Amiran Swimonischwili: Gedichte

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Amiran Swimonischwili: Gedichte

Swimonischwili-Gedichte

GEBURT

Ein Nu von Zeit verfehlte das All, es brachte
vom Geschick Gezeichnetes ab vom Weg.
Unbetaut begann die Morgenfrühe:
roh der Himmel, goldfadendurchwirkt.
Engel schreckten vom Feuer geworfene Schatten,
zornig rundete sich die Kirchenschrift,
und bei dem bunten Kamm des Drachens,
von reifer Pfirsiche Staub bereift,
fühlt die schlummernde Seele des Ostens
der Dämmerung unerwartete Lust.
Ein Sonnenmal blieb der gesprungnen Glasur,
den Augen des Nestlings prophetisches Licht.

 

INTERVIEW MIT DER ZEITSCHRIFT LITERARISCHE PALETTE OKTOBER 2004 

Literarische Palette: Wann haben Sie Ihr erstes Gedicht verfasst?

Amiran Swimonischwili: Das weiß ich nicht mehr… ich erinnere mich aber, wann ich zum ersten Mal ein Gedicht aufgeschrieben habe: Ich muss vierjährig gewesen sein. 

Literarische Palette: Es heißt Sie bringen alles fertig; Reisen, Bergsteigen, Sport und Politik sind in Ihrem Leben von Bedeutung, dazu schreiben sie Gedichte, in denen der Leser immer etwas in seiner Tiefe Erstaunliches findet. Wann finden Sie überhaupt Zeit für Ihr Schaffen?

Swimonischwili: Man kann Schaffen und Biographie nicht einfach so zu unterteilen. Schaffen ist eine Art das Leben zu betrachten, mit der Welt in Berührung zu kommen. In der Geburt der Tragödie sagt Nietzsche: Melos – das ist ein auf das ganze Leben ausgebreitetes Thema, auf das Leben als Ganzes, – allerdings verstehe ich dieses Ganze nicht als abgeschlossen.

Literarische Palette: Welche Melodie hat ihr Schaffen?

Swimonischwili: Das kommt im Schaffen selbst am besten zum Ausdruck.

Literarische Palette: Die georgische Literatur ist für Europa, für die Welt noch immer unbekannt, was denken Sie darüber, warum ist das so?

Swimonischwili: Reagan sagte über die Sowjetunion: Sie ist ein Gefängnis der Völker und Nationen. Die Russen setzen das jetzt fort. Literatur über den eisernen Vorgang hinauszubringen ist schwierig. Deshalb ist es mein Wunsch, die Sowjetunion möge sowohl politisch wie der Mentalität nach an ein Ende gelangen. Sie ist zur Zeit noch nicht am Ende, der Kampf dauert an…

Literarische Palette: Was ist ihr grundlegendes Anliegen?

Swimonischwili: So allgemein ist es schwer zu sagen, was Anliegen, was Tätigkeit ist. Der Mensch muss arbeiten, mindestens dafür, dass er Muße haben und diese genießen kann. Ich arbeite in einer Schule, das ist meine Haupttätigkeit, aber damit kann ich mich nicht am Leben erhalten… Dennoch will ich die Schule nicht aufgeben, und ich gebe sie auch nicht auf.

Literarische Palette: Was unterrichten sie in der Schule?

Swimonischwili: Ich unterrichte in 8., 9., 10. Klassen deutsche Literatur. Versuche den Schülern beizubringen, wie sie lernen sollen. Es muss ihnen möglich werden, sich zu wundem. Dieses Phänomen gerät doch häufig in den Hintergrund, wenn wir über Literatur sprechen. – Gleichzeitig muss jedes Lernen ernsthaft sein. Wenn du dich dem nicht mit deinem ganzen Dasein widmest, was willst du dann herausfinden? Nichts wird herauskommen.

Literarische Palette: Der heutigen Gesellschaft stellt sich das Problem der Zeit, was für ein Verhältnis zur Zeit haben Sie selbst?

Swimonischwili: Sie haben gewiss Charly Chaplins Film Modern Times gesehen. Dem Menschen bleibt keine Zeit für Gemütlichkeit. Lebst du als Gläubiger, wandelt sich die Zeitperspektive. Für uns sind die Minuten gezählt. Darum ist die Furcht vor dem Tod viel stärker. Das Moment des Zeitgewinns kommt dazu. Ohne Glauben ist die Zeit leer. Die Zeit, die in der Fabrik vergeht, muss man als Drehbank betrachten. Die mystische Zeit ist etwas anderes. Für einen Christen ist das Geschichte. Diese zwei Zeiten bestehen parallel und vermischen sich nicht. Der Augenblick ist die Tür, durch die du zum Schaffen gelangst. Die Zeit des Staunens, was ist das für eine Zeit? So beginnt die Literatur. Auch das Leben fängt so an.

 

INTERVIEW MIT EKA TALACHADSE 2007
MORGENSENDUNG STOSSZEIT IM ERSTEN SENDER DES ÖFFENTLICHEN GEORGISCHEN RADIOS

Man beschlug die Wolken mit Hufen aus Wind,
im Trinkhorn schloss der Wein die Augen,
dem Floss aus Sonnenstrahlen als Segel
setzt’ man den Schmerz des Gedichte Tragens
.1

Eka Talachadse: Ist der Schmerz ein Gedicht zu tragen sehr groß?

Amiran Swimonischwili: Es freut mich, dass Sie unser Gespräch gerade mit diesem Gedicht beginnen. Mein Freund Wako Dwalischwili mochte es sehr. Er war mein Freund, mein Lehrer, ein sehr guter Wissenschaftler. Ich schrieb das Gedicht in der achten Klasse, mit 14. Heute könnte es von der technischen Seite her missfallen, der Reime wegen z.B. Aber es ist ein Gedicht! 

Talachadse: Ja, es ist ein Gedicht, und es bietet einen guten Ausgangspunkt für unser Gespräch. Ich hätte mir nicht träumen lassen, einen so logischen Faden für den Anfang zu finden. Und doch – was ist das für ein Schmerz?

Swimonischwili: Gewiss erinnern Sie sich an die folgenden Zeilen: „Besser, du reißt dir die Augen aus, wenn das Erz des Wortes sich erschöpft“2 oder „Nicht ich schreibe ein Gedicht, das Gedicht schreibt sich mir selber“.3 Vielleicht ist das der Schmerz. Denn wenn wir über ein Gedicht sprechen, wird das Gedicht sterben. Meines Erachtens ist die Hermeneutik die einzige Denkrichtung in der Geschichte, die es möglich macht, über Poesie zu reden, Gadamer, die heutige Schule der Phänomenologen, dann Martin Heidegger. Diese sagten, über ein Gedicht zu sprechen sei einfach eine Verlängerung des Gedichts. Sehr schwierig ist es, sogar unmöglich und unrichtig, Poesie rein analytisch zu beurteilen. 

Talachadse: Dann will ich versuchen, diese Strömung zu finden, unser Gespräch soll also eine Fortsetzung des Gedichts sein und nicht einfach ein Gespräch zwischen Gastgeber und Gast im Studio. – Amiran, warum stellen Sie die georgischen Verben als streng dar?

Swimonischwili: Sie denken wohl an diese Zeilen: „Und ebenso streng wie georgische Verben / steigen Nonnen den Berg empor: / mandeläugige Gemsen.“4 Die gesamte Struktur unserer Sprache ist auf dem Verb aufgebaut. Das Wort ghame (Nacht) z.B., ein Substantiv, stammt aus dem Persischen, wo es Schmerz bedeutet. Das Georgische hat die Möglichkeit eine Unmenge Wörter aus fremden Sprachen zu übernehmen. Aber nennen Sie mir ein einziges Verb darunter. Sie werden keines finden. – Es gibt keins. Schönheit! Es kann etwas gleichzeitig schön und streng sein. Darum vergleiche ich die Nonnen mit den Verben. Übrigens gibt es schön und schön. Nikolos Barataschwili5 hat das sehr gut unterschieden. 

Talachadse: Und wie steht das mit dem vergänglichen und dem unvergänglichen Schönen bei Amiran Swimonishwili?

Swimonischwili: Bei Achmatowa steht der Satz: „Sie wissen nicht auf welchem Müll Gedichte wachsen!“ Die Kunst ist ein Bereich der Freiheit, ich bin dagegen, sie in den Rahmen irgendeiner Theorie zu zwingen. Denn jede Theorie ist ein Prokrustesbett für die Poesie. Wie kann man erkennen, ob ein Mensch, der Gedichte schreibt, ein Dichter ist oder nicht? Wenn er seine eigene Stimme hat, ist er ein Dichter.

***

Talachadse: „Weich lässt das Feld den Schopf Adams erschauern…“6 „… Und weiter geht der Weg vom Sündenfall zur Karwoche.“7 „Weihnacht füllte mit silbernen Glocken den Werktag…“8 „Jetzt ruft herbei… die Scharen / schuldig Gewordener, die beim Einnachten verstummt, / Johannes der Täufer, mit Licht aus der Bläue des Tages…“9das ist Ihr Reich, das ist Dichtung.

Swimonischwili: Ich denke, vom Wesen der Poesie zu sprechen ist äußerst schwierig. Nur wenige Dichter brachten das zustande, Schotha Rusthaweli etwa oder Friedrich Hölderlin. Rusthaweli hat sehr gut umrissen, was Poesie, was Verse sind. Er sagt, sie sind „dem Göttlichen geweiht und göttlich zu verstehen, / für den, der hören kann, reicher Gewinn. / Auch hier werden sie geliebt, / wann immer ein würdiger Mann ihnen lauscht.“10 Ja? Man muss mit Herzblut schreiben.

Talachadse: Warum, wozu?

Swimonischwili: Darauf gibt es eine gute Antwort bei dem Dichter Angelus Silesius. Er hat ein phantastisches Gedicht geschrieben mit dem Titel „Die Ros’ ist ohn warum“11

*** 

Talachadse: Unsere Sendung geht früh morgens in den Äther, so habe ich in Ihren Gedichten auch nach morgendlichen Sätzen gesucht, z.B.: „Vom Morgengraun bis zum Frühlicht…“12 

Swimonischwili: Das ist genau die Zeit, wo sich das Fenster des Todes öffnet. Nicht der Tod als Tragödie ist da gemeint, nein, sondern dieses Leben, das überhaupt ein Gang zum Tod ist. Wir Georgier haben den Tod nie lieb gewonnen. Im europäischen, besonders im theologischen Denken der Europäer dagegen erscheint dieses Streben nach dem Tode häufig, auch in vielen Biographien. 

Talachadse: Warum dann: „Du lieber Tod, das Leben wird durch dich verschont.“13

Swimonischwili: Nun, genau das ist es, genau das! Die Zeit von der Dämmerung bis zum Frühlicht ist auf der Uhr nicht genau zu bestimmen. Es ist die Zeit des Staunens und des sich Wunderns.

***

Talachadse: Die Muse – eine Frau in ihrem Schaffen…

Swimonischwili: Das ist ein Cliché. Georgisch nennt man das Aberglauben, aber das ist nicht richtig. Es ist ein feststehendes Cliché, dass die Muse der Inspiration zu einem komme. Der Dichter jedoch unterscheidet sich eben dadurch von einem Menschen, der Gedichte schreibt, dass er ständig Träger der Poesie ist.

Talachadse: Aber wann macht sich diese Injektion bemerkbar? Darum geht es doch!

Swimonischwili: Sie spielen auf Niko Samadaschwili14 an. Jedes Gedicht ist vor der Niederschrift bereits geschrieben, und Dichter ist der, der es trägt. Anders gesagt: Wenn du merkst, dass du stirbst, wenn du nicht schreibst, dann kannst du weiterschreiben. Wenn du merkst, dass du nicht sterben wirst, dann kannst du ruhig zu schreiben aufhören. Die Poesie verlangt eben eine besondere Muse.

Talachadse: Und ihre Muse, wie ist die?

Swimonischwili: Ich bin ziemlich faul.

Talachadse: Und so werden ihr hin und wieder Alltagsverpflichtungen und Kleinigkeiten zum Opfer fallen?

Swimonischwili: Auf keinen Fall! Obwohl, Wazha hat diesen Gegensatz im Mindia15 gut beschrieben. Und doch, im Unterschied zur Gattin von Mindia habe ich eine sehr gute Frau, die allem mit Verständnis begegnet. 

***

Talachadse: Wann schrieben Sie erstes Gedicht?

Swimonischwili: Ich erinnere mich nicht mehr daran. Ich weiß aber noch, dass ich vier war, als ich in Phassanauri16 ein Gedicht schrieb. Ich las es meinen Eltern vor, und sie lasen mir darauf Galaktions „Blaue Pferde“17 vor: Schau, das ist ein Gedicht! 

Talachadse: Auch an dieses Gedicht können Sie sich nicht erinnern?

Swimonischwili: Doch, ich erinnere mich, aber ich werde mich hüten (lacht), es vorzutragen.

Talachadse: Sie erinnern sich an nichts aus ihrer Kindheit?

Swimonischwili: Um es hier vorzutragen?

Talachadse: Wissen Sie warum ich das möchte? Weil das gewiss nie veröffentlicht wurde.

Swimonischwili: Dann lese ich ein in der zweiten Klasse geschriebenes, eine ziemlich lustige Angelegenheit: 

Die Liebe ließ Berge erbeben,
die Liebe hüllte das Herz in Wolken,
auf dem Blau des Himmels folgte ich der Spur eines blauen Hirschs,
dein Herz konnt ich nicht erobern, und dieser Schmerz tötet mich
.

Talachadse: Und danach verging viel Zeit. Was für ein Weg war das, den Sie da zurücklegten?

Swimonischwili: Ich mag natürlich Klassik, und so möchte ich Michelangelo zitieren. Was ist Bildhauerei, fragt Michelangelo. Man muss vom Stein alles entfernen was überflüssig ist. Und je mehr Zeit vergeht, umso mehr wird überflüssig.

Talachadse: Ich kann mir vorstellen, wie vielem Sie haben ausweichen müssen.

Swimonischwili: Sehr vielem. Man könnte es geradezu mit einer Corrida vergleichen. 

Talachadse: Und ist das nicht schwierig? Ob es dabei wirklich vollkommener wird? Ob es sich lohnt…

Swimonischwili: Wenn es sich nicht lohnt, dann ist es besser gar nicht zu schreiben, denn wenn es einem möglich ist, anders zu leben, dann lohnt es sich nicht Gedichte zu schreiben.

Talachadse: Können Sie sich vorstellen anders zu leben?

Swimonischwili: Nein. Es wäre die Hölle. So wenigstens stelle ich mir sie vor.

Talachadse: Haben Sie nie darüber geschrieben?

Swimonischwili: Wieso nicht. In sehr vielen Gedichten ist davon die Rede. 

Talachadse: Nun… 

Swimonischwili: Das Gedicht heißt „Schritte“.18 Es geht umAlberto Giacometti. Er war Bildhauer und Maler, ein Schweizer. Er hat die Skulptur „Schritte“ geschaffen. Darin finden wir genau jenen Schmerz, von dem wir vorhin gesprochen haben.
Poesie ist Grenzgängerei. Cherubimisches Wandern heißt das in der deutschen Dichtung. Es ist ein Gehen auf der Grenze der Augenblickswelt zur – wie man in Kacheti sagt – Dauerwelt. Der Cherubim beschützt genau das, eben dieses Prinzip, was man den Baum des Lebens und den Baum der Erkenntnis nennt.

Talachadse: Hier wollte ich eigentlich die Form meiner Rubrik etwas erweitern und mir von dem Menschen der erstmals bei uns zu Gast ist, eine Improvisation ausbitten, aber ich erhielt eine kalte Absage.

Swimonischwili: Nein, lassen Sie mich davon Abstand nehmen. Dazu braucht es Wein, ein Fest. Der Wein ist, wie Hölderlin sagte, das dunkle Licht des Seins. Der Winzer muss Philosoph sein, der Winzer muss Chemiker sein, der Winzer muss ein Kenner der Technik und ein Dichter sein. Nur im Gedicht kann man sich an ein so großes Thema wie den Wein heranwagen.

 

 

 

Nachwort 

Viele Menschen erhalten in der Kindheit einen Übernamen. Manche verlieren ihn wieder, wenn sie erwachsen werden, einigen bleibt er lebenslang erhalten. Amiran Swimonischwili gehörte zu den letzteren: Viele, die ihn kannten, wussten nicht einmal, dass Pako eigentlich Amiran hieß. Erst nannte man das Kleinkind in der Familie so, später war er stolz darauf, den Übernamen mit Francisco Goya zu teilen; dann tauchte ein ausländischer Freund mit der Behauptung auf, Pako heiße der Amiran entsprechende Held im kaukasischen Volksepos in der Sprache der Tscherkessen19; der doppelte Rufname sei also keinesfalls durch eine unklare Identität bedingt.
Nun, Amiran Swimonischwili war allerdings ein vielseitiger Mensch. Die hermetischen unter seinen Gedichten könnten dem Leser einen menschenscheuen, auf schöpferische Einsamkeit erpichten Dichter suggerieren. In Wahrheit war Pako äußerst kontaktfreudig, kannte keinerlei Berührungsängste und anerkannte keinerlei sozialen oder kulturellen Schranken. Er liebte durchzechte Nächte, das Fussballspiel, Bergsteigen, und brachte sich aktiv in die Auseinandersetzungen seiner Deutsch-Schüler ein. Schöpferische Einsamkeit fand er (wie Kafka) in den frühen Morgenstunden, wenn rundum alles schlief. So kam es, dass viele seiner zahlreichen Freunde gar nicht wussten, dass er Gedichte schrieb.
Und Pako war nicht nur Dichter. Er war leidenschaftlich Lehrer, weniger auf Schulnoten als darauf bedacht, seine Schüler das Staunen zu lehren.
Und er war Autor von Filmen. Leider war es ihm nicht gegeben, seine abendfüllenden Projekte auszuführen. Es bestehen davon lediglich ausgearbeitete Szenarien. Nazarkekia, eine gesellschaftspolitische Parabel, übersetzt das georgische Märchen vom Aschenstocherer in die Gegenwart, die Geschichte von einem Faulpelz, der beim Stochern in der Asche des Herdes Kräfte gewinnt und mit seinen in letzter Minute gefundenen Ausflüchten Riesen und Menschenfresser in die Flucht schlägt. Auf der Fährte der Dauerwelt ist eine vielfach gespiegelte Liebesgeschichte. Ein Paläograph und Lyriker sucht nach Handschriften von Wisramiani, einer mittelalterlichen persischen Liebesgeschichte, deren älteste erhaltene Version eine Übersetzung ins Georgische und ein Klassiker der frühen georgischen Literatur ist. An drei Orten, in Tbilissi, in der Schweiz, im Iran trifft und liebt er dieselbe Frau in drei Gestalten: als georgische Kinderärztin, als Schweizer Flötistin, als persische Archäologin. Mit seinen mehrfachen Überblendungen vom persischen ins georgische Mittelalter bis in die Gegenwart verschiedener Kulturen kommt dieser Film Swimonischwilis Gedichten am nächsten. Vor diesen abendfüllenden Projekten realisierte er drei Kurzfilme: Ein Dokumentarfilm fürs Fernsehen befasst sich mit der Bergfestung Chwamli, die in frühgeschichtliche Zeit zurückreicht; Elegie zeigt zum Klavierspiel einer georgischen Jazzpianistin architektonische Details aus dem Tbilissi der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert; Ungerade Zahlen, entstanden im Zusammenhang mit der Eingliederung behinderter Kinder in die Normalschule, zeigt einen Tag im Leben eines solchen Kindes.

*

Es geht hier nicht darum Erinnerungen an den zu früh verstorbenen Dichter festzuhalten. Ich möchte lediglich einem interessierten Leser helfen, die Distanz zwischen Georgien und dem deutschsprachigen Raum, zwischen dem in einigermaßen geordneten Bahnen dahinlebenden Europa und dem von der aktuellen Geschichte gebeutelten Kaukasus wenn nicht überwindbar, so doch erkennbar zu machen. Ich hoffe die langjährige Freundschaft mit Pako, dessen Gedichte ich anfangs aus reiner Neugier zu übersetzen versuchte, wird mir diese Aufgabe erleichtern.
Die Übersetzungen des vorliegenden Bandes umfassen nicht das Gesamtwerk Amiran Swimonischwilis. Der Band enthält das letzte Gedichtbuch Samkwidro20 fast vollständig. Dieses versammelt nicht nur die damals neuesten, sondern auch viele frühere Texte. Bei deren Auswahl übte sich Pako wie der Bildhauer, den er im Interview mit Eka Talachadse erwähnt, in der Kunst des Weglassens. Er strich Teile, die ihm nicht mehr gefielen, einige Texte kürzte er um mehr als die Hälfte. Dies ganz im Gegensatz zu seiner sonstigen Gewohnheit, sich um einmal Abgeschlossenes weiter nicht mehr zu kümmern. Das Buch wurde zu einem überlegt komponierten Ganzen aus thematischen Gruppen, in dem oft ein Text die benachbarten in ein neues Licht stellt. Die durchweg achronologische Anordnung wurde deshalb beibehalten. Datierungen, die Pako für unerheblich hielt, sind zusammen mit weiteren Anmerkungen, die manchmal auf Bemerkungen des Autors selbst zurückgehen, in den Anmerkungen zu finden.
Ein zweiter kürzerer Abschnitt bringt dann die zwölf nach dem Erscheinen von Samkwidro entstandenen Gedichte.

*

Manches Gedicht Amiran Swimonischwilis mag schwierig, ja unverständlich erscheinen. Tatsächlich sind auch die leichter zugänglichen21 keine Teekränzchenpoesie.

Erklärungen zu seinen Gedichten hat er nie abgegeben. Die Gründe dafür spricht er im Interview mit Eka Talachadse an. Versuche, ihn mit Interpretationsvorschlägen zu einen Kommentar zu verführen, quittierte er mit ironischem Lächeln:

Nun, das kann man wohl auch so sehen. Selber wäre ich nie darauf gekommen.

Offensichtlich hielt er es für nutzlos, seine Bilder- und Klangfolgen in ein leichter zugängliches, dafür einengendes Medium zu übersetzen.

*

Im Westen hat sich die Mehrzahl der Lyriker von den traditionellen Formen abgewandt. Im deutschen Sprachraum dürfte die Debatte darüber ob Gedichte nach dem Holokaust überhaupt noch zulässig seien dazu beigetragen haben. In Georgien gab es keine derartige Debatte; eher schon kann man hören, dass auswendig gelernte Gedichte im sowjetischen Gulag Überlebenshilfe leisteten.
Pako stellt seine Gedichte bewusst in den Rahmen der literarischen Tradition Georgiens, deren älteste erhaltene geistliche Dichtung22 ins 10. Jahrhundert zurückgeht, während die Überlieferung weltlicher Dichtung im 12. Jahrhundert einsetzt. In ihr ist trotz durchweg christlicher Grundhaltung die Nachbarschaft zur persischen Dichtung, die die Musik der Verse besonders hochhält, deutlich spürbar. Georgien zeichnet sich außerdem durch eine überaus reiche mündliche Überlieferung epischer wie lyrischer Gedichte aus, die gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum Ausgangspunkt des Werks von Wascha Pschawela (1861–1915) wurde.
Von Schotha Rusthawelis mittelalterlichem Epos Der Mann im Panterfell wusste Pako große Teile auswendig, in seiner Generation eher noch eine Selbstverständlichkeit. Stark beeindruckte ihn die ethische Klarheit und die „geniale Einfachheit“ des georgischen „Barockdichters“ Dawith Guramischwili (1705–1792); und wichtig waren ihm natürlich die Klassiker des 19. Jahrhunderts, in deren Werk sich das nationale Wiedererwachen des russisch kolonialisierten Georgien niederschlug.
Von der mündlich überlieferten Volkspoesie der ostgeorgischen Bergler sprach Pako in einer Weise, dass man annehmen muss, er habe sie selbst an den einschlägigen Festtagen authentisch miterlebt.
Von Vorbildern oder der Zugehörigkeit zu Schulen, Richtungen zu sprechen, erübrigt sich. Wichtig für den beginnenden Lyriker waren Aufsätze des in der Sowjetzeit verbotenen Grigol Robakidse (1882–1962), die den besonderen Charakter der georgischen Sprache und Kultur ergründen. Pako hatte sehr klare und strenge Vorstellungen von künstlerischer Qualität, gleichzeitig war er mit den verschiedenartigsten Zeitgenossen befreundet ohne je mit ihnen zu rivalisieren oder eine Übereinstimmung ästhetischer Prinzipien anzustreben. Entsprechend respektvoll verhielten sich die Autoren-Kollegen ihm gegenüber.
Von früh auf war er vertraut mit der Weltliteratur. Bereits im Elternhaus wurde er mit persischer Dichtung und Kunst bekannt, mit russischer in der Schule. Bedeutend wurde ihm dann die deutschsprachige Literatur, die er bereits als Schüler im Original zu lesen begann und die er später als Mittelschullehrer unterrichtete. Die Sammlung seiner Übersetzungen Geliehenes Licht enthält deutsche Gedichte von Goethe, Hölderlin, Brentano, Mörike, C.F. Meyer, Gottfried Keller, Rilke, Trakl und Gottfried Benn.23

*

Radikal Neuem wie etwa der Musik von John Cage gegenüber war Pako offen und unvoreingenommen. Freie Verse aber hat er kaum geschrieben.24 Die klassischen Elemente, regelmässige Metrik, gereimte Verse, blieben ihm für das eigene Schaffen verbindlich. Er war wohl überzeugt, dass in georgischer Sprache auch mit den traditionellen Formen Neues geschaffen werden könne.25
Am deutlichsten zeigt sich das an der Verfeinerung der Reimtechnik, für die sich Beispiele in allen fast Gedichten finden. Pako vermeidet das Reimen gleichklingender Endungen. Er liebt den Gleichklang bei semantischer Ferne26 oder unterschiedlicher grammatikalischer Funktion. Und der Gleichklang des Reims ist bei ihm selten vollkommen; der Konsonantenreichtum der georgischen Sprache erlaubt ein virtuoses Spiel mit Assonanzen und unreinen Reimen, das Pako gerne und nicht nur am Versende27 nutzt.
Eine Übersetzung kann diese Kunstfertigkeit nicht wiedergeben. Die klanglichen Möglichkeiten des Georgischen (dessen Musikalität – leicht überspitzt gesagt – nicht die Vokale, sondern die variantenreichen Konsonanten ausmachen) und der andere Sprachrhythmus ( das Georgische kennt nur leichte Akzente, die georgische Metrik zählt darum wie das Französische Silben statt Betonungen wie das Deutsche) verbieten eine direkte Nachahmung des Originals. Um diesem möglichst treu zu bleiben, verzichtet die Übersetzung auf Reime.
28 Stattdessen bemüht sie sich – gewissermassen als Hinweis auf die Wahrung der klassischen Formen im Original – eine gleichmässige Metrik einzuhalten.
Pakos Verse sind von manchmal überquellendem Bilderreichtum. Einige Gedichte gerieten ihm zu einer Art assoziativem Kaleidoskop, in dem zwischen Metapher und dem mit der Metapher Bezeichneten kaum oder gar nicht mehr unterschieden werden kann; manchmal fällt es gar schwer, ein bestimmtes Sujet zu erkennen.
29 Amiran Swimonischwili dürfte damit in der georgischen Lyrik so neuartig dastehen wie seinerzeit Georg Trakl in der deutschen.

*

Die Satan auf die Hauer tretende Wut, ich fürchte sie nicht,
fühl ich dich, den in die Handfläche geschlagenen Nagel
.30

Was ist von den zahlreichen christlichen Motiven, den biblischen Anspielungen und Zitaten zu halten? Gewiss sind sie auch eine Reaktion auf die Ächtung von Glaube und Kirche durch die Kommunisten. Noch während Pakos Kindheit waren Gottesdienstbesuche, Kindstaufen, kirchliche Hochzeiten gefährlich und konnten für die soziale und berufliche Stellung der Gläubigen üble Folgen haben.
Es gibt aber tiefer liegende Gründe: Seit dem 7. Jahrhundert ist Georgien fast rundum von muslimischen Völkern und Staaten umgeben. Das Festhalten am Christentum hat dieses zu einem Teil der nationalen Identität der Georgier gemacht.31 So gehörte zur Wiederherstellung der nationalen Souveränität in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts selbstverständlich auch die Rückbesinnung aufs Christentum.
Weiter: Das Christentum erhielt von früh auf in der Sprache eine nationale Form. Die Sprache der orthodoxen Kirche Georgiens war von Anfang an das Georgische, während die römische Kirche nationalsprachliche Messen erst seit 1969, dem II. Vatikanischen Konzil kennt. Die erste deutsche Bibel erschien 1534 und wird seither ständig neu redigiert; die georgische wurde vom 6. Jahrhundert an übersetzt und wird in dieser Gestalt bis heute gelesen.32 Pako liebte den besonderen Klang dieser jahrhundertealten, aber für jeden Georgier im großen Ganzen heute noch verständlichen Sprache; gerade auch da, wo sie vom heutigen Sprachgebrauch abweicht.33 

*

Pako war sechzehnjährig, als Georgien wieder unabhängig wurde. Auf die offizielle geistige Öde der letzten Sowjetjahre folgte eine berauschend offene Zukunftsperspektive. Ich gehe kaum fehl, wenn ich die zahlreichen „messianischen“ Motive34 in seinen Gedichten im Zusammenhang dieser Herausforderung und ihrer schwierigen Realisierung sehe. Die Auseinandersetzungen über die Staatsform, über vordringliche Reformen, das Verhältnis zur Russischen Föderation etc. weckten in den jungen Menschen ein Gefühl staatsbürgerlicher Verantwortlichkeit. Zwar hat sich Pako selten direkt politisch betätigt, er nahm aber bis an sein Lebensende leidenschaftlich und radikal an politischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen teil. Die Anspannung der auf die Unabhängigkeitserklärung folgenden Jahre, der Putsch gegen den ersten demokratisch gewählten Präsidenten, der in einen Bürgerkrieg ausartete, die daraufhin ausgebrochenen Separationskriege in Abchasien und Samatschablo – all das hat sich in seinen Gedichten niedergeschlagen: Kaum eines unter ihnen ist rein privat, auch wenn kaum eines direkt politisch ist.35 Im gesellschaftlich-politischen wie im privat-individuellen Bereich suchte er nach langfristiger Orientierung für das Schicksal des Einzelnen ebenso wie für das des Landes.
Die letzten Zeilen von Samkwidro beschreiben deutlich die Aufgabe, die er seinem Schaffen stellte: 

Und zwischen Teufel und Tod dem Untergang geweiht,
hält die Seele, Wort geworden, beide von sich fern. 

Thomas Häusermann, Nachwort

 

Beiträge zu diesem Buch:

Eric Giebel: Emailbläue
vitabuvingi.de, 21.1.2019

Widmar Puhl: Gedichte von Amiran Swimonischwili: Der Sound reiner Poesie
puhlswritinglife.blogspot.com, 17.7.2020

 

Fakten und Vermutungen zum Übersetzer + Facebook

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Youtube

 

Amiran Swimonischwili liest იჩქერია.

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