus und badete ihn, genau wie in Všernory. Das hundertseitige Epos vom Rattenfänger erzählt die bekannte Geschichte der verschlagenen Bürger von Hameln in neuer überquellender, ausgelassener Rhythmik, wobei der Tod der Kinder am Schluß in magischen Lyrismen aufgelöst wird.

Am 4. Dezember schrieb Marina abermals, um Anna Tesková zu bitten, Madame Jurchinova um ein dunkles Kleid anzugehen, damit sie sich in interessanter Gesellschaft zeigen könne. Man hatte angefangen, sie einzuladen, und, anders als in Prag, schämte sie sich in Paris ihres schäbigen Aufzuges. Durch ihre Lebensumstände niedergedrückt, ertrug sie die große Welt nicht, und die Leute begannen, sie für hochmütig zu halten. Das Bitten war ihr jedoch auch peinlich, und sie bat Anna ausdrücklich, Serjoscha nichts davon zu erzählen, der noch immer in der Tschechoslowakei war: alle ihre Briefe an ihn berichteten nur Gutes über ihr Leben in Paris. Als Serjoscha schließlich Ende Dezember 1925 in Paris eintraf, stellte er fest, daß seine Frau innerhalb von sechs Wochen eine Berühmtheit geworden war.
Marina wurde aufgefordert, aus ihren Werken zu lesen, und nachdem der Termin der Lesung einmal verschoben worden war, fand diese schließlich im Februar 1926 statt; sie war in allen Emigrantenzeitschriften groß angekündigt worden, sogar in der Berliner Tageszeitung Rul. Es war vereinbart, daß sie zusammen mit einem Sänger und einem Geiger auftreten sollte, doch es war keine Frage, daß diese relativ unwichtig waren. In der dichtbesetzten Halle hatte sie einen stürmischen Erfolg, der ihre Stellung als eine der bedeutendsten Dichterin der Emigration festigte.
Irina Kotting, eine Dichterin, die der Lesung beiwohnte, schrieb am Tag danach ein Gedicht, in welchem sie sich ziellos durch den Regen wandernd beschreibt, ohne auf den Autoverkehr zu achten, da sie von der Veranstaltung so überwältigt war. Auch Rul in Berlin bezeichnete die Lesung als einen persönlichen Triumph.
Der Beifall gab Marina nicht nur einen dringend notwendigen seelischen Aufschwung, sondern er etablierte sie in der russischen Gemeinde in Paris als eine literarische Berühmtheit. Serjoscha, der noch immer Trost und Zuneigung brauchte, tat sich schwer, Freude über ihren Erfolg zu empfinden, und die Familie Efron brauchte Geld zweifellos nötiger als Ruhm. Ihre finanzielle Lage blieb prekär, und im Lauf des nächsten Jahres verließen sie das Zimmer bei Madame Tschernowa und zogen in den südwestlichen Vorstädten von Paris von einer Wohnung in die andere. Eine Wohnung im Zentrum von Paris konnten sie sich keinesfalls leisten, selbst wenn Marina sich dort nicht unwohl gefühlt hätte:

Mitten in der Stadt bin ich das jämmerlichste Geschöpf, wie ein Schaf, das sich mitten in New York wiederfindet.

Und so hoffte Marina noch im September, trotz ihrer bedeutenden Bekanntschaften, zu denen jetzt Bunin und sein Kreis gehörten, auf eine Rückkehr nach Prag, träumte immer noch davon, dort eine Wohnung in der Nähe des Zentrums zu finden, die es ihr möglich machte, alles, was Prag zu bieten hatte, zu genießen. Ihr waren durch die Ansprüche der Kinder und dem Geldmangel solche Grenzen gesetzt, daß eine ganze Wohnung nicht in Frage kam, wie sie wußte, doch in einem Brief an Anna Tesková spekulierte sie:

Ob es wohl möglich wäre, zwei Zimmer bei einer tschechischen Familie zu finden, die Russen gern hat und es mit der Sauberkeit nicht zu genau nimmt?

Sie erwog, für kurze Zeit zu einem Besuch nach Prag zurückzukehren und die tschechischen Behörden davon zu überzeugen, daß sie ihren Wohnsitz nicht auf Dauer verlegt habe, damit man ihr weiterhin ihr regelmäßiges Stipendium von 1.000 Kronen im Monat zahlte. Die angedrohte Reduzierung dieser Summe auf die Hälfte hätte zur Folge gehabt, daß Marina ganz auf die Wohltätigkeit ihrer Freunde angewiesen gewesen wäre.
Währenddessen gewann ihre Korrespondenz mit Pasternak eine neue Intensität. Der überschwengliche Ton, in dem alle ihre Briefe an Pasternak gehalten sind, könnte einen Außenstehenden sehr wohl beunruhigen. Aus Pasternaks Antwortbriefen geht deutlich hervor, daß seine Schwärmerei inzwischen den Grad der ihren erreicht und begonnen hatte, sein Verhältnis zu seiner Frau Shenija zu beeinflussen. Am 20. April 1926 schrieb er an Marina und bat sie zu entscheiden, welche Form ihre Beziehung im folgenden Jahr annehmen solle: 

Schau um Dich, und aus diesem Umschauen schöpf den Antrieb zu Deiner Antwort, aber nicht aus dem Wunsch, mich zu sehen, denn Du weißt ja, wie ich Dich liebe und das mußt Du erkennen wollen. Antworte mir sofort. Wenn Du mich nicht zurückhältst, komme ich mit leeren Händen nur zu Dir3

Es war Marina, die vor einer solchen Bindung zurückschreckte, wie sie viele Jahre später an Anna Tesková schrieb:

Im Sommer 1926, nachdem er mein „Poem vom Ende“ gelesen hatte, fühlte sich B. wahnsinnig zu mir hingezogen, wollte kommen und bei mir sein – ich hinderte ihn daran: ich fürchtete eine totale Katastrophe.4

Pasternak sollte ihr später für ihre Weigerung dankbar sein, zuzulassen, daß ein Erdbeben sein Leben zusammen mit dem ihren zerstörte.
Im April 1927 ließ sich die Familie Efron in Meudon nieder, wo eine Anzahl anderer russischer Emigranten, damals wie heute, hauste. Ihre neue Anschrift – Rue Jeanne d’Arc, Nr. 2 – gefiel Marina. Um diese Zeit war Meudon eine recht ansehnliche Vorstadt mit hübschen Hügeln und Parks. Die Wohnung der Efrons war nur fünfzehn Eisenbahnminuten von Paris entfernt, und es gab dort den Luxus eines Gartens für Mur, obgleich die Efrons das Haus mit einer anderen Familie teilen mußten. Die Aussicht auf den Umzug entzückte Marina und setzte sie instand, sich über die mißbilligende französische Wirtin ihrer bisherigen Wohnung lustig zu machen, die darauf bestand, daß alle Schränke vor ihrem Auszug gründlich zu reinigen seien.
In Meudon fanden sie seelenverwandte Nachbarn, die ihnen für den Rest ihres Lebens in Treue verbunden bleiben sollten – besonders Jelena Iswolskaja, die Tochter eines russischen Diplomaten, dem früheren Botschafter in Frankreich. Jelena, selbst Übersetzerin von Gedichten, beschrieb ihren Eindruck von Marina einfühlsam und detailliert:

Weder elegant noch hübsch: hager, blaß, fast ausgemergelt… sie war nicht schön, sondern glich eher einer Ikone. Sie arbeitete und schrieb und holte Feuerholz und nährte ihre Familie mit Essensresten. Sie wusch, bügelte, nähte mit ihren einst schlanken Fingern, die nun von der Arbeit rauh waren. Ich erinnere mich gut an diese Finger, gelb vom Rauchen; sie hielten eine Teekanne, eine Bratpfanne, einen Kessel, ein Bügeleisen, sie fädelten einen Faden ein und entfachten ein Feuer. Dieselben Finger führten Feder oder Bleistift über das Papier auf dem rasch abgeräumten Küchentisch. An diesem Tisch schrieb Marina – Verse, Prosa, Entwürfe für ganze Poeme; manchmal warf sie zwei oder drei Worte und einen bestimmten Reim aufs Papier und schrieb ihn wieder und wieder ab… Ihr bei der Arbeit zuzusehen, war, wie wenn ein Naturfreund das Wachsen eines Grashalmes, eines Blattes, eines Stengels beobachtet, das Ausschlüpfen junger Vögel in Waldnestern oder die Verwandlung einer Puppe in einen Schmetterling.5

Serjoscha schloß sich immer enger an eine politische Bewegung an, der Marina wenig Interesse entgegenbrachte. Die Gruppe der „Eurasier“ war von dem Musikwissenschaftler Peter Suwtschinski gegründet worden, der mit seiner Frau Vera in ihrer Nähe wohnte; in ihrer Nachbarschaft gab es eine Reihe von Förderern dieser Bewegung, der auch Jelena Iswolskaja angehörte. Der Grundgedanke der „Eurasier“ war, daß die Sowjetunion sowohl zu Europa als auch zu Asien gehöre. Unter den Emigranten glaubte man, die Mitglieder seien Sympathisanten der Bolschewiken, obgleich ihre größte, vielleicht hochtrabende Hoffnung in einer Reform (wenn nicht gar einer Überwindung) des Sowjetregimes bestand. Wo auch immer Marinas politische Präferenzen lagen, die Erweiterung ihres Pariser Bekanntenkreises, den Serjoschas Verbindung mit den „Eurasiern“ zur Folge hatte, sollte sich als sehr wichtig für sie erweisen.
Der Kritiker Mirski (Fürst Swjatopolk-Mirski, später Kommunist) war zu dieser Zeit Mitglied der Gruppe und Mitherausgeber ihrer Zeitschrift Werstpfähle. Marina – die gekränkt gewesen war, weil er sie nicht in seiner Anthologie russischer Lyrik berücksichtigt und von ihr als einer „schlampigen Moskowitin“ gesprochen hatte – fand jetzt in ihm einen unerwarteten Verbündeten. Vera Suwtschinski, selbst eine große Verehrerin Marinas, behauptet, sie habe diesen dramatischen Wandel in seinem Verhältnis zu Marina bewirkt. Mit der Person Marinas war sie freilich weniger geduldig. Die beiden waren sich Ende 1925 in Clamart zum ersten Mal begegnet, als Mur kaum neun Monate alt war. Damals hatte Marinas Weigerung, ihre Brille zu tragen, Vera empört, weil sie darin ein absurdes Zeichen ihrer Unfähigkeit sah, sich auf die äußere Welt einzustellen, doch sie bewunderte den Gang der Dichterin – „wie eine Ziege“. Das ist kein Kompliment in anderen Sprachen, doch im Russischen wird es als solches verstanden. Marinas Gang war leichtfüßig und trotz ihres harten Lebens energisch und entschlossen.
Im Frühjahr 19261 nach ihrer triumphalen Februarlesung, lud Mirski sie ein, ihn bei einem Besuch in London zu begleiten, in der Hoffnung, ihr in England eine Lesung zu verschaffen. Zu einer Lesung kam es nicht, doch für Marina waren es ihre ersten freien Wochen in den acht Jahren seit der Revolution. Nach einer unerquicklichen Kanalüberquerung angekommen, fand sie London liebenswert: den Fluß, Bäume und Kinder, Hunde und Katzen, die „wundervollen Kamine und das wundervolle Britische Museum“. Wie in einem Rausch schrieb sie in einer Woche so viel, wie sie unter ihren gewohnten häuslichen Bedingungen in anderthalb Monaten geschrieben hätte.
Marina verbrachte mit Mirski eine Nacht in London. Er berichtete Vera Suwtschinski, Marina sei, sehr zu seiner Überraschung, an seinem Bett aufgetaucht, und ihr nackter jungenhafter Körper habe ihn verblüfft. Ob er dieses Erlebnis unbefriedigend fand, wie Vera behauptet, oder nicht, jedenfalls maß keiner der beiden ihm große Bedeutung bei.
Als sie nach Paris zurückkam, erfuhr Marina, daß großzügige Freunde ihr einen weiteren Urlaub ermöglicht hatten, und sie und die Kinder verbrachten den Sommer, zusammen mit Vera Suwtschinski am Meer in St. Gilles in der Vendée, während Serjoscha in Paris blieb. Marinas Aussehen besserte sich, sobald sie die häßlichen Kleider der Armut abwerfen konnte. Sie wurde schnell braun, wie damals vor vielen Jahren auf der Krim, und obwohl sie das Baden im Meer nicht mochte, liebte sie es, in der Sonne zu liegen. Große Freude hatte sie an der zunehmenden Gesundheit und Kraft ihres Sohnes Georgi, der inzwischen etwa achtzehn Monate alt war, und alles, was er tat, entzückte sie. Vera fand diese Vernarrtheit in den Sohn zum Rasendwerden. Einmal hatte das Kind sich so hingestellt, daß es Veras Körper das Sonnenlicht nahm, und Vera bat Mur, beiseitezugehen. Marina ermahnte sie scherzhaft:

Du kannst ihn doch nicht bitten, aus der Sonne zu gehen. Schau ihn doch an! Er ist die Sonne…

Diese Übertreibung befremdete Vera, und schon damals hatte sie an Marinas Verhalten als Mutter mancherlei zu kritisieren. Sie sah deutlich, wie Alja vernachlässigt wurde, während Marina ihre ganze Liebe auf Mur konzentrierte. Alja zeigte kein Verlangen, gegen die fehlende Aufmerksamkeit ihrer Mutter anzukämpfen, sondern wurde statt dessen gleichmütiger und selbstbewußter denn je.
Marinas Aufenthalt in St. Gilles war keine reine Idylle. Manchmal war es so kalt und windig, daß alle ihre Wintermäntel anziehen mußten. Obgleich Marina die Großartigkeit der ozeanischen Küste und des Meeres zu würdigen wußte, brachte sie keine Liebe dafür auf:

Was soll ich mit dem Meer anfangen? Soll ich es anschauen? Das genügt mir nicht. Schwimmen? Ich mag die horizontale Lage nicht… Ich liebe die Vertikale: Gehen, einen Berg; ich liebe das Gefühl der Kraft, die daraus entspringt. Vor dem Ozean bin ich ein Beobachter; als säße ich im Theater in einer Loge… Außerdem, entweder wird man durch das Meer eingeschüchtert oder weich gestimmt. Das Meer ähnelt zu sehr der Liebe. Ich liebe die Liebe nicht (sie ist immer eine Frage des Sitzens und Wartens, was die Liebe mit mir anstellen wird). Ich liebe Freundschaft: einen Berg.6

Während des ganzen Sommers 1926 kamen Marinas Briefe an Anna Tesková aus St. Gilles, wo sie sich trotz der Nähe zu Strand und Meer, nach Prag sehnte. Sie wußte, daß sie Gast in St. Gilles war, doch wegen des Aufwands an Höflichkeit, den man aufbringen mußte, haßte sie es, Gast zu sein. Als sie eine Postkarte aus Prag betrachtete, sah sie in den Bäumen eine Einladung zur Rückkehr.
Dennoch begann sie im Juni 1926 ihren Plan fallenzulassen, in die Tschechoslowakei zurückzukehren. Das geschah aus praktischen Erwägungen – zum Beispiel war die Miete für das Haus im Meudon bereits bis Mitte Oktober bezahlt, und das Geld durfte nicht verschwendet werden – doch wichtiger war die Notwendigkeit, die mit dem „Poem vom Ende“ und dem „Poem vom Berg“ verbundenen Emotionen zu verdrängen. Vielleicht war es heilsamer, jetzt, da Rodzewitsch verheiratet war, sich vorzustellen, die Stadt Prag gebe es nicht mehr.
Marina erwähnte die Heirat ihres Geliebten beiläufig in einem Brief an Pasternak vom 10. Juli. Nun begann sie sich selbstbewußt zu fragen, was sie von ihren Beziehungen zu Männern überhaupt noch erwarte. Ihre Analyse fiel bitter aus, als sie die Gründe zu verstehen suchte, warum sie jene Art von Leidenschaft nie entfacht hatte, nach der sie sich sehnte. Sie ahnte, daß die Männer Eva als geschlechtliches Wesen der Psyche vorzogen, und trotz ihrer faszinierenden Kraft hatte sie nie jemanden gefunden, der sie mehr liebte als alles andere auf der Welt. Nicht nur, weil sie zu vergeistigt war, sondern weil etwas in ihr war, das sie mehr zu einem Gast als zu einem Gastgeber machte.

Man schießt sich wegen der Hausherrin, nicht wegen des Gastes. Ich zweifle nicht, daß ich in den greisenhaften Memoiren meiner jungen Freunde an erster Stelle stehen werde. In den wirklich männlichen – komme ich überhaupt nicht vor.7

In einem anderen Brief, geschrieben am 21. Juni, wich Marina einer genauen Analyse von Pasternaks neuem Poem „Leutnant Schmidt“ aus, während er Schwierigkeiten hatte, zu ihrem „Rattenfänger“ Zugang zu finden. Sie hatte viele literarische Probleme. Mirski bekam Schwierigkeiten mit den Emigranten-Kritikern, weil er die Gedichte Zwetajewas und Pasternaks verteidigte. Viele von ihnen reagierten ausgesprochen feindselig, und eine der bösartigsten war Sinaida Hippius. Zwischen den beiden Frauen gab es eine gewisse Rivalität, wenngleich die Hippius zu hochmütig war, um sich auf einen Vergleich einzulassen. 1926, zum Beispiel, schrieb sie einen Brief in ihrer Eigenschaft als Mitherausgeberin einer literarischen Zeitschrift:

Wie die Herausgeber zu den Gedichten der Zwetajewa stehen, ist gewiß eine Sache ihres Geschmacks, doch sie zusammen mit den meinen auf derselben Seite zu sehen, zeugt unzweifelhaft von schlechtem Geschmack. Meinen Sie nicht auch?

Pasternaks Bewunderung Marinas hielt unvermindert an, ja sie vergrößerte sich noch durch die Rechtschaffenheit, mit der sie sich weigerte, sein Poem „Leutnant Schmidt“ zu loben. In einem Brief an Maxim Gorki versuchte er 1927, dessen einflußreiche Unterstützung für das „ungeheure Talent von Marina Zwetajewa und ihr unglückliches, unerträglich schwieriges Schicksal“ zu gewinnen, und er bot an, alles zu tun, was ihr zu einer Rückkehr in die Sowjetunion verhelfen könne. Gorkis Weigerung zu helfen, führte zu einem wütenden Zwist zwischen den beiden Schriftstellern, obgleich Gorkis Absichten alles andere als schändlich waren. Er und seine Frau hatten Marina und ihre Schwester als Kinder gekannt, und Gorki stand mit Anastassja noch immer auf freundschaftlichem Fuß. Verglichen mit Pasternak, war Gorki jedoch von Marinas Werk weniger beeindruckt und hatte eine erheblich klarere Vorstellung von den Gefahren, die sie erwarteten, wenn sie zurückkehrte.
In ihrem Brief an Pasternak erwähnte Marina einen Umstand, der sie weit mehr schmerzte als die Eifersucht der Emigranten-Kritiker. Wladimir Majakowski war ein Dichter, dem Marina immer uneingeschränkte Bewunderung gezollt hatte, eine Bewunderung, die ihre Unpopularität in Emigrantenkreisen, in denen kein Sowjetpoet akzeptabel war, natürlich vergrößerte. Deshalb war sie besonders schmerzlich berührt, als sie in einem Artikel Majakowskis als Rat an die sowjetischen Buchhändler lesen mußte:

Der Buchhändler muß dem Käufer stärker zusetzen. Da kommt so eine Komsomolzin mit der beinahe festen Absicht beispielsweise ein Buch von der Zwetajewa zu kaufen. Dieser Komsomolzin müßte der Buchhändler dann sagen, indem er den Staub von einem alten Buchumschlag pustet: „Genossin, wenn Sie sich für Zigeunerstimmung interessieren, dann bin ich so frei, Ihnen Sselwinskij zum empfehlen. Das gleiche Thema, aber wie bearbeitet! Ein Mann!… Versuchen Sie doch mal dieses Buch hier von8

Zwar war Marina verletzt, doch sie hegte keinen Groll und änderte ihre kritische Meinung über Majakowskis Rang nicht. Er war ein glänzender Dichter, wenn sie ihn auch nicht mehr idealisierte.
Marina hat einmal erklärt, sie sei nur zwei Männern begegnet, die sich in ihrer dichterischen Kraft ebenbürtig seien: Rilke und Pasternak; obwohl sie mit Rilke ausschließlich in brieflichem Kontakt stand. In ihrer Kindheit war sie einmal Rilkes Freundin in einem Märchenschloß begegnet, doch die Begegnung mit Rilke selbst war ein imaginäres Treffen das sie in ihrem Essay „Dein Tod“ beschreibt, und ihre Korrespondenz begann erst sechs Monate vor Rilkes Tod. Ihre Gefühle waren aufrichtig, und sie wurden erwidert. Der erste Kontakt zwischen den beiden Dichtern kam 1925 durch Pasternak zustande. Rilke hatte seinem alten Freund Leonid Pasternak geschrieben und einen Brief für seinen Sohn beigelegt; er hatte bereits einige Gedichte Marinas gelesen und kam Pasternaks Bitte nach, ihr ebenfalls zu schreiben. Am 9. Juni 1926 sandte Rilke ihr eine lange herrliche Elegie, die er ihr widmete und in der es heißt:

Wellen, Marina, wir Meer! Tiefen, Marina, wir Himmel.
Erde, Marina, wir Erde, wir tausendmal Frühling, wie L
erchen,
die ein ausbrechendes Licht in die Unsichtbarkeit wirft.
Wir beginnens als Jubel, schon übertrifft es uns völlig;
plötzlich, unser Gewicht dreht zur Klage abwärts den Sang.
Aber auch so: Klage? Wäre sie nicht: jüngerer Jubel nach unten.
Auch die unteren Götter wollen gelobt sein, Marina.
So unschuldig sind Götter, sie warten auf Lob wie die Schüler
.9

In ihrer Antwort betonte Marina, ihre Inbrunst sei „ein Kuß ohne Lippen“, und er sei für sie die „verkörperte Poesie“. Ein paar Wochen später sandte er ihr ein Exemplar von Vergers, einem Band mit Gedichten in französischer Sprache, mit folgender Widmung:

Marina: voici galets et coquillages ramassés récemment à la française plage de mon étrange Cœur… (J’asmerai que tu connaisses toutes les étendues de son divers paysage depuis sa côte bleue jusqu’ à ses plaines russes.)10

Von all jenen, zu denen Marina eine intensive Beziehung brieflicher Art hatte, war es Rilke, der ihre geistige Überzeugung am eindeutigsten bestätigte, nach der Dichtung Unsterblichkeit versprach: Nicht in dem banalen Sinne, daß man die Bewunderung der Nachwelt errang, sondern durch die heilige Kraft der Schöpfung selbst, und gemeinsam hatten sie eine religiöse Ehrfurcht vor dem wunderbaren Reichtum der Welt. Doch selbst ihm fehle in gewisser Weise etwas, wie sie an Pasternak schrieb. Es mangele ihm, wie sie meinte, an gewöhnlicher Menschlichkeit gegenüber seiner erwachsenen verheirateten Tochter aus erster Ehe; er habe kein Interesse an seinen Enkelkindern; und (unfairerweise) mißtraute sie sogar seinem Interesse an ihrer Dichtung, als sie entdeckte, welche Schwierigkeiten er mit der russischen Sprache hatte. Daß er früher imstande gewesen war, Gontscharow ohne Wörterbuch zu lesen, machte es nur noch schlimmer, wie sie Pasternak gegenüber äußerte:

Darin habe ich eine Sekunde lang den Ausländer in ihm gesehen, d.h. mich als Russin, ihn als Deutschen. Demütigend. Es gibt eine Welt irgendwie schwer lastender Werte (und erniedrigender, schwer in ihrer Niedrigkeit), von denen Rilke in keiner Sprache, welcher auch immer, wissen sollte. Gontscharow (gegen dessen Alltäglichkeit im Sinn der russischen Literatur irgendeines vierten Jahrhunderts ich nichts einzuwenden habe) verliert zuviel in Rilkes Mund. Man muß mitleidiger sein.11

Drei Tage vorher (am 23. Mai 1926) hatte Marina beschlossen, nicht mehr an Rilke zu schreiben. Es sei nicht nur zwecklos, sondern verwirre sie so sehr, daß es sie beim Schreiben aus dem Konzept bringe. Rilkes Kühle tat ihr weh, weil er ihre Briefe nicht brauchte. Wie sie Pasternak gegenüber eingestand, war ihr Stolz verletzt:

Ich bin nicht weniger als er (künftig), doch ich bin jünger als er. Um viele Leben jünger. Die Tiefe der Neigung ist das Maß der Höhe. Er hat sich tief zu mir herabgeneigt – vielleicht tiefer als… (unwichtig!) –, was habe ich empfunden? Seine Größe. Ich habe auch früher um sie gewußt, doch jetzt kenne ich sie im Vergleich zu mir. Ich schrieb ihm: Ich werde mich nicht kleiner machen, das macht Sie nicht größer (mich schmälert es nicht!), das macht Sie nur noch einsamer, denn auf der Insel, wo wir geboren sind, – sind alle wie wir…
O Boris, Boris, lecke und heile meine Wunde. Sag mir – warum. Beweise mir, daß alles so ist. Lecke die Wunde nicht – brenn sie aus! „Ich habe ein wenig Honig gekostet“ – erinnerst Du Dich? Honig!
Ich liebe Dich. Der Jahrmarkt, die Eselskarren, Rilke – alles, alles geht zu Dir, in Deinen riesigen Strom (nicht Meer – das will ich nicht!) Ich habe solche Sehnsucht nach Dir, als hätte ich Dich erst gestern gesehe
n.12

Marinas Abwendung von Rilke hing damit zusammen, daß sie das schwierige, beinahe einsiedlerische Wesen des Dichters, an den sie schrieb, falsch einschätzte. Durch ihre Erregung, ihm so nahe zu sein, offenbarte sie ihm eine Leidenschaft, die ihm nicht willkommen war, und überschritt in ihrem Brief vom 2. August 1926 eine entscheidende Grenze: 

Rainer, ich will zu Dir… Sei mir nicht bös, ich bin’s ja, ich will mir Dir schlafen – einschlafen und schlafen… Einfach schlafen. Und weiter nichts. Nein, noch: den Kopf in deine linke Schulter eingegraben, den Arm um deine rechte – und weiter nichts. Nein, noch: und bis in den tiefsten Schlaf wissen, daß Du’s bist. Und noch: wie Dein Herz klingt. Und – Herz küssen.13

Selbst wenn er zu dieser Zeit nicht bereits an tödlicher Leukämie gelitten hätte, wäre er durch diesen Ton in Furcht versetzt worden, weil er nicht nur körperliche Nähe forderte, sondern beängstigend besitzergreifend war. (Sie beanspruchte das Recht, von Rilke als die einzige Dichterin angesehen zu werden, die Rußland repräsentierte.) Obgleich er ihr ohne Vorwurf antwortete, spürte sie die Veränderung seiner Gefühle und schrieb ihm sogar eine traurige Karte mit der Frage, ob er sie immer noch liebe.
Rilke hatte nur noch sechs Monate zu leben, und als er starb, überkam Marina ein leidenschaftlicher Schmerz. Später schrieb sie ein großartiges Gedicht, „Neujahrsgrüße“, zu seinen Ehren. Am Neujahrstag 1927 schrieb sie an Pasternak:

Boris, er starb am 30. Dezember, nicht am 31. Noch ein Lebensfehlschlag. Die letzte kleinliche Rache des Lebens – am Dichter. Boris, nie werden wir zu Rilke fahren. Jene Stadt gibt es nicht mehr.14

Nach der Beschreibung eines Traums über einen Ozeandampfer, den sie dahingehend interpretierte, daß Pasternak sie bald besuchen werde, und der sie mit einem gewissen Heimweh an London erinnert hatte, kehrte sie wieder zu der Überlegung zurück, was ihr – im Vergleich zu Rilke – unmöglich sei:

Siehst Du, Boris; zu dritt, im Leben, wäre nichts zustande gekommen. Ich kenne mich: ich hätte seine Hände küssen müssen und hätte sie nicht küssen können – nicht einmal in Deiner Gegenwart. Ich wäre zersprungen, auseinandergebrochen, hätte mich gekreuzigt, Boris, weil es trotz allem noch diese Welt gewesen wäre. Boris! Boris! wie ich jene Welt kenne! Aus Träumen, aus dem Hauch von Träumen, aus der Anhäufung, aus der Vordringlichkeit der Träume.
Wie ich
diese Welt nicht kenne, wie ich sie nicht liebe, wie sie mich kränkt! Jene Welt, versteh es doch: Licht, Erleuchtung, Dinge anders beleuchtete, durch Dein Licht, durch meins.
In
jener Welt – wenn erst diese Wendung stattgefunden haben wird, wird es auch Volk geben. Aber ich spreche jetzt nicht von Völkern.
– Von ihm. Sein letztes Buch schrieb er französisch, Vergers. Er war der Sprache seiner Geburt müde geworden.
Er war es müde, alles zu können, er wollte Schüler sein und griff nach der für Dichter undankbarsten aller Sprachen – der französischen („poésie“) – er bewältigte auch sie, noch einmal bewältigte er eine Sprache, wurde plötzlich müde. Es ging nicht um das Deutsche, es ging um das Menschliche. Der Drang zum Französischen erwies sich als Engelsbegierde, jenseitig. Mit dem Buch
Vergers sprach er sich in Engelssprache aus.
Siehst Du, er ist Engel, ich spüre ihn unverbrüchlich an meiner
rechten Schulter (nicht meine Seite).15

Ihr Brief schloß mit einer flehentlichen Bitte an den engelhaften Rilke, sie oft in ihren Träumen zu besuchen.

Dies ist ein Gradmesser für die Trübsal, die jetzt ihr alltägliches Leben erfüllte. Serjoscha arbeitete noch immer zeitweilig an seiner literarischen Zeitschrift, doch den größten Teil seiner Energie widmete er der Eurasischen Bewegung. Marina hielt deren Ideale für durchaus wertvoll, doch sie sah, daß Serjoscha erschöpft war und seine Gesundheit sich wieder verschlechterte. (Es ist gut möglich, daß er neuerdings an Erschöpfungszuständen litt, weil er im Zuge seiner Behandlung jeden Tag arsenhaltige Medikamente einnahm.) Außerdem waren die finanziellen Verhältnisse der Familie außerordentlich angespannt, trotz des Geldes, das Marina von Salomea Halpern und anderen bekam. Sie schreibt:

Kohle. Gas, Strom, der Milchmann, der Bäcker verschlingen unser Geld. Viele Monate haben wir nur Pferdefleisch gegessen, und davon nur die billigsten Stücke… Alles, was nur drei Francs fünfzig kostet – das heißt, Herz, Leber und natürlich die Nieren – das Fleisch für sieben, acht Francs können wir uns nicht leisten.

Marina versuchte die Tatsache, daß die Familie Pferdefleisch aß, vor Serjoscha zu verbergen, doch als er es schließlich merkte, gefiel ihm zu ihrer Überraschung die Vorstellung, Pferdeherzen zu essen, weil er darin eine Verbindung zu Dschingis Khan und dem eurasischen Erbe sah.
Hätte Marina die 1.000 Francs, mit der Salomea Halpern und andere sie monatlich unterstützen, für sich allein gehabt, wären diese Entbehrungen nicht nötig gewesen. Aber sie hatte zwei Kinder zu versorgen und mußte darüber hinaus Geld für Serjoschas Ausbildung als Kameramann aufbringen, obgleich, wie sich erwies, daß einzige Geld, das er je beim Film verdiente, aus einer Tätigkeit als Komparse herrührte.

Im Sommer 1927 kam Marinas Schwester Anastassja, die sich bei Gorki in Sorrent aufgehalten hatte, zu einem Besuch nach Paris. Beide hatten sich verändert, obgleich Marina noch immer so schlank war, daß sie ihrer Schwester wie ein römischer Jüngling vorkam, und der vor allem die Schatten unter Marinas hellen grünen Augen auffielen. Auch ihre Art, sich zu kleiden, hatte sich natürlich geändert. Anstelle des farbigen Kaftans aus Koktebel trug sie jetzt eine graue Hausfrauenschürze und hatte häkeln gelernt – nicht nur Kopftücher, sondern sogar große Decken. Anastassja fand, daß Alja mit ihren großen Augen immer mehr ihrem Vater ähnelte. Dagegen sah der zweijährige Mur weder Vater noch Mutter ähnlich. Er war sehr groß für sein Alter – einen „kleinen Riesen“ nannte ihn Marina – und man mußte ihm Kleider kaufen, die für einen Sechsjährigen bestimmt waren. Anastassja bemerkte sofort, daß Marina ihren Sohn inniger liebte als ihre Tochter.
Obgleich sie es sich kaum leisten konnte, hatte Marina, um die Ankunft ihrer Schwester zu feiern, ein großes Stück Kalbfleisch gekauft und es zu Ehren Anastassjas gebraten. Unglücklicherweise war diese inzwischen Vegetarierin geworden, und so konnten die Efrons, wenn sie sich auch selbst an dieser seltenen Mahlzeit labten, sie nicht mit ihrem Gast teilen.
Am folgenden Tag gingen die beiden Schwestern nach Versailles. Anastassja bemerkte überrascht, daß ihre Schwester sich noch immer vor dem Verkehr fürchtete. Zuerst herrschte zwischen den beiden eine natürliche Befangenheit, und erst in Versailles, als sie in der kleinen friedlichen Stadt umherspazierten, entspannten sie sich allmählich und fingen an, von ihrem Leben zu erzählen. Am Abend lag Marina auf dem Sofa, das ihr als Bett diente, rauchte pausenlos und plauderte so aufgeräumt wie in den alten Zeiten. Sie las ihrer Schwester ein kürzlich beendetes Gedicht vor und beschrieb ihr, was sie damit auszudrücken versuchen wollte: Es sollte den märchenhaften Schwebezustand wiedergeben, den sie fühlte, wenn sie vor dem Schlafengehen zuviel schwarzen Kaffee getrunken hatte, ein Zustand, bei dem sie das Gefühl hatte, jeden Moment davonfliegen zu können. Aber als Marina erzählte, wie ihre Tage von Gängen zum Markt und dem Heimschleppen der Einkäufe aufgezehrt wurden, sah Assja deutlich, daß sie ihre alltäglichen Sorgen nicht mehr mit heiterer Gelassenheit bewältigen konnte. Im Chaos der Wohnung in in der Boris-und-Gleb-Straße hatte sie kraftvoller gewirkt als jetzt in diesen neuen kleinen Räumen in einer fremden Stadt. Es ist möglich, daß das, was Anastassja für Erschöpfung hielt, die ersten Anzeichen einer Krankheit waren.
Anastassja ihrerseits erzählte von ihrer Freundschaft mit Gorki, und Marina war so dankbar, davon zu hören, daß sie ihm schreiben und danken wollte. Da sie ihre Schwester nicht verletzen wollte, übertrieb Anastassja die Wärme, mit der Gorki Marinas Werke betrachtete.
Nur ein paar Tage nach dieser Unterhaltung erkrankten Alja und Mur an Scharlach. Anastassja verschob ihre Rückkehr nach Sorrent – auch deshalb, weil sie Gorki nicht der Gefahr einer Infektion aussetzen wollte, denn seine Tochter war 1906 an Scharlach gestorben. Es war ein glücklicher Entschluß. Bald hatte Marina Hilfe bitter nötig. Während die beiden Schwestern die kranken Kinder betreuten, kamen sie einander näher; als die Kinder schliefen, bekannte Marina offen, sie habe inzwischen das Gefühl, ihr eigenes Leben werde durch Serjoschas Fanatismus für die Eurasische Bewegung unterdrückt. Sie wollte nichts anderes als Ruhe, um schreiben zu können. Tagsüber hatte sie kaum Gelegenheit dazu, und abends war es nicht anders, weil ihre Kraft verbraucht war. Sie gab freimütig zu, daß sie Alja eine Erziehung vorenthielt, da sie ohne ihre Hilfe nicht zurechtkommen konnte. Obwohl Serjoscha eine kleine Beschäftigung in einem Verlag gefunden hatte, wurde die Familie hauptsächlich von Marina ernährt. Und Mur brauchte Fürsorge. Marina glaubte, daß ihre Stimmung sich bessern und sie sogar glücklich sein würde mit Leuten zu sprechen, wenn sie nur eine Arbeit vollenden könne.
Anastassja deutete an, ihre Schwester werde vielleicht in Rußland mehr Frieden finden, aber Marina war zu ausgelaugt, um den Gedanken ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Sie könne sich vorstellen, allein auf die Osterinseln oder an einen anderen entrückten, ursprünglichen, unberührten Ort zu ziehen, doch wenn sie auch Heimweh nach den birkenbestandenen Hügeln von Tarussa habe, so seien es doch nur Orte, nach denen sie sich sehne. Anastassja erinnert sich, daß Marina fragte:

Liebst du immer noch Leute? Ich habe es vor langer Zeit aufgegeben, etwas zu lieben – bis auf Tiere und Bäume… Alja ist in einem schwierigen Alter. Sie ist sehr talentiert, sehr intelligent. Aber völlig anders als ich. Mur – er ist wirklich mein Sohn! Er ist wundervoll.16

In den Augen Anastassjas indessen war ihr junger Neffe weitaus weniger ungewöhnlich als Alja. Sie erinnerte sich gut, wie Alja, als sie in Murs Alter gewesen war, mit einer frühreifen Intelligenz geglänzt hatte. Mur war weder frühreif noch gesprächig, und es war schwer zu verstehen, warum sich Marina so ungestüm in ihm wiedererkannte.
Mur begann allmählich, sich zu erholen, während Aljas Zustand sich kaum besserte. Dann, als die Familie endlich zum normalen Leben zurückzukehren schien, erkrankte Marina selbst an Scharlach. Für eine fünfunddreißigjährige Frau war das eine ernste Sache. Marina hatte hohes Fieber, und ein paar Tage lang war überhaupt nicht sicher, ob sie überleben würde, und sie litt wahnsinnige Schmerzen. Ohne Anastassjas Hilfe wären diese Wochen wohl kaum durchzustehen gewesen, denn es war kein Geld da, um eine Pflegerin zu engagieren. Serjoscha (der trotz seiner körperlichen Gebrechlichkeit gegen die Krankheit immun war) konnte die einzige Arbeit, die er gefunden hatte, nicht aufgeben, und obwohl Alja wieder auf den Beinen war, brauchte Mur weiterhin Pflege.
Als sich Marina nach und nach soweit erholte, daß sie das Bett verlassen konnte, war Alja noch immer bleich, und sogar Mur war abgemagert. Es war nun an der Zeit, sich auf Anastassjas Abreise vorzubereiten. Sie bat die Familie noch einmal, nach Rußland zurückzukehren. Marinas Antwort bestand darin, daß sie ihr, kurz bevor der Zug abfuhr, Orangen schenkte, was unglaublichen Luxus bedeutete. Anastassjas letzte Erinnerung an Serjoscha war sein schmales Gesicht mit riesigen freundlichen Augen und ein gelüfteter Hut.

(…)

Elaine Feinstein, aus Elaine Feinstein: Marina Zwetajewa. Eine Biographie, Frankfurter Verlagsanstalt, 1990

 

 

AN MARINA

Ich weiß nicht – wie komme ich eigentlich dazu –
manchmal könnte ich dich an die Wand schmeißen,
in die Haare, die Blätter gepackt:
„Was soll uns das heute.“
Puschkin minus Kirsche plus Heine
und Blok, der rotgetüpfelte Freiligrath
und so richtig fettrussisch:
Seele an jeder Straßenecke
und Herz von Baum zu Baum wie ein Hund
als ob man Massen davon hätte
für jeden fehlenden Reim eines.
Doch plötzlich
wie durch schwebende Gardinen
wie Autosummen an einer ferneren Kreuzung
wie Sträflingsruf durch Stacheldraht
und man darf nicht näher heran – sonst knallts.
Was hattest du nötig, dir
mit Majakowskollerbollen das Maul breit zu reißen
du, was beßres.
Sprache ist Gefängnis.
Leben auch.

Christa Reinig

 

 

Hans Gellhardt: Achmatowa – Pasternak – Zwetajewa

 

Zwiesprachen VI: Katharina Schultens spricht über Marina Zwetajewa am 24.1.2016 im Lyrik Kabinett, München

 

 

Katharina Kohm: Die Begegnung an der Naht. Zu der Vortragsreihe Zwiesprachen VI: Katharina Schultens über Marina Zwetajewa am 25.1.2016 im Lyrik Kabinett
signaturen-magazin.de

Zum 70. Todestag der Autorin:

Bettina Wöhrmann: Der Granatapfelkern Persephones
Ostragehege, Heft 64, 2011

Zum 75. Todestag der Autorin:

Doris Liebermann: Vor 75 Jahren – Dichterin Marina Zwetajewa gestorben
Deutschlandfunk Kultur, 31.8.2016

Fakten und Vermutungen zur Autorin + NachlassInternet Archive +
Kalliope

 

Fakten und Vermutungen zum Herausgeber + Gespräch + Archiv +
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Nachrufe auf Fritz Mierau: Süddeutsche Zeitung ✝ Börsenblatt ✝ FR ✝
Zeit ✝ Tagesspiegel

 

Fritz Mierau: Ein biographisches Interview (Auszüge aus ca. 17 Stunden Videomaterial, 2006/2007) von Dietmar Hochmuth.

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