Paul Celans Gedicht „Du liegst“

PAUL CELAN

Du liegst

Du liegst im großen Gelausche,
umbuscht, umflockt.

Geh du zur Spree, geh zur Havel,
geh zu den Fleischerhaken,
zu den roten Äppelstaken
aus Schweden –

Es kommt der Tisch mit den Gaben,
er biegt um ein Eden –
Der Mann ward zum Sieb, die Frau
mußte schwimmen, die Sau,
für sich, für keinen, für jeden –

Der Landwehrkanal wird nicht rauschen
Nichts
aaaaaastockt.

1967

aus: Paul Celan: Gesammelte Werke Bd. 2, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1933

 

Konnotation

Bei einem zweiwöchigen Aufenthalt in Berlin im Dezember 1967 verfasste Paul Celan (1920–1970) vier Gedichte, von denen „Du liegst“ (ursprünglich „Wintergedicht“) eine intensive Wirkungsgeschichte ausgelöst hat. Während seines Besuchs unternahm Celan mit dem Literaturwissenschaftler Peter Szondi (1929–1971) Spaziergänge durch die verschneite Stadt. Szondi zeigte ihm dabei das Appartementhaus „Eden“, in dem Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Januar 1919 die letzten Stunden vor ihrer Ermordung verbracht hatten.
In seiner unvollendeten Studie „Eden“, die er kurz vor seinem Freitod begann, bezeichnet Szondi den Namen des Hotels als „bitteren Wortkern des Gedichts“. Tatsächlich entwickelt dieses Gedicht eine Topographie des Terrors. Signalwörter wie „Landwehrkanal“ verweisen auf den Fundort der Leichen von Liebknecht und Luxemburg, die Vokabel „Fleischerhaken“ evoziert die Haken in der von den Nationalsozialisten exzessiv genutzten Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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