Georg Oswald Cott: Zu Hannelies Taschaus Gedicht „Es geht mir gut schrieb ich“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Hannelies Taschaus Gedicht „Es geht mir gut schrieb ich“. –

 

 

 

 

HANNELIES TASCHAU

Es geht mir gut schrieb ich

Hauptsache Paris
Ich bewohne eine Schicht Kaffeeluft
zwischen zwei Etagen
in der Rue Cassette
Ohne Stuhl ohne Tisch

Niedrige Betten sind Mode
Tisch brauch ich keinen
Ihr wißt wenn ich schreibe liege
ich auf dem Bauch

 

Das beseelte Dunkel

Im Märchen hat der Wolf Kreide gefressen und seine Pfoten mit Mehl betupft. Das tut auch Hannelies Taschaus Gedicht „Es geht mir gut schrieb ich“. Bereits die ersten Zeilen scheinen ein fröhliches Credo zu verkünden: „Hauptsache Paris“.
Auch bei dem, was sonst noch geschieht, schlagen die Wörter Purzelbaum, loben eine scheinbare Idylle:

Ich bewohne eine Schicht Kaffeeluft
zwischen zwei Etagen
in der Rue Cassette
Ohne Stuhl ohne Tisch

Die Verse kommen geradezu hüpfend daher, klingen beschwingt und schwebend durch das poetische Bild, dem Bewohnen einer „Schicht Kaffeeluft“.
Kein Jammern oder Klageruf über die Bleibe zwischen zwei Etagen. Obwohl der Zwischenstock häufig nur ein toter Winkel ist für Besenkammern und anderes. Dort gibt es mancherlei Gerüche, aber nur der Kaffeeduft wird besungen – noch verstärkt durch den Hinweis auf die Rue Cassette.
Diese Straße ist ein realer Ort im sechsten Arrondissement. Ihr Name macht das Gedicht authentisch. Er scheint all das einzulösen, was sich mit landläufiger Parissehnsucht verbindet.
Hat nicht Rainer Maria Rilke hier gewohnt? Solches bleibt haften! Nicht aber die Klage des Dichters über seine Behausung dort, wenn er schreibt:

Dabei wird es erst gegen zehn Uhr hell im Zimmer und dunkelt um vier schon wieder ein, so daß man kaum Zeit hat, alles zu sehn, was da ist.

Im Gegensatz dazu fehlen in Hannelies Taschaus Gedicht im Zimmer gar Tisch und Stuhl. Offenbar auch das Bett. Statt dessen gibt’s womöglich nur eine Matratzengruft, wie eine raffinierte Leerstelle vermuten läßt. Poetisch klingt im Gedicht die Beschreibung des Notasyls wie eine Botschaft aus dem Schlaraffenland, wenn es heißt: „Niedrige Betten sind Mode“ – und letzte Zweifel werden verscheucht:

Tisch brauch ich keinen
Ihr wißt wenn ich schreibe liege
ich auf dem Bauch

Gedichte dieser Art erzählen mit analytischer Einfachheit mehr als ein ganzer Roman. Dieses Gedicht tarnt sich zwar als heitere Postkarte aus Paris. Tatsächlich aber birgt das Poem philosophischen Tiefgang, offenbart die kalte Seite der Welt und steht exemplarisch für ein Phänomen, das häufig vorkommt: so tun als ob.
Zugleich wohnt Hannelies Taschaus Versen etwas Tröstliches inne: das Dunkel wird beseelt. Die Anmut dieser Poesie beschwört in ihrer Leichtigkeit einen Gegenschwimmer-Gestus, ein Dennoch.

Georg Oswald Cott, die horen, Heft 226, 2. Quartal 2007

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