SLAM!POETRY

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch SLAM!POETRY

Marrs-SLAM!POETRY

ANWEISUNGEN AN EINEN DICHTER DER SEINE EIGENE MITTELMÄSSIGKEIT BEFÜRCHTET

Schlitz dir nicht die Adern auf, bevor die Lesung
aaaaabeginnt.
Los. Sei fröhlich.
Richte deine Augen auf etwas Großartiges,
auf jemand, an dem du dich festsaugen kannst,
jemand, der strahlt.
Räuspere dich verhalten und lächle.
Brich in unmögliches Gelächter aus.
Amüsier dich über deine eignen Metaphern.
Gib ihnen die Sporen.
Schnell. Verlier dich im Delirium.
Polier dein Gedicht bis es grinst, bis es zuckt.
Schüttle den elenden Krampf aus deinen Fingern,
dann empfinde, wie deine Wunden versiegeln und vernarben.
Lache jetzt laut. Wirf deinen Kopf zurück,
laß bedeutende Worte aus dir hervorbrechen,
und fordere jedermann heraus, sie zu entschlüsseln.
Hau ihnen deine vertrackten Oden um die Ohren.
Reiß sie hoch und laß sie vibrieren,
bis sie es nicht mehr aushalten,
bis sie ekstatisch klatschen,
verzückt wie am Nationalfeiertag,
bis sie kapieren, daß nur noch
das Feuerwerk fehlt
und der scharfe, fade Geruch, der stets drauf folgt.

Patricia Smith
Übersetzt von Peter Böthig

 

 

 

FRISCHLUST anstelle eines Vorworz

ein dunkles, verräuchertes café, leute in schwarz, halbvolle kaffeepötte, gedichte, so schön wie häßlich, so kraftvoll wie krank, dichter, die scheußliche geschichten erzählen, und die sehr genau wissen, wie man das macht. performancekünstler, die klingen wie dichter, und dichter, die aussehen wie performancekünstler.

Alan Kaufman, dichter, herausgeber, kritiker, organisator der performance-poetry-szene und enthusiastischer fürsprecher aller open mikes in personalunion, meint, daß die besten neuen dichter amerikas jetzt in San Francisco, der wiege der amerikanischen avantgardeliteratur, zu gange sind. von den beats aus der traufe gehoben, schwelgen sie nun in vatermordphantasien. „obwohl wir mir ihnen zusammenarbeiten, und wir alle lieben Allen Ginsberg, müssen wir sie über bord schmeißen. Wir können nicht so gut schreiben wie die beats, wir müssen besser schreiben als die beats.“ performance poetry ist, wie jazz, eine kunst des augenblicks, nicht jeder streich gelingt. doch in manchen nächten tröpfelt unerklärliche brillianz von den lippen einer närrin, eines habenichts’, galgenstricke alle miteinander.

in folge und kürze einige auszüge aus einem 9-punkte-programm der performance poetry laut Cary Tennis:

3. schreib aufrichtig, versuch nicht, andere mit dem zu beeindrucken, was du für poesie hältst, und versuch nicht, andere zu täuschen.
5. schreib schnell. nicht zuviel überarbeiten. in bewegung bleiben. sei ehrlich in der stimme.
9. versuch nicht. die welt mit einem einzigen gedicht zu heilen. laß ein paar probleme für die anderen übrig.

der dichter als felsenstern, im kampf ums gedicht, gegen die vorherrschaft der ouppies. ähnlich wie die beats erheben die performancedichter die poetische person; anders als die transzendentale person der beats, ist die person der performancedichter prosaisch, erdverbunden: der mann auf der straße spricht eine klare sprache. performance poetry kam in zeiten ökonomischer verzweiflung und äußersten politischen drucks aufs tablett. obschon die dichter frei mit der sprache umgehen, sind sie in ihren herzen realisten. infolgedessen sind alkoholismus und drogenabhängigkeit nicht dermaßen gravierend wie für die beats, aber das ist schon geschmackssache.

aaaaader schnapps ist kurz
aaaaadoch das bier ist lang

Neeli Cherkovski hingegen, jenseits von gut und böse, bedauert, daß die meisten gedichte politisches und soziales behandeln. ein gedicht über bosnien, eins über somalia, eins übers ghetto, er bevorzugt gedichte über den imperialismus und kolonialismus der menschlichen seele.

kopf und zahl bilden ein ganzes im loë Bsaffot’schen sinne; wir wissen es nicht, aber wir wissen es besser: prost, wort!

Bert Papenfuß, Vorwort, 1993

DIE POETEN DES NEUEN JAHRHUNDERTS:

Die explosive Popularität der Rap Music setzte 1990 ein Zeichen für den öffentlichen Geschmack. Ein musiküberschwemmtes Publikum bat ums Wort; je unverschämter, desto besser. Worte zu einem Rhythmus, so eindeutig wie die Straßenschluchten der City , in denen Rap geboren wurde.

Rap wurde zu einem inoffiziellen Nachrichtendienst, der das Alltägliche in einer Art kommentierte, die die republikanische Machtstruktur bissig als die Stimme des Feindes denunzierte. Der populistische Dichter Walt Whitman wäre begeistert gewesen.

In der Tag war Rap der Übermittler bodenständiger Wahrheiten, die die Plutokratie der Lügen attakierte. Zu einem Zeitpunkt, als die Redefreiheit und das Recht auf Bildung einem verheerenden Angriff ausgesetzt waren, begründete Rap eine Form der öffentlichen Überlieferung, die ich für beispiellos in Amerika halte. Rap bestellte ein neues multikulturelles Feld, der sprachliche Ausdruck war gekennzeichnet durch Selbstachtung und eine mutige Generationsrevolte. Ein Durchschnittsjugendlicher konnte mehr ellenlange Rap Songs auswendig, als ein Literaturabsolvent traditionelle Gedichte hersagen konnte. Wer also konnte zu Recht für sich in Anspruch nehmen, gebildet zu sein? In Folge dessen kam es zu einem Tischrücken in der literarischen Welt, die es noch zu erobern galt. Fast über Nacht florierten Spoken Word Poets im ganzen Land, und einhergehend mit den Open Mike Scenes entstanden neue Kleinverlage, deren Heimarbeit in aller Unabhängigkeit Whitman’s Herz erfreut hätte. In Cafès oder Bars, an bestimmten Abenden in der Woche, produzierten sich Dichter von eigenen Gnaden vor dem Mikrophon für ein dankbares Publikum, das die kleinen Bücher kaufte, die feilgeboten wurden. Mit der Zeit verkauften die Spoken Word Poets ihre Bücher bei Lesungen besser als die etablierten Dichter Amerikas in den Buchhandlungen. Dichtung war nicht länger ein exklusives Vorrecht der Mittel- und Oberschicht. Hip und zugänglich in einem Maße wie seit den Beats nicht mehr, übertraf sie sogar die Revolution der 50er.

Anders als bei den Beats wuchs die vorderste Reihe der neuen Bewegung aus Bevölkerungsschichten, die durch den verschanzten Konservatismus  des amerikanischen Lebens gefährdet waren und somit die Mannigfaltigkeit der amerikanischen Landschaft weit besser als die Beats repräsentierten: Afro-Amerikaner, Latinos, Juden, Asiaten, Schwule und Lesben, arbeitslose Weiße, Obdachlose, jugendliche Trebegänger und Frauen, deren grundlegenden Bürgerrechte aufs neue bedroht sind. Begabt und politisch engagiert artikulierten sie die überall fühlbare Unzufriedenheit mit der amerikanischen Gesellschaft und Kultur, die sich 1990 allgegenwärtig zu Wut steigerte. In Lesungen im ganzen Land, in Underground-Auditorien wie Wordland in San Francisco, Green Mill Tavern in Chicago und dem Nuyorican Poets Café in New York City, zerreißen die Stimmen der neuen Poesie den tödlichen Schleier aus Angst und Schweigen, der sich über Amerika gelegt hatte.

Alle hier vorgestellten Dichter – Dominique Lowell, Neeli Cherkovski und Alan Kaufman aus San Francisco, Patricia Smith aus Boston, Luis J. Rodriguez aus Chicago und Paul Beatty aus New York City – entstammen Schauplätzen, die die Epizentren der neuen Bewegung bildeten.

Als Gruppe sind wir multikulturell in der Zusammensetzung, antifaschistisch im Auftreten und somit repräsentativ für die meisten Open Mike/Spoken Word-Szenen in Amerika. Auch teilen wir bestimmte Erfahrungen und Kriterien, die typisch sind für die neue amerikanische Poesie: Fast alle sind wir Veteranen des Poetry Slam (eines handgemengeartigen Performance Poetry-Wettkampfes, bei dem die Dichter um einen pekuniären Preis ringen und durch das Publikum juriert werden), wir lesen häufig bei Popen Mikes (Performance-artige Lesungen in einem besonders für deutsche Verhältnisse, lockeren Rahmen. Vor der Lesung tragen sich die Dichter in eine Liste ein und jedem stehen dann 5-10 Minuten zur Verfügung. Anm. d. Ü.), und wir haben eine Anzahl Bücher in Kleinverlagen veröffentlicht, die unter unsersgleichen und unseren Verehrern von Hand zu Hand und Küste zu Küste weitergegeben werden. Und vor allem, obwohl wir nicht per se der gleichen Poetik anhängen, halten die meisten von uns an dem strikten persönlichen Standart fest, daß ein Gedicht schließlich auf dem Papier genausogut wirken sollte wie in der Performance. Dann und wann hat jeder von uns genug Talent und Schneid gezeigt, die eingewurzelte Abneigung des Publikums gegen Poesie in Beifall zu verwandeln und die Bühne unter Zugabe!-Gebrüll zu verlassen wie bei einem guten Rockkonzert.

Als Dichter mit gemeinsamen Erfahrungen, als Dichter, die in den gewalttätigen Bush/Reagan-Jahren künstlerisch gereift sind, rissen wir die Betäubung aus unseren Kehlen, entfesselten einen Aufschrei des Exzesses und ein Lied der Hoffnung. Damit haben wir gezeigt, daß wir die Verzweiflung überleben und sogar bändigen konnten. Wir blicken jetzt in eine Zukunft, die ein wenig heller erscheint. In Hinsicht auf das jetzige Jahrzehnt und das kommende Jahrhundert würde ich es gerne sehen, wenn man uns als erfolgreiche Aufrührer betrachtete, denen nichts weniger gelang, als die Widerherstellung des Ansehens der Poesie im amerikanischen Bewußtsein.

Alan Kaufman, Nachwort, 20.11.1992

Slam! Poetry

Alan Kaufman will es genau wissen: „Hat Frank dich ans Bett gefesselt, / und seinen Hut aufbehalten, als er dir’s machte?, fragt er Nancy Reagan, die Ex-First-Lady der Vereinigten Staaten, in einem Gedicht nach ihrem angeblichen Verhältnis mit Frank Sinatra. Nicht nur die Lady und ihr Sänger bekommen ihr Teil ab – ähnlich respektlos geht es in allen Gedichten zu, die in dem Band Slam! Poetry. Heftige Dichtung aus Amerika versammelt sind: „Schreib aufrichtig, versuche nicht, andere mit dem zu beeindrucken, was du für Poesie hältst, und versuch nicht, andere zu täuschen“, heißt es in einem Neun-Punkte-Programm der Performance-Dichtung.

Alan Kaufman ist einer der Köpfe der neuen Lyrik in den Vereinigten Staaten, die sich in den achtziger Jahren entwickelt hat – zuerst langsam und als echte „Underground“-Bewegung, zuletzt mit einem Schwung, der zu einem neuen Lyrik-Boom in Amerika geführt hat: Mittlerweile finden in allen größeren US-Städten an jedem Abend Lesungen statt. „Open Mike“ ist das Motto: Jeder, der vorlesen will, ist willkommen. In „Poetry Slams“, Gedichtwettbewerben, die oft bis in den Morgen andauern, treten die neuen, jungen Dichter gegeneinander an, vor einem enthusiastischen Publikum, das oft genug die Bühne stürmt, um selbst mitzumachen beim Wettstreit der Dichter.

New York und, ganz besonders, San Francisco sind die Epizentren dieses lyrischen Bebens; die Beat-Generation der sechziger Jahre ist ein Fixpunkt im Koordinatensystem der neuen Dichter – Kerouac, Selby und Konsorten. Die Beat-Poets stehen ihren Nachfolgern wohlwollend gegenüber, die aber wehren sich gegen allzu innige Umarmungen: Wir dürfen nicht wie die Beats schreiben –wir müssen besser sein“, mahnt Alan Kaufman.

Neben der Beat-Generation ist Rap ein zweiter Fixpunkt – dieser massive Gegenentwurf zum offiziellen Amerika, das sich in den achtziger Jahren von seinen Armen abwandte. Das Generalthema des ursprünglichen Rap, die erbarmungslose Abrechnung mit einer erbarmungslosen Gesellschaft, wurde rasch zu einem Code der Ghetto-Kids im ganzen Land, ein „CNN des Underground“, wie Alan Kaufman sagt. Die Vielseitigkeit des Rap ist seine Stärke – Stilpurismus hat hier keine Chance, ganz im Sinne der neuen Dichter.

Slam! Poetry vereint sechs der wichtigsten Vertreter dieser neuen Lyrik in durchaus ansprechenden Übertragungen ins Deutsche: Da ist der funkenspühende HipHop-Poet Paul Beatty, der anarchistische Kraftprotz Alan Kaufman; Luis Rodriguez, dessen Gedichte von Latino-Rhythmik bestimmt sind, der „alte Mann“ Neeli Cherkovski, der noch am ehesten an die Beat-Generation sechziger Jahre erinnert, an Jack Kerouac oder Alan Ginsberg; die bluesgefärbte Stimme von Patricia Smith und die rockige Röhre von Dominique Lowell – Slam! Poetry hat viele Facetten.

Wer ausschließlich große, unsterbliche Poesie erwartet, der ist falsch bedient mit diesem Band: Slam! Poetry ist Avantgardekunst von hohen Graden, geschrieben für den Augenblick, nicht für die Ewigkeit – Originalität und Authentizität sind allemal am wichtigsten. Das erfordert Mut – einen Mut, der auch jungen Dichtern in Deutschland zu wünschen wäre.

Holger G. Ehling, Erkundungen, Zeitschrift für Kulturaustausch, Heft 3, 1993

SLAM! POETRY

– Heftige Dichtung aus Amerika. –

„Poetry Slam“ ist ein locker veranstalteter Dichterwettbewerb in den Cafés und Bars amerikanischer Großstädte. Das ganz direkt angesprochene Publikum – und keine akademische Kritikerjury – kürt den Sieger, der sich nach ein paar erfolgreichen Slams der Berühmtheit eines lokalen Popstars erfreuen darf. Die Nähe zu Performance und dem rhythmisierten Sprechgesang des Rap garantiert die Lebendigkeit, mit der seit einigen Jahren junge DichterInnen Amerikas Lyrik aus der Ecke der Betroffenheitsinnerlichkeit heraus in die Rhetorik des fröhlichen Zorns geführt haben. Spoken word, das gesprochene Wort als Bewegung ganzer Gruppen in San Francisco, New York, Los Angeles und Boston, hat die Dichtung für die Öffentlichkeit zurückerobert, und zwar auch für Leute, die Literatur ansonsten für geistige Onanie des Establishments hielten. Diese Revitalisierung der amerikanischen Szene hat natürlich auch mit der Zurückeroberung und Erschließung von Themen zu tun, die die Leute in den Cafés und Bars ganz direkt angehen: die Realität amerikanischer Innenstädte, die Unzufriedenheit mit zwölf Jahren Reagan/Bush und deren Folgen, Rassismus und Minderheitendiskriminierung. Das Unbehagen am zeitgenössischen Amerika, welches am radikalsten im „Black CNN“ der schwarzen Rapper gegen die offiziellen Nachrichtendienste formuliert wird, ist auch im allgemeinen die Bewußtseinslage der multikulturell zusammengesetzten Spoken-word-Szenen.

Oft werden sie mit der Beat Generation der fünfziger und sechziger Jahre verglichen oder tun dies auch gleich selbst. Doch mit der kleinen Auswahl bei Galrev sind die Ginsbergs, Kerouacs und Barakas der neunziger Jahre wohl noch nicht in Sicht, und dieser Vergleich ist keinesfalls in allen Punkten angebracht. Ein Mangel des Buches ist nahezu zwangsläufig, nämlich daß heftige mündliche Dichtung sich auf dem Papier schlecht wiedergeben läßt. Wenn man obendrein einen Schriftsatz verwendet, der ansonsten nur vom Kleingedruckten auf Kaufverträgen bekannt ist, wird einem auch die Möglichkeit genommen, dem zuweilen etwas steifen Deutsch der Übertragungen mal probeweise die eigene Stimme zu leihen. „performance poetry ist, wie jazz, eine kunst des augenblicks, nicht jeder streich gelingt“, leitet der in diesen Dingen erfahrene Mitherausgeber und-übesetzer Papenfuß den Band ein („FRISCHLUST anstelle eines vorworz“). Dann folgt Streich auf Streich, und mancher sieht auch ohne das Medium des Mikrophons auf der Bühne einer mitternächtlichen Kneipe gelungen aus. Da ist zum Beispiel Dominique Lowell aus Detroit, wo die Leute seit einiger Zeit die Angewohnheit haben, zu Halloween ihre Häuser abzufackeln. Und da ist Paul Beatty, dem die Jugend in West Los Angeles noch in jeder zerfetzten Halbzeile anzumerken ist. Etwas zu feierlich-ironisch aus der Beat-Ecke kommt Alan Kaufman daher: „ich breche mit der vergangenheit / und für die zukunft kämpfend / frage ich mich, was das beste wäre / für den amerikanischen staubsauger“. Darunter auch ganze Geschichten, in denen mit überdrehter Straßenrhetorik Alltagsbegebenheiten zu Langzeilengesängen gesteigert werden (Luis J. Rodriguez). Man ist sich sicher: Wenn Ginsberg lobt, würde es auch Whitman gefallen. Allerdings müßte er dafür, ebenso wie wir, sich ins Nuyorican Poets Café setzen und einem livehaftigen Slam! beiwohnen. Doch diese Bühne steht in New York…

Thomas R. Irmer, Kreuzer, 1993

Weiterer Beitrag zu diesem Buch:

Jürgen M. Paasch: Neue SpruchDichtung
sklaven, Heft 32/33, 1997

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