Bert Papenfuß: SBZ – Land und Leute

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Bert Papenfuß: SBZ – Land und Leute

Papenfuß/Teichert-SBZ – Land und Leute

URSUPPE

gott sein vater
& seine stiefmutter
zeugten im knatter
das brot unter der butter

stulle in seinem wahn
stand nicht hinten an
ließ es komme, wie es sollte
& knallte witwe bollte

und daraus entstand ernesto
der kämpe von durruti
& der trieb es mit kernobst
& zeugte unsere mutti

& an die wollte willi ran
& klopfte auf den busch
aber selbst ist der mann
darauf einen tusch; jetzt aber husch

 

 

 

 

Die Kränkung weitergeben

Seit dem Ende der DDR vergeht kein Jahr ohne ein neues Buch von Bert Papenfuß, und noch immer ist sie samt ihren Nachwirkungen Thema Nr. 1 seiner eigenwilligen Lyrik. Seinem ersten Buch „harm“ – 1985 in Westberlin erschienen – bescheinigt Ernst Jandl beinahe in DDR-Deutsch, daß es „die Düsterkeit unseres historischen Augenblicks in Versen von hoher Qualität festhält“. Das kann man noch immer gelten lassen, auch wenn auffällt, daß Papenfuß – wie die anderen Wortführer des einstigen Prenzlauer Bergs – nur schwer von jenem historischen Augenblick lassen kann, um sich dem jetzigen zuzuwenden.

Auch in Papenfuß’ fünfzehntem Buch geht es zurück in die Vergangenheit im „Kontemplationslager SBZ“, wie das Titelgedicht die DDR ironisiert. Nach der Fünfziger-Jahre-Melodie funiculi-funicula läßt er Land und Landsleute der DDR noch einmal in den Kulissen des Kalten Krieges tanzen – allerdings nach einem Motto von Friedrich Nietzsche: „Glattes Eis / Ein Paradeis / Für den, der gut zu tanzen weiß“. Das Glatteis, auf dem Papenfuß seine poetischen Kurven und Figuren dreht, ist gewissermaßen Tiefgefrorenes: In Form erstarrte „furiose sprachzustände / schleier meiner erinnerung“ oder, ein wenig weiter, „eis, das das herz ist der reihenweise spanner / als wäre es ein nichts“.
Damit lockt er selbst allerdings Spanner (West) und Nostalgiker (Ost) der alten DDR reihenweise an, wenn er – als Gegenstück zu Wolf Biermanns Bernstein der Balladen – bekannte Situationen und namhafte Zeitgenossen ins Eis der dichterischen Ewigkeit einschließt: mit vorliebe Dichterkollegen und –kolleginnen wie Durs Grünbein, Helga Novak („dingsdadottir“) oder Monika Maron, die hier als „umgekehrte Matrone“ verhöhnt wird. Die – so die Dichterschelte – „frönt hausbackener zonophobie & klagt / die verrohung des öffentlichen lebens / im umgang miteinander an bzw. herbei.“
Daß Papenfuß dabei das eigene Mütchen kühlt, verrät seine Erläuterung: „der einzelne gibt die kränkung weiter/ die er vom kellner empfing, anstatt hinauszustürzen und des volkes staat / auflaufen zu lassen.“ Er selbst kann für sich in Anspruch nehmen, er habe des Volkes Staat – die DDR – wiederholt auflaufen lassen. Da ist neben Hohn und Spott eben doch auch ironisches Eigenlob versteckt in dem achtfachen Refrain des Titelgedichts „SBZ“:

wacker haben wir uns geschlagen
als wir bei einander lagen
auf den lippen einen schlager
aus dem komplationslager SBZ.

Peter Boethig als Klappentexter des Buches hat recht, wenn er die tiefgefrorene „Prenzlauer Republik“ als Basislager des Autors bezeichnet, der „von hier in weiten schwüngen der kompostierung des blühenden lebens“ – ebenfalls ein Zitat von Papenfuß – „zu entgehen“ suche.
Dieser Autor wird gewiß kein Sänger blühender Landschaften werden. Aber ein bißchen Tapetenwechsel täte ihm vielleicht genauso gut wie jenem Manne, der die Tapeten nicht wechseln wollte, nur weil sein Nachbar renoviert hatte. Die alte DDR ist so wenig ein Dauerthema wie die ewige Persiflage ihrer Bewohner und alter Kollegen. Die Illustratorin des Buches, Silka Teichert, weiß in ihren Zeichnungen, davon manchmal mehr als der Autor. Aber Bert Papenfuß ist immer für Überraschungen gut“ „raus aus den verliesen / vergünglichen sprittisierens / vollschmierens & wortspielens / die unsere bleibe waren; hier ist keine“.

Hannes Schwenger, Der Tagesspiegel, 19.7.1998

… Papenfuß-Gorek ist seiner Sprachtechnik treu geblieben,

wie seine 1998 erschienene große „unseren Mittätern, Verrätern und Vätern“ gewidmete „SBZ“-Ode mit ihren gelegentlichen Rückblicken auf den Prenzlauer Berg gestern und heute zeigt: „wir bewegen uns in quatschwörtern / spicken irgendwelchen unfug damit / & machen was zum einpfeifen draus / mahlzeit, wir werden schon verdaut //(…)// raus aus den verliesen / vergnüglichen sprittisierens / vollschmierens & wortspielens / die unsere bleibe waren“. Die Erfahrung, dass Herrschaft und Macht an sublime Sprachspiele, Denkmuster und medial verbreitete Wahrnehmungsschemata gekoppelt sind, geht als Schreibimpuls in die poetische Praxis ein: mit wachem Blick für ökonomisch-soziale Prozesse, aber auch für Kultur- und Verlagspolitik, Feuilleton-Rituale und literarische Medieninszenierungen im neoliberalistischen Kapitalismus. Die Skepsis derer, die sich nicht mit Allgemeinplätzen über Freiheit und deutsche Mark abspeisen lassen wollen, ist geblieben: „frei der ‚heiten‘ zu streiten“, ironisiert Papenfuß-Gorek „die zufallsfreiheit / im regen frieden / frei aller / heiten“. Es kennzeichnet die besondere Position des Autors Papenfuß-Gorek, dass er, indem er seine Themenvielfalt wie seine Sprachmuster aus den einstigen Szene-Enklaven der DDR, deren Lebensmilieus und deren Wahrnehmung von Politik, Kultur und Alltag auswählt, am Erfolg der über Ost und West längst hinausgreifenden neuen Lyrik der neunziger Jahren einen entscheidenden Anteil hatte.

Hermann Korte, in: „Zurückgekehrt in den Raum der Gedichte“, LIT-Verlag, 2004

Sein neuer Band SBZ Land und Leute

hat – unabhängig davon, wie man zum Inhalt seiner Vertriebenenpoesie steht – erstaunliche Qualitäten. Er ist von einem neuen, frischen, rauhen und bedenkenlos berlinernden volksliedhaften Ton durchzogen, der manchmal an die ganz ollen Deutschen erinnert, so Schwank- und Schankdichtung, ausgehendes 16. Jahrhundert. Und folglich auch an Brecht. Ein zeitgemäßer Johann Fischart („Entweder schreib, daß man versteh / Oder des Schreibens müßig geh. / Willst schreiben, daß man nicht soll wissen / So laß das Papier wol unbeschissen.“) will er mir manchmal scheinen. „Gewidmet unseren Mittätern, Verrätern und Vätern“, tritt er zu abermals letzten Gefechten zur Erhaltung der DDR-Kiez-Identität und gegen zersetzende westliche Einflüsse an. Er macht seinen Mitstreitern Mut und poliert an den alten Nischen herum, daß man fast von einer freiwilligen Sorbifizierung des überlebenden DDR-Undergrounds sprechen möchte: „wacker haben wir uns geschlagen / als wir beieinander lagen / auf den lippen einen schlager / aus dem kontemplationslager SBZ“ (aus SBZ). Natürlich ausreichend großlippig: „wir sind in stirners haufen marschiert / & waren die söhne der nacht / wir sind in kronstadt & prenzlauer berg krepiert / auf dem kollwitzplatz schliff uns die ohnmacht…“ („der kiezistische jihad“). Einige sind wirklich krepiert. „Matthias“ BAADER Holst, beispielsweise, Anarchwasduauchimmerbist aus Halle, geriet 1990 unter die S-Bahn. Den wollte weiland auch Papenfuß nicht im Galrev-Programm, wegen „nicht-relevanter-Kiezliteratur“. Das ist nicht ohne Witz. Jetzt eine kleine Wiedergutmachung und seliges Andenken an andere, die wir von da draußen leider nie mehr werden kennenlernen. Schön schreibt er über die Geschichte der Band „Ornament & Verbrechen“. Eine wirklich gute Band, das heißt wirklich gut. Eben nicht Kollwitzplatz. Diese Separiersucht mit ihren selbsteingeweckten Mythen hat etwas traurig Gesamtdeutsches. Wer etwa die Ausstellung „boheme und diktatur in der ddr“ gesehen hat, der sah direkt in die Wohzimmer, Ateliers und Übungskeller unserer 60er und 70er Jahre. Aber lassen wir sie träumen, die Jungs vom Prenzlauer Berg. Sonst wäre ja vielleicht nichts mehr da, wenn sie auch noch ihre kleinen Siege und großen Niederlagen mit dem intelligenteren Teil der Jugend der Welt teilen müßten. Und solange so hübsche Sachen dabei herauskommen!

Wilhelm Pauli, Kommune, 5/1998

 

 

Sprachgewand(t) – Ilona Schäkel: Sprachkritische Schreibweisen in der DDR-Lyrik von Bert Papenfuß-Gorek und Stefan Döring

Heribert Tommek: „Ihr seid ein Volk von Sachsen“

 

 

Mark Chaet & Tom Franke sprechen mit Bert Papenfuß im Sommer 2020 und ein Auftritt mit Herbst in Peking beim MEUTERLAND no 16 | 1.5.2019, im JAZ Rostock

 

Kismet Radio :: TJ White Rabbit presents Bertz68BirthdaySession_110124_part 2

 

Zum 60. Geburtstag des Autors:

Lorenz Jäger: ich such das meuterland
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11.1.2016

Zeitansage 10 – Papenfuß Rebell
Jutta Voigt: Stierblut-Jahre, 2016

Zum 65. Geburtstag des Autors:

Thomas Hartmann: Kalenderblatt
MDR, 11.1.2021

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Einladungskarte zur Beerdigung von Bert Papenfuß

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Nachruf auf Bert Papenfuß bei Kulturzeit auf 3sat am 28.8.2023 ab Minute 27:59

 

 

Bild von Juliane Duda mit den Übermalungen von C.M.P. Schleime und den Texten von Andreas Koziol aus seinem Bestiarium Literaricum. Hier „Das Papenfuß-Gorek“.

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Bert Papenfuß

 

Bert Papenfuß liest bei OST meets WEST – Festival der freien Künste, 6.11.2009.

 

Bert Papenfuß, einer der damals dabei war und immer noch ein Teil der „Prenzlauer Berg-Connection“ ist, spricht 2009 über die literarische Subkultur der ’80er Jahre in Ostberlin.

 

Bert Papenfuß, erzählt am 14.8.2022 in der Brotfabrik Berlin aus seinem Leben und liest Halluzinogenes aus TrakTat zum Aber.

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