Sarah Kirschs Gedicht „Ein Bauer“

SARAH KIRSCH

Ein Bauer

Ein Bauer mit schleifendem Bein
Ging über das Kohlfeld, schwenkte den Hut
Als wäre er fröhlich.

1976

aus: Sarah Kirsch: Sämtliche Gedichte. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005

 

Konnotation

Denkfaule Beobachter haben die störrische Landschaftsdichterin Sarah Kirsch (geb. 1935) zur Chronistin eines unversehrten ländlichen Daseins verkleinern wollen. Aber Kirschs Gedichte kultivierten nie – weder in der DDR noch in der späteren Wahlheimat Schleswig-Holstein – jenen „sanften“ Unschuldsblick auf die Phänomene der Natur, den man ihr in den Literaturgeschichten so gerne zugeschrieben hat. Wenn diese Dichterin Idyllen entwirft, dann sind es stets schwarze Idyllen, die an der zivilisatorischen Verwüstung des „Irrsterns“ Erde keinen Zweifel lassen.
Es ist nur eine lakonische Miniatur, eine scharf umrissene agrarische Szene, die Sarah Kirsch in diesem Gedicht aus dem noch in der DDR veröffentlichten Band Rückenwind (1976) einfängt. Die Unbeschwertheit und zugleich die Beschädigung des lyrischen Helden scheinen paradox ineins gesetzt. Der Schein des Idyllischen wird durch den markanten Konjunktiv der Schlusszeile zerstört. Die Ländlichkeit hat ihre Unschuld verloren.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00