Friedrich Schillers Gedicht „Spruch des Confucius“

FRIEDRICH SCHILLER

Spruch des Confucius

Dreifach ist der Schritt der Zeit,
Zögernd kommt die Zukunft hergezogen,
Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen,
Ewig still steht die Vergangenheit.

Keine Ungeduld beflügelt
Ihren Schritt, wenn sie verweilt.
Keine Furcht, kein Zweifeln zügelt
Ihren Lauf, wenn sie enteilt.
Keine Reu, kein Zaubersegen
Kann die stehende bewegen.

Möchtest du beglückt und weise
Endigen des Lebens Reise,
Nimm die Zögernde zum Rath,
Nicht zum Werkzeug deiner That.
Wähle nicht die Fliehende zum Freund,
Nicht die Bleibende zum Feind.

1796

 

Konnotation

Die deutsche Klassik hat dem chinesischen Weisheitslehrer Konfuzius große Verehrung entgegengebracht. Friedrich Schiller (1759–1805) hat den Reflexionen des Konfuzianismus gleich zwei Gedichte gewidmet. Das eine davon veröffentlichte er im Musenalmanach des Jahres 1796.
Die triadische Struktur der Zeit wird in den drei Strophen nachvollzogen, wobei Motive der antiken Philosophie ins Spiel kommen. Die „pfeilschnell“ entfliehende Gegenwart verweist auf die Pointe des frühgeschichtlichen Philosophen Zeno, der in seinem Bewegungs-Paradox nachzuweisen versuchte, dass der fliegende Pfeil in Wirklichkeit ruhe. Dem „Zögern“ der Zukunft, dem „Fliehen“ der Gegenwart und dem „ewigen Stillstand“ der Vergangenheit ist nur mit weiser Gelassenheit zu begegnen. Fünf Jahre nach der Niederschrift seines „Spruchs“ ließ Schiller noch eine zweite poetische Confuzius-Reflexion folgen – eine Erörterung über das Wesen des Raumes.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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