GÜNTER BRUNO FUCHS
Leiterwagen
Da saß ein Mann im Leiterwagen,
hat nie geschlafen, nie gewacht,
hat hundert Jahre so verbracht –
saß antwortlos und ohne Fragen.
Hat nur ein einzig Mal gelacht,
als ihm der Tod das Bett gemacht.
Das wollt ich euch nur sagen.
1965
aus: Günter Bruno Fuchs: Pennergesang. Gedichte & Chansons. Carl Hanser Verlag. München 1965
Vor seiner Wandlung zum skurrilen Kreuzberger Malerpoeten und zum „freischaffenden Trinker“ hatte sich Günter Bruno Fuchs (1928–1977) als Lehrer für Zeichnen, Maurer und Gelegenheitsclown durchgeschlagen. 1958 aus dem Ruhrgebiet nach Berlin zurückgekehrt, begründet er umgehend einen „Lehrstuhl für Poetik“ in einer Nachtkneipe am Görlitzer Bahnhof. Fortan betreibt er als Bohemien und schelmischer Poet seine „Kipp- und Schluckwissenschaften“ in Form von Vaganten-Gedichten.
Seine lyrischen Helden sind die Außenseiter der Städte, die Zukurzgekommenen und einsamen Stadtstreicher, die im nächtlichen Kreuzberg durch die Lokale ziehen. Fuchs’ Pennergesang ist 1965 ein klares Bekenntnis zum unbürgerlichen Dasein als spätromantischer Taugenichts. Einer seiner liebevoll porträtierten Gestalten ist „der Mann im Leiterwagen“, der als Faktotum ständig unterwegs ist auf einer ziellosen Odyssee und gar keine Ambition mehr hat, irgendwo anzukommen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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