Stefan Georges Gedicht „Sprich nicht immer…“

STEFAN GEORGE

Sprich nicht immer
Von dem laub ·
Windes raub ·
Vom zerschellen
Reifer quitten ·
Von den tritten
Der vernichter
Spät im jahr.
Von dem zittern
Der libellen
In gewittern
Und der lichter
Deren flimmer
Wandelbar.

1898

 

Konnotation

Allzu gerne lässt man sich hier von den schönen Suggestionen der Naturbilder, vom reinen „Geflimmer“ der Elemente, wie auch vom Spiel der Kreuz- und Schweifreime einnehmen. Zugleich aber sind Bilder einer unheimlichen Gewaltsamkeit präsent, die den sanften Versfluss konterkarieren. Als „drittes Buch“ einer Trilogie erschien 1898 Das Buch der hängenden Gärten, in dem Stefan George (1868–1933), der Meister poetischen Wohllauts, einen ersten Höhepunkt seiner Kunst erreicht.
Das durch seine Grazie faszinierende Gedicht, das seine Stoffe in eine sinnliche Schwebe bringt, gehört zur Gruppe der 50 Gedichte, die George zwischen 1893 und 1907 an seine Freundin Ida Coblenz (1870–1942) richtete, bei der ihm eine erotische Erfüllung immer versagt blieb. Romantische Liedhaftigkeit und die Evokation eines Unheimlichen werden hier in eine schöne Balance gebracht.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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