Ruth Wolf-Rehfeldt: Schrift Stücke

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Ruth Wolf-Rehfeldt: Schrift Stücke

Wolf-Rehfeldt-Schrift Stücke

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Vorwort

In der Kunst der DDR ist Ruth Wolf-Rehfeldt eine singuläre Erscheinung. Außer ihr hat sich niemand intensiv mit Schreibmaschinengrafik beschäftigt. Doch auch in der internationalen Szene der Konkreten und Visuellen Poeten hat sie sich einen Namen gemacht, ihr Werk wird weltweit gesammelt.
Ruth Wolf wird 1932 in Wurzen geboren und macht zunächst eine Lehre als Industriekaufmann – Maschinenschreiben gehört dazu. Nach dem Abitur beginnt sie, in Berlin Philosophie zu studieren. 1954 lernt sie den jungen Künstler Robert Rehfeldt kennen und findet eine Tätigkeit in der Akademie der Künste der DDR. Sie zeichnet und malt nebenher. Ihre Gedichte, die sie in den 1960er und 1970er Jahren schreibt, zeigt sie keinem. Anfang der 1970er Jahre beginnt sie, ihre typischen Typewritings zu entwickeln und sich am internationalen Netzwerk der Mail Art zu beteiligen. Ihre erste Ausstellungsbeteiligung hat sie 1972 in Wrocław, ihre erste Einzelausstellung 1975 in Warschau. Im selben Jahr wird die Autodidaktin Kandidat und 1978 Mitglied im Verband bildender Künstler der DDR. Sie hat ihren Stil gefunden, befreit Wörter von ihrer semantischen Bedeutung. Mit Satzzeichen und Strichen stellt sie Käfigwesen her, die für sich stehen, aber auch als Sinnbild für das Leben in der DDR gelesen werden dürfen. Ruth Wolf-Rehfeldts Welt ist künstlich und zugleich real gefährdet. Die Grafik Letztes Abc bezieht sich nicht auf das Alphabet, sondern auf die Bedrohung durch atomare, biologische und chemische Waffen. Die Künstlerin beschäftigt sich auch mit anderen Problemen des Fortschritts im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit von Kunst.
Beeindruckend sind ihr Einfallsreichtum und die Sorgfalt, mit der sie in immer neuen Variationen auf der Klaviatur der Schreibmaschine spielt. Sie kreiert Zeichen-Räume, Türme und Schilder-Wälder und nimmt in aller Stille das digitale Zeitalter vorweg. Nach einer regen Ausstellungstätigkeit stellt sie 1990 ihre künstlerische Arbeit ein. Sie zieht sich zurück, weil es jetzt den Computer gibt und Reisefreiheit und so viel Kunst.
Mit der Retrospektive zu ihrem 80. Geburtstag leitet das Studienzentrum für Künstlerpublikationen an der Weserburg in Bremen eine Neubewertung ihres Schaffens ein. Ruth Wolf-Rehfeldt lebt in Berlin und wird von der Chert Gallery vertreten.

Lutz Wohlrab, Vorwort

 

Hochdotierter Altenbourg-Preis für Ruth Wolf-Rehfeldt

– Die 88-jährige Buchstaben-Grafikerin und DDR-Künstlerin Ruth Wolf-Rehfeldt geht mit ihrem späten Ruhm wunderbar gelassen um. –

Arno Mohr, einer ihrer Ostberliner Grafiker-Kollegen, hatte über den künstlerischen Ruhm im Alter gesagt, er sei „wie Schaum auf der Welle“. Auch die Pankower Grafikerin Ruth Wolf-Rehfeldt nimmt ihre späte Berühmtheit gelassen. Dass man sie seit ein paar Jahren wegen ihrer „Typewritings“ gerade unter jungen Künstlern als Avantgardistin feiert, genießt sie mit einer ruhigen Heiterkeit.
Das war schon vor drei Jahren so, als die Einladung zur Documenta 14 kam und ihre ungewöhnlichen Schreibmaschinengrafiken für internationale Aufmerksamkeit sorgten. Dabei machte sie dies schon seit den 1970er-Jahren. Angefangen hatte es, wie sie erzählt, „als Auseinandersetzung mit ihrem Brotberuf als Büroleiterin und Schreibkraft“ in einem Ost-Berliner Betrieb. Sie hatte große Lust, aus den öden Buchstaben und Zahlen was völlig anderes zu machen, tippte am heimischen Küchentisch Zahlen- und Buchstaben-Bilder auf ihrer „Erika“. Aus A–Z, aus Nullen, Kommas und Pluszeichen, die sich zu seriellen Mustern fügten, entstanden kleine ornamentierte Werke.
Ihre Präzision traf dabei auf subversiven Humor. Unter ihren Händen wurden die schwarzen und roten Zeichen ihrer Erika-Schreibmaschine zu Mustern, Schmetterlingen, Wellen, zu fließenden Strukturen und kunstvoll gewobener Poesie. Das Blatt „Concrete Shoe“ (70er-Jahre) zeigt Heerscharen von Cs, Os und Ns, die sich diszipliniert zu einem klobigen Damenschuh mit mittelhohem Absatz formen. Dies kann ebenso als ironisches Beispiel konkreter Poesie gelesen werden wie als Symbol für die Bewegungseinschränkungen und ihren Wunsch, diese zu überwinden.
Künstlerkollegen erkannten, wie einzigartig das war – und sie wurde in den Verband Bildender Künstler aufgenommen. Doch höher drang sie nicht durch, das realistische Bildwesen dominierte die DDR-Kunstpolitik. Wolf-Rehfeldt galt als Außenseiterin, als Gefährtin ihres als innovativ wie unangepasst geltenden Mannes, dem Beuys-Freund, dem Mail-Art-Künstler Robert Rehfeldt (1931–1991). Er war der Hofnarr der DDR-Kunst, Beleg für deren „freie“ Internationalität. Zugleich wurde er argwöhnisch beobachtet von der Staatssicherheit. Und so stand ihre Ausnahmekunst eher im Schatten der seinen. Sie war in den 50er-Jahren nach Ost-Berlin gezogen, hatte als kaufmännische Angestellte gearbeitet, ihr Abitur nachgeholt und angefangen, Philosophie zu studieren.
Als sie Rehfeldt heiratete, kam sie in die Ost-Berliner Künstlerboheme und begann neben ihrer Arbeit im Archiv der Akademie der Künste zu zeichnen, zu malen, lakonische Gedichte zu schreiben. Dann entdeckte sie für sich die Schreibmaschinentypen, zur selben Zeit, als der Philosoph Carlfriedrich Claus begann, aus fliegenden Buchstaben und endlosen Schreibschriftsätzen aus Tinte und Tusche Bilder zu machen. Beide Außenseiter wurden im DDR-Kunstbetrieb geduldet, in ihrer Einzigartigkeit entdeckt wurden sie im Mauerland nicht.
Achtungserfolge kamen eher von außen. Ruth Wolf-Rehfeldt schickte ihre Schreibmaschinengrafiken nach Westeuropa, in den Ostblock, nach Nord- und Lateinamerika, Asien, Neukaledonien. Ihre „Kunstpostbriefe“ boten Freiräume für das Zurschaustellen von Kunst, für Austausch und – unzensierte – Korrespondenz. Ihr Atelier in der Mendelstraße wurde zu einem Szenetreffpunkt. Die originalen Blätter bewahrte sie auf, während Kopien ihrer Mail-Art in der ganzen Welt kursierten. Seit der Teilnahme an der Documenta 14 vor drei Jahren ist die Autodidaktin mit ihrer unkonventionellen Kunst eine Ikone für die jüngere Generation.
Soeben wurde bekannt, dass Wolf-Rehfeldt den mit 50.000 Euro dotierten Gerhard-Altenbourg-Preis 2021 erhält, ausgelobt wurde er vom Altenburger Lindenau-Museum. Der Thüringer Altenbourg war ein berühmter, insbesondere im Westen geschätzter und gesammelter Zeichner, der seiner Stadt Altenburg einen Großteil seines Werkes hinterließ. 40.000 Euro des Preisgeldes werden kommendes Jahr für eine große Wolf-Rehfeldt Ausstellung samt Katalog im Lindenau-Museum aufgewendet. Es wird eine Schau des „Lebenswerks“, vom Anfang, als sie noch mit Wörtern spielte, bis hin zu den freieren Arbeiten. Sie verschaffte ihren Buchstaben und Zahlen räumliche Dimensionen, formte mit den Erika-Typen Kuben, Kästen, Käfige – ein Variationsspiel zwischen Verdichtung und Begrenztheit. Als die Mauer verschwand, ließ Ruth Wolf-Rehfeldt ihre „Erika“ verstummen. „Es gibt schlichtweg keinen Bedarf mehr dafür“, sagt sie.

Ingeborg Ruthe, Berliner Zeitung, 25.11.2020

 

Elke Linda Buchholz: Die Typewriterin

Elke Erb: Poetics 37 – Ruth Wolf-Rehfeldt (geb. 1932)

Donna Schons: Zeichen und Wunder

Marie Luise Knott: die Zeit heilt alle wunder

 

Zum 90. Geburtstag der Autorin:

Ingeborg Ruthe: Avantgarde mit den Typen der „Erika“
Frankfurter Rundschau, 7.2.2022

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