Horst Bienek: Zu Ingeborg Bachmanns Gedicht „Wahrlich“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Ingeborg Bachmanns Gedicht „Wahrlich“ aus Ingeborg Bachmann: Werke. 4 Bände. –

 

 

 

 

INGEBORG BACHMANN

Wahrlich
für Anna Achmatowa

Wem es ein Wort nie verschlagen hat,
und ich sage es euch,
wer bloß sich zu helfen weiß
und mit den Worten –
dem ist nicht zu helfen.
Über den kurzen Weg nicht
und nicht über den langen.
Einen einzigen Satz haltbar zu machen,
auszuhalten in dem Bimbam von Worten.
Es schreibt diesen Satz keiner,
der nicht unterschreibt.

 

Wem es das Wort verschlägt

Bei der Verleihung des Büchner-Preises an Ingeborg Bachmann im Jahre 1964 erklärte die österreichische Autorin, daß sie „wahrscheinlich keine Gedichte mehr schreiben werde“. Und in einem Fernseh-Interview in Rom, 1971, sagte sie schon fest und bestimmt:

Ich werde nie mehr Gedichte schreiben!

In den letzten zehn Jahren ihres Lebens (sie starb nach einem Brandunfall am 17. Oktober 1973) sind nicht mehr als sechs neue Gedichte entstanden, von denen sie fünf noch zu Lebzeiten in Druck gegeben hat (1968), das sechste mit dem Titel „Eine Art Verlust“ wurde als einziges im Nachlaß aufgefunden.
Eines dieser späten Gedichte, mit dem biblisch anklingenden Titel „Wahrlich“, ist Anna Achmatowa gewidmet, der sie im Dezember 1964 in Rom begegnet ist – kurz danach soll auch dieser Text entstanden sein. Ingeborg Bachmann muß Achmatowas Biographie und einige ihrer Gedichte, bestimmt „Das Requiem“ gekannt haben. Sie muß gewußt haben, daß die russische Dichterin in ihrem eigenen Land lange verfemt war und über zwanzig Jahre lang keine Zeile veröffentlichen durfte. Ihr lyrisches Werk ist schmal; darunter gibt es Verse, die als Zeitraum der Entstehung 1936–1960 (so etwa das nur achtzeilige Mandelstam-Gedicht) angeben. Solches bedenkend, setzt wohl das Gedicht von Ingeborg Bachmann ein:

Wem es ein Wort nie verschlagen hat dem ist nicht zu helfen.

Angesichts einer Sintflut publizierter Lyrik, weist sie entschieden darauf hin, daß es Erlebnisse und Erfahrungen für einen Dichter geben kann, die ihn zum Schweigen veranlassen. Ja, daß unter bestimmten Umständen das rechte Schweigen erst ihn zu einem wirklichen Dichter macht. In ihrer hochfahrenden poetischen Gestik hatte sie ohnehin Verachtung übrig für jene, die immer eine Antwort bereit haben, die sich „weißgott mit den Worten zu helfen wissen“, die „Metaphern ausstaffieren… die Syntax kreuzigen“, wie sie in einem Gedicht („Keine Delikatessen“) ein paar Jahre vorher schreibt. Denen sollte man besser gar nicht über den Weg trauen, auch nicht über Umwege. Brauchte man nicht ein Leben, eine „leiderfahrene Existenz“ – um einen einzigen Satz haltbar zu machen? Um „auszuhalten in dem Bimbam von Worten“?
„Bimbam von Worten“, das klingt salopp, aber es steckt eine denunzierende Schärfe dahinter; in diesem trivialen Geläut der Wörter: darin muß man aushalten und seinen eigenen Klang hörbar, unüberhörbar machen. Manchmal sogar, indem man schweigt, verstummt. Und deshalb im Schluß dieser beschwörende, bekennende, von einer eisigen Entschiedenheit erfüllte Satz (bei dem man versucht ist, den Titel voranzustellen: „Wahrlich“) „Es schreibt diesen Satz keiner, der nicht unterschreibt.“ Was wohl heißen soll: Der sein Urteil nicht unterschreibt! Und bedeutet das Urteil vielleicht: keine Gedichte mehr zu schreiben?
Man weiß, daß Anna Achmatowa nach zwanzig Jahren des Verbots schließlich im Krieg zwei Gedichtbände veröffentlichen durfte, doch bald danach wurde sie von der Partei angegriffen und 1946 aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Erst in den sechziger Jahren wurde sie rehabilitiert. – Sie hat geschwiegen. Sich nicht mit dem Bimbam der Worte gewehrt. Aber sie hat die Sätze haltbar gemacht in ihren Versen. Eine Haltung, die dem poetischen Selbstverständnis von Ingeborg Bachmann nahegekommen sein muß. So ist „Wahrlich“ ein Gedicht, das genausoviel über die russische Dichterin Anna Achmatowa wie über die österreichische Dichterin Bachmann aussagt. Und über das Ersticken der Poesie in dem uns umlärmenden Bimbam von Worten.

Horst Bienekaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Vierter Band, Insel Verlag, 1979

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