4. August

Wer den Menschen … wer die Menschen, mithin auch sich selbst heute noch in Schutz nehmen mag, kann das nur mit Berufung auf eine prekäre Normalität: »Ich bin auch nur ein Mensch!«, »Wir sind eben alle nur Menschen!« usf. Das ist, mit Betonung auf »nur«, die eigentliche Bankrotterklärung. Menschlicher Schwachsinn, menschliche Niedertracht wird gerechtfertigt mit dem nicht zu widerlegenden Hinweis, dass Niedertracht, Schwachsinn eben als »menschlich« zu gelten hätten. Ich fürchte, dass auf solch schwankendem Grund nicht bloß das »normale« menschliche Selbstverständnis beruht, sondern auch das institutionell verbriefte Verständnis von Menschenrechten, Gleichstellung, Chancengleichheit usf. bis hin zur sozialen Marktwirtschaft und zur Demokratie. Mir ist diese Gleichmacherei und Duckmäuserei zuwider, ich ziehe Diversität und Widerspruch in menschlichen Dingen einer grundsätzlich prekären Gleichheit oder Harmonie vor. Die Anerkennung des Andern in seinem Anderssein ist mir wichtiger … finde ich produktiver als dessen Integration und Assimilation im globalen Eintopf dessen, was Menschheit oder gar Humanum genannt wird. Denn human ist, meine ich, nicht das Menschliche im gängigen Verständnis, nicht das, was menschenrechtlich als legitimes Bedürfnis von uns allen anerkannt ist, sondern gerade das, was über dieses ordinär Menschliche hinausgeht, was hinausgeht über das Animalische, das dem Menschen zugestanden wird als ein Natürliches. Aber der Mensch ist doch mehr als »auch nur ein Mensch«; der Mensch wird dort akut, wo er das animalisch Naturhafte transzendiert, wo er also die Perversion wagt, die Askese, die Einsamkeit, letztlich das – nach allgemeiner Übereinkunft – Inhumane … das von gesellschaftlichen Gewohnheitsnormen Abweichende. Beispiele … Gegenbeispiele: Zölibat und Schwulenehe. Da das Zölibat heute weithin als unnatürlich gilt, darf Priestersex als natürlich, folglich auch als gerechtfertigt gelten; vergessen wird, dass das frei gewählte Zölibat, entgegen natürlichen Bedürfnissen, tatsächlich eine menschliche Leistung ist, für die es in der Natur sonst keine Entsprechung gibt, die den Menschen also ausweist als ein Wesen, das geistige Werte freiwillig und ohne jeden materiellen Gewinn höher veranschlagen kann als das, was die Natur normalerweise als ihr Recht einfordert. Ob es schwule … ob es lesbische Tiere oder Pflanzen gibt, ob Schwulsein und Lesbentum als natürlich gelten können, weiß ich nicht; doch vielleicht könnte Homosexualität als humaner Normbruch einen höheren Wert und Anspruch haben, wenn sie Gleichgeschlechtlichkeit als eine spezifische Form von Menschsein herausstellen würde statt bloß als eine spezifische Form von Sexhaben. Aber nein – sie muss normalisiert und kodifiziert werden: Schwule Paare sollen nicht nur wie die Normalverbraucher ehelich zusammenleben dürfen, sie wollen auch Kinder haben, wollen Familien gründen, Generationen schaffen. Statt Diversität wird auch hier platte Gleichmacherei durchgesetzt (man sehe sich schwule Trauungszeremonien mit Ringtausch und Zungenkuss an), und kaum jemand, der homosexuell geprägt ist, scheint das Bedürfnis zu haben … scheint auch bloß dran zu denken, dass sein Anderssein als Mensch auch seine Auszeichnung ist. Diese menschliche Auszeichnung in ihrer Besonderheit auszuleben, ihr eine eigene Prägung zu geben, würde ich für überzeugender halten als die zunehmende Anpassung an die soziale Normalität der Mehrheitsbevölkerung.

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