Marion Tauschwitz: Zu Hilde Domins Gedicht „Ich will dich“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Hilde Domins Gedicht „Ich will dich“. 

 

 

 

 

HILDE DOMIN

Ich will dich

Freiheit
ich will dich
aufrauhen mit Schmirgelpapier
du geleckte

die ich meine
meine
unsere
Freiheit von und zu
Modefratz

Du wirst geleckt
mit Zungenspitzen
bis du ganz rund bist
Kugel
auf allen Tüchern

Freiheit Wort
das ich aufrauhen will
ich will dich mit Glassplittern spicken
daß man dich schwer auf die Zunge nimmt
und du niemandes Ball bist

Dich
und andere
Worte möchte ich mit Glassplittern spicken
wie es Konfuzius befiehlt
der alte Chinese

Die Eckenschale sagt er
muß
Ecken haben
sagt er
Oder der Staat geht zugrunde

Nichts weiter sagt er
ist vonnöten
Nennt
das Runde rund
und das Eckige eckig

 

Unbequem und voller Widerstand –

so lassen sich Hilde Domins politisch motivierte Gedichte charakterisieren. Sie trat für ihr Recht als Schriftstellerin ein und setzte ihrer aufkeimenden Angst vor dem Erstarken der NPD das Dennoch jedes Buchstabens entgegen. Hilde Domin erwartete von sich und anderen Zivilcourage zum Beispiel / diesen Mut den kein Tier hat / Mit-Schmerz zum Beispiel / Solidarität statt Herde / Fremd-Worte/ heimisch zu machen im Tun.
Erwin Walter Palms beschwichtigender Einfluss aus dem fernen Südamerika, wo er seit 1963 jeweils in den Wintermonaten ein Forschungsprojekt leitete, erreichte seine Frau nicht. Sie bezog Stellung zu politischen Themen. Mit ihrer 1964 erfolgten Aufnahme in den P.E.N, die Vereinigung der „Poets, Essayists, Novelists“, dachte sie, eine geeignete Plattform gefunden zu haben, um zu mobilisieren: Den P.E.N. nicht den Alten überlassen. Gleich im Jahr ihrer Aufnahme engagierte sie sich für das Verbot der NPD, solang das Ding noch klein ist und ohne Mystik. Ihre fordernde Energie verschreckte viele Mitglieder. Erich Fried gestand Hilde Domin 1967, dass sie als das unbequemste Mitglied angesehen worden sei. Vor allem ihre Solidaritätsbekundungen für den Regisseur und Filmemacher Rainer Werner Fassbinder, der das faschistoide Grundverhalten im Alltag in seinen Filmen anprangerte, stießen auf Ablehnung in der Vereinigung. Es war schon ihr 4. Antrag dieser Art in zwei Jahren. Hilde Domin registrierte antisemitische und ausländerfeindliche Strömungen mit seismografischer Empfindlichkeit. Sie setzte sich in ihrem literarischen Werk mit der Verlassenheit des Einzelnen in der Gesellschaft auseinander, schloss sich der von Astrid Gelhoff-Claes gegründeten Initiative für Gefängnislesungen an. Mit resoluter Sensibilität prangerte sie das Unvermögen ihrer Mitmenschen an, die es an Zivilcourage fehlen ließen.

Sie war mit Worten unterwegs. Aber [e]s war ja alles in Bewegung, und es passierte dauernd etwas Neues, Gewaltiges, anno 68. Der Krieg in Vietnam und die Proteste dagegen […], der Kampf gegen Springer, die anarchistisch-terroristischen Anfange […]. Der Mai-Aufstand der Pariser Studenten. Dann der Tief schlag vom August, der Warschauer Pakt unterdrückt mit Panzern den Prager Frühling. […]. Schliesslich der von den USA geforderte Militärputsch in Griechenland. […] Falls also zu 68 noch irgend etwas Erhellendes zu sagen ist, dann wäre es vielleicht dies: von der Suche zu sprechen, der Suche auch nach der eigenen Nützlichkeit und dem Gebrauchswert eigenen Tuns.

Hilde Domin reflektierte die gesellschaftspolitischen Prozesse der Sechzigerjahre in ihrem Gedichtband Ich will dich, der 1970 erschien. Zweiundzwanzig Gedichte schlagen der Freiheit des Wortes eine Bresche. Damit es anders anfangt zwischen uns allen, die Zeile aus ihrem Gedicht „Abel steh auf“, hatte sie ihrem Band als Motto vorangestellt, und damit hatte sie nicht nur den privaten Neubeginn thematisiert. Auch Domins politische Gedichte sind ein Erfahrungsmodell, nicht nur Evokation der historischen Ereignisse. Die Gedichte aus dem Band Ich will dich sprechen das historische Moment des persönlich Erlittenen an und transzendieren zugleich den konkreten Moment in einen zeitlosen Raum.
Das Titelgedicht schrieb sie 1967: in dem Jahr, in dem Benno Ohnesorg ermordet wurde, sich eine außerparlamentarische Opposition formierte, die Aachener Staatsanwaltschaft Anklage gegen den Hersteller des Schlafmittels „Contergan“ erhob, welches bei Schwangeren zu Missbildungen der Neugeborenen führte. Hilde Domin hatte auch dazu einen Artikel verfasst. In New York protestierten unter der Führung des Bürgerrechtlers Martin Luther King mehr als 125.000 Menschen gegen den Krieg in Vietnam. Der Friedensnobelpreis wurde wie schon im Jahr zuvor nicht vergeben. Der Freiheit eine Bresche schlagen:

Freiheit, die ich meine, die mein Herz erfüllt, komm mit Deinem Scheine, süßes Engelsbild.

Das von den Nationalsozialisten missbrauchte Lied des Maximilian von Schenkendorf, der sich damit den napoleonischen Freiheitskriegen entgegengestellt hatte, wird Hilde Domin bekannt gewesen sein: Die Losung „Freiheit, die ich meine“ wurde ab Beginn des 20. Jahrhunderts unabhängig von Schenkendorfs Lied populär.
„Ich will dich“ erschien 1968 in der Zeitschrift Die Horen und gleichzeitig in einer Anthologie, die als Hommage an Peter Huchel gedacht war, der vom DDR-Regime als Unperson gebrandmarkt und unter Hausarrest gestellt worden war. Der Impetus des Gedichts war universell, und so ließ es sich auch 1968 zu Gehör zu bringen und auf den Freiheitswillen der Tschechen übertragen, als der Prager Frühling im Keim erstickt wurde. Hilde Domin hatte dafür ihrer ersten Manuskriptfassung einen Epilog angefügt, der den Bezug zu den tschechischen Ereignissen herstellte und in dieser Form in der ZEIT vom 6.9.1968 veröffentlicht wurde:

Freiheit
Ich will dich
für die Tschechen
die dich wollen
Freiheit benimm dich.

Diesen Nachtrag, als Manuskript mit Bleistift auf einen karierten Zettel hingeworfen, hatte sie später für ihren Gedichtband wieder gestrichen, sich an ihrer eigenen Maxime orientierend: Ein Gedicht soll nicht als Steuerungsinstrument für eine ganze Gesellschaft missbraucht werden. Es soll das Bewusstsein der Lesenden ändern, nicht die Gesellschaft.
So wenig glatt wie das Gedicht sollte die Umschlaggestaltung sein: Der Künstler HAP Grieshaber hatte auf Domins Bitte hin für das Cover einen Vogel entworfen. Leicht sollte er sein:

Fliegen muss er, los vom Boden.

Und wunschgemäß zeichnete Grieshaber einen leicht dahinfliegenden etwas impertinenten Vogel mit offenem Schnabel, als käme er rufend daher. Ein Friedensvogel auf seine Weise. Seinem Entwurf fügte Grieshaber ein Foto von einer Trümmerlandschaft bei: im Fall von „Ich will dich nicht“ – falls Domin den Entwurf also ablehnen sollte. Doch Entwurf und Foto überzeugten Hilde Domin so, dass sie die Rückseite des Gedichtbandes auch damit gestaltete: Ich will dich – Ich will dich nicht gehörte zu Domins Favoriten der Umschlaggestaltung.

Das Dennoch jedes Buchstabens forderte die Freiheit des Wortes, denn weiterhin litten Domins Worte unter der „Angst vor dem Verrat des Menschen an dem Menschen. Vom Trauma der Nazi-Epoche ist viel im Innern hängengeblieben, aber doch so weit verarbeitet, dass es keine Borniertheit im Hinblick auf Beurteilung und Parteinahme für entgegengesetzte Kulturtheorien hinterlassen hat“ – Joachim Günthers lobte die Dichterin ausdrücklich für ihren liberalen Umgang mit heiklen Beziehungen und auch dafür, dass sie sich „als Jüdin einer bleibenden Diaspora nie durch dick und dünn verpflichtet fühlte“. Domin beanspruchte für sich das Recht, die Juden öffentlich zu tadeln, wie sie es im Falle von Günter Grass getan hatte: Als Günter Grass 1967 in Israel vor dem Hebräischen Schriftstellerverband sprechen wollte, verweigerte der ihm das Rederecht in diesem Gremium, obwohl Grass als Ehrengast des israelischen Außenministeriums reiste. Hilde Domin wollte diese Sippenhaft nicht hinnehmen und mobilisierte Schriftstellerkollegen für eine Protestnote, in der Nelly Sachs an prominenter Stelle unterschrieb. Dennoch drohte der Aufruf fast daran zu scheitern, dass sich die Mitunterzeichner Erich Fried und Peter Weiss mit der Definition ihres Standorts als Jude und Schriftsteller schwertaten: „Naziverfolgte, Jüdische Schriftsteller, Deutsche in Brüderlichkeit, Dichter deutscher Sprache, deutsche Dichter“ fanden keine Akzeptanz. Ebenso wurde verworfen:

Wir von Hitler als Juden verfolgte Dichter deutscher Sprache protestieren aufs Schärfste gegen das an Günter Grass begangene Unrecht, fordern Neuentscheid.

Letztlich befolgte Hilde Domin Walter Boehlichs Rat für die Endfassung, die so einfach wie unverfänglich war: Wir protestieren und dann unterschrieben die Unterzeichner mit ihrem Namen. Das israelische Schriftstellergremium tagte daraufhin ein zweites Mal – und blieb bei seiner Absage. Hilde Domin forderte das korrekte Wort ein. Von sich und anderen. Sie bezeichnete sich gern als Sprachhandwerkerin und wusste um die Brisanz des treffenden Wortes, das sie mit „Ich will dich“ anmahnte.
Hochsensibel registrierte sie antisemitische Anklänge und reagierte dann umgehend mit Leserbriefen auf Artikel in der Tagespresse, beispielsweise im August 1962: Bei einer rechtsradikalen Versammlung war eine Frau von Neonazis verprügelt worden. Die Presse verharmloste den Vorfall in ihrem Bericht mit den Worten, die Frau sei in tätliche Auseinandersetzungen verwickelt worden. – Sind die 6 Millionen Juden auch in handgreifliche Auseinandersetzungen ,verwickelt‘ worden?, empörte sich Domin bei der Zeitung. Am nächsten Tag las man dort einen Nachtrag. Man sprach nun von einem brutalem Überfall auf die Frau.

wie es Konfuzius befiehlt
der alte Chinese
[…]
Nichts weiter sagt er
ist vonnöten
Nennt
das Runde
rund
und das Eckige eckig

Hilde Domin orientierte sich gern an den Worten des chinesischen Philosophen, der über die Willkür der Wörter reflektierte:

Wenn die Sprache nicht stimmt, so ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist. Ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist, so kommen die Werke nicht zustande. Kommen die Werke nicht zustande, so gedeihen Moral und Kunst nicht. Gedeihen Moral und Kunst nicht, so trifft das Recht nicht. Trifft das Recht nicht, so weiß das Volk nicht, wohin Hand und Fuß setzen. Also dulde man keine Willkür in den Worten. Das ist es, worauf es ankommt.

Gegen die Willkür der Worte zu kämpfen, hatte sich Hilde Domin auf ihre Fahnen geschrieben:

Freiheit Wort
das ich aufrauhen will.

Diese Freiheit des Wortes hatte sie auch in ihrer Römerbergrede von 1978 thematisiert.

Nennt
das Runde rund
und das Eckige eckig.

Dass die Deutsche Presseagentur über ein Entführungsopfer schrieb, die Geiselnehmer hätten einen Finger „abgetrennt“, empörte Hilde Domin.

War es die Fingerkuppe, so hiesse das „abgeschnitten“. Geht es durch den Knochen, so ist das Wort dafür „abgehackt“. Beide Wörter haben einen odiösen Klang, neben dem unblutigen „abgetrennt“.

Die Sprache sei das Geheimnis des Menschseins, hatte der Philosoph Karl Jaspers in seinen Vorlesungen betont, die Hilde Domin 1931 besuche hatte. Nur mit dem Mut, Dinge präzise zu benennen, etabliere sich die menschliche Solidarität, ohne die das Menschsein nicht gelingt und ohne die Freiheit nicht möglich ist.

Freiheit ich will dich

Marion Tauschwitzaus Marion Tauschwitz: Hilde Domin – Das heikle Leben meiner Worte, VAT Verlag André Thiele, 2012

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