Hans Erich Nossack: Gedichte

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Hans Erich Nossack: Gedichte

Nossack-Gedichte

DER DICHTER 

Im Hafen lichten jubelnd sie die Anker.
Ein Schiff wohin? Von Hoffnung ist es schwer
nach heimatlicher Insel überm Meer.
Abseits am Ufer steh ich wie ein Kranker.

Krank, weil ich warte und mich nicht verschwende;
gefesselt, daß ich mir nicht selbst entflieh
noch mich dem Werk des Wirklichseins entzieh.
Ja, ich war krank, damit ich mich vollende.

Denn immer Einer sei bereit und rage
als rettend Mal im Raum, wenn vor der Frage
die grelle Zeit erblaßt: Was soll ich tun?

Fragt ich es auch? Vielleicht schrie ich im Traum.
Nur Echo wars. Der Wind fuhr durch den Baum.
Du darfst getrost in meinem Schatten ruhn.

 

 

 

Den Nachgeborenen ins Pflichtenheft

– Hans Erich Nossacks vergessenes Plädoyer für eine „wahrhaftige“ Literatur. –

Wer erinnert sich an Nossack? Hausautor bei Suhrkamp seit Verlagsgründung! Verfasser von zwei Dutzend vielbesprochenen Erzähl- und Bühnenwerke, einem Lyrikband sowie einem der grossen europäischen Tagebücher! Büchner-Preisträger! Mitglied diverser Akademien und Verbände!
Nossack?
Zu Weihnachten 1958 hatte er im Berliner Tagesspiegel seine „lieben Kollegen von 1988“ vorauseilend zur Ordnung gerufen. Dreissig Jahre stehen gemeinhin für eine Generation. In diesem Fall sprach er also seine Nachfolgegeneration an, schreibende Kollegen mit Jahrgängen um 1930, Autoren wie Grass, Kluge, Enzensberger, Heissenbüttel, Christa Wolf, Ingeborg Bachmann, die damals erfolgreich in den Literaturbetrieb eintraten und sich danach als dessen Wortführer behaupten konnten.
Nossack selbst, geboren 1901, Absolvent zweier Weltkriege, sprach damals im Interesse seiner bundesdeutschen Zeitgenossen, für die er das Verdienst beanspruchte, eine „echte Literatur“ geschaffen zu haben, indem sie „verantwortlich und ohne falsche Töne“ ihre Lebenserfahrungen aufgezeichnet hätten. Namen nennt Nossack nicht. Gemeint sind gleichaltrige Erfolgsautoren wie Edzard Schaper, Hermann Kasack, Ernst Kreuder, Werner Bergengruen, Elisabeth Langgässer oder Marie Luise Kaschnitz, von deren einstigem Ruhm kaum etwas übriggeblieben ist.
Nossack scheut sich nicht vor der selbstkritischen Feststellung, es gebe ja in Deutschland „keinerlei Literatur mehr“, und auch nicht vor der skeptischen Voraussage, dass dies für die nachrückende Generation kaum anders sein werde: Auch ihr stehe bevor, von „lärmenden Moralisten“ und „hochgebildeten Philologen“ zerquetscht zu werden. Und mehr als dies – so sei es doch schon immer gewesen und so werde es auch in Zukunft bleiben: Dass jede Gegenwartsliteratur der „Schmähung des Nicht-Existierens“ ausgesetzt sei; dass allzu viele starke Autoren dieser Schmähung nicht gewachsen seien, weshalb sie denn auch aus der künstlerischen Literatur in den Literaturbetrieb emigrierten und sich weit unter ihrem Niveau an die Presse, die Massenmedien verdingten – ein Akt literarischer „Selbstvernichtung“, der schon „1958“ durchaus normal war und sich „1988“, vollends „2018“ als notwendige Voraussetzung aller Schriftstellerei etabliert haben werde. Statt Nachhaltiges zu schreiben, werde man bloss noch „mitreden“ wollen.

An dieser Stelle seiner pessimistischen Prognose rückt Hans Erich Nossack als erfahrener Literat ein paar Ratschläge an die jungen „Kollegen von 1988“ ein, nicht als Trost – „denn den gibt es nicht“ –, sondern als ein letztes Credo, das zugleich ein Amen ist. In fast schon biblischer Diktion hält er die Nachrückenden dazu an, die belletristische Sprachverluderung aufzuhalten, jeden Populismus und Marktkonformismus zu vermeiden und sich dadurch vor dem Elend zu bewahren, „als kurzweiliger Leckerbissen vom gierigen Tageskonsum verschlungen zu werden“.
Was da 1958 mahnend und fordernd ausgeführt wird, hat heute, da die Literatur noch viel weitergehend vom „Betrieb“ vereinnahmt und nivelliert ist, nach wie vor seine Triftigkeit, doch kaum ein Autor, kaum eine Autorin wird Nossacks Befürchtungen und Warnungen ernstnehmen wollen. Moralische Appelle verfangen im aktuellen Literaturbetrieb ebenso wenig wie ästhetische Kriterien und Leitlinien. Erfolg geht über Qualität, saisonale Geltung wird höher veranschlagt als Nachruhm und Kanonisierung.
Nicht einem massenhaften Publikum solle und dürfe sich der Schriftsteller verpflichten, meint Nossack, sondern allein dem individuellen Leser, der interessierten Leserin. Jede Breitenwirkung, jeden Applaus, jede Preisverleihung hält er für ein Zeichen – für den ephemeren Lohn! – literarischer Anpassung: Ein durch Publikumszuspruch oder Preisgerichte ausgezeichnetes Werk könne kein „ausgezeichnetes“ Werk sein. Was in eklatantem Gegensatz zu allen Gepflogenheiten heutiger Literaturpolitik steht.
Die Vermarktung von möglichst zahlreichen Autoren und Werken konterkariert Nossack mit der ernstgemeinten Forderung nach einer starken Literatur ohne Publikum, nach Texten, die auf niemanden und nichts zugeschnitten sind, die sich keinem Erwartungshorizont anpassen. „Schreibt so“, heisst es in seinem Appell, „als ob es nicht einen einzigen Leser mehr auf der Welt gäbe, für den ihr schreibt.“ Demnach hätte man sich eine menschenleere postapokalyptische Welt vorzustellen, dazu einen Dichter, der zugleich sein einziger Leser wäre, der letzte Mensch, der keine menschliche Stimme mehr vernimmt ausser der eigenen – „ihm allein seid ihr verpflichtet“.

Hans Erich Nossacks ebenso desolates wie erhabenes Fazit kann heute weder Verlust- noch gar Existenzangst auslösen, allenfalls ein süffisantes Lächeln über einen ewiggestrigen Kollegen, der – verkürzt gesagt – Leben und Schreiben ineins setzt, Literatur also durch Verantwortung und Pflicht, wenn nicht Schicksal bedingt sieht, statt sie als einen Job wie jeden andern zu praktizieren. Die moralisierende Forderung gewinnt allerdings, auch wenn man sie für überzogen halten mag, erneut an Relevanz angesichts der aktuellen Debatten über Fake News, „alternative Wahrheiten“, Verschwörungshysterie; doch womöglich braucht es eine weitere Generation, bis das Rückkommen auf Gestriges einmal mehr als Fortschritt gilt.

Felix Philipp Ingold, 10.7.2022

 

Andrzej Pilipowicz: Der Tod in den Gedichten von Hans Erich Nossack

 

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Rolf Vollmann: Der bestgetarnte Autor Deutschlands
Neue Zürcher Zeitung, 30.1.2001

Joachim Bäßmann: „Ich stand da ohne Vergangenheit“
Die Welt, 28.1.2001

Fakten und Vermutungen zum Autor + Georg Büchner Preis 1 & 2 +
DDBKalliope + Internet Archive
Porträtgalerie: Brigitte Friedrich Autorenfotos + Keystone-SDA
Nachruf auf Hans Erich Nossack: Die Zeit ✝︎ DLF

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