Emil Juliš: Landschaft meines Gesangs

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Emil Juliš: Landschaft meines Gesangs

Juliš-Landschaft meines Gesangs

MENSCHEN-MASCHINEN

– – – als ob mit irgendwas bestimmtem:
„Na klar, das ist doch selbstverständlich.“
Du findest sie in jeder Ecke und alle öffnen
Mund und Augen, spitzen die Ohren, regen sich,
sind voller Geistesenergie, verrichten,
ergreifen etwas, jemandem, haben Werkzeuge
und Tastsinn.
aaaaaaaaaaaaaaaaaDas ist ein Wunder, mit Staunen
schaue höre ich. Diese Zielhaftigkeit,
Gegebenheit, Entschiedenheit! Erwarte was auch immer
von diesem Kopf, von dieser Körperwendung,
von diesem Wort – unfehlbare Blitze,
hin auf das Ziel gerichtet.
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaTage gibt es,
wo ich erzittere – bin ich nicht eingemauert? Schau,
wie die Menschen-Maschinen durch die Straße sich bewegen –
keiner möchte Don Quijotes Rolle übernehmen:
sie bewundern sich, sind als Herrn geschaffen,
ich aber kann nicht sagen, daß sie herz-los wären,
sei es aus Gummi, aus Metall oder Ersatzstoff.

Tu nicht als sei dir Unrecht zugefügt, sei nicht enttäuscht und eifersüchtig,
der du über den Nächsten sprichst, über die Seele, über den Geist:
der gleiche Krater wartet auf uns alle.

 

 

 

Nachwort

Er gleicht niemandem

Der Dichter Emil Juliš hat einen großen Vorzug, der auch ein Nachteil ist: er gleicht niemandem.
Der übliche Satz, er komme da und da her, verehre den einen oder anderen Großen, gehöre der und der Schule an, bereichere diesen oder jenen Ismus – eine solche Behauptung ist gegenstandslos. Ein Mensch mit Urteilsvermögen wird dergleichen nicht aussprechen. Eine oberflächlichere Kritik und auch die Leser mag das verwirren: Nichts, worauf man sich stützen könnte, keine Hinweise auf irgendwelche Größen oder bewährte Methoden? Vielleicht ist es besser, ihn zu verdammen oder schweigend zu übergehen. Wozu sich mühen? Das ist der Nachteil.
Der Vorzug besteht darin, daß die Ungewöhnlichkeit und die reife Poesie von Juliš wißbegierigere Kritiker oder Beobachter braucht, die den Horizont weiten: eine Persönlichkeit fällt nicht einfach vom Himmel.
Auch stellt sich heraus, daß Juliš zwar eine ganze Reihe schöner Gedichtbände veröffentlicht hat, jedoch klafft zwischen dem fünften und sechsten (die Jahre 1970 bis 1988) eine unfreiwillige Lücke von achtzehn Jahren. Von Juliš durfte damals nichts erscheinen und als er über alle diese angehäuften Buchstaben, die einen gedruckten Text und ein Buch ausmachen, in Zorn geriet, begann er zu malen. Vor allem bemalte er Steine. Einmal kam er mit einem Auto, dessen Chassis fast auf dem Asphalt aufsetzte, nach Mähren – es war voll mit Steinen beladen und jeder, der Interesse hatte, konnte sich einen aussuchen. Der Kontakt mit dem Publikum war dem Dichter also durchaus nicht gleichgültig. Später ging er zu Collagen über und schließlich zur ordentlichen Ölmalerei. Eins dieser Ölbilder hängt in meinem Kunštáter Arbeitszimmer über mir. Es heißt „Kleine Felsenstadt“ und ist für mich das Eingangstor zur Poesie nach dieser langen Unterbrechung, zur Poesie seines Gedichtbandes Wir nähern uns dem Feuer.
Der Band ist außergewöhnlich formsicher, die Texte bei allen Ausnahmen fast „klassisch“. Die Versuche spannen sich hier nicht mehr von Vers zu Vers, von Gedicht zu Gedicht, die Konturen des Ganzen sind ein einziger großer Versuch; die Umrisse einer Poetik, die man heute einfach „julišesk“ nennen muß.
Man fragt sich, worin die Gedichte des Emil Juliš anders als die der gängigen dichterischen Produktion sind: Vor allem in der spezifischen Dichte und in der Fülle der Verse, in denen starkgedrängt Bedeutungen stecken – die Wörter sind in der Mehrheit streng konkret und wenn sie als Abstraktum erscheinen, unmittelbar darauf besonders betont, „geerdet“. Und weiter: Der eigentümliche Satzbau kämpft ständig mit der Versgestalt – so mancher Vers endet zum Beispiel mit der Konjunktion „und“ – ruft so eine Pause des Suchens und der Spannung hervor. Und zum dritten überwiegt in diesen Versen das Verb – was mit dem programmatischen Hinzielen von Juliš auf das Geschehen zusammenhängt. Sein Bekenntnis lautet:

Zeit existiert, weil es ein Geschehen gibt, und außer dem Geschehen ist nichts

Aus diesen drei Versmerkmalen resultiert: der Eintritt in diese Dichtung wird einem nicht gleich leicht gemacht, wird vielleicht gar als „schwer“ wahrgenommen. Dazu eine kleine Hilfe: der Leser begreife diese Texte nicht als schwieriges Spiel der Symbole, sondern gehe ganz sachlich von Bedeutung zu Bedeutung, genieße die Paradoxe und die leicht ironischen „Eigenkorrekturen“ des Autors.
Bei solch Zutritt scheint früh die Landschaft dieser Poesie durch, eine Landschaft, die Juliš schrankenlos liebt: die verwüstete nordböhmische Gegend um Most und Litvinov, eine Gegend, die wir kaum aus Gedichten kennen, eher von Bildern Bohan Kopeckýs, Jaroslav Klápštěs, Zdeněk Veselýs. Das Aussprechen bis hin zur „dramatischen Geologie“ durch den Vers und die Gleichsetzung der Landschaft des verrufenen Kohlebeckens im gewöhnlichen Wortsinn mit der Landschaft dichterischen Geistes, mit seiner „inneren Landschaft“ – das ist an der Poesie von Juliš das wunderbarste.
Alles, was ich hier sagen könnte, ist eher eine Bemerkung am Rand. Am Rand des Juliš-Buches Unausweichlichkeiten. Es erschien im Jahre 1996 und der Dichter erhielt dafür den tschechischen Staatspreis. Zum Schluß daraus wenigstens ein paar Verse:

Irgendwo in unserem Innern
ein Schimmer hinter dunklen Wolken sich verbirgt
doch nur selten wahrgenommen
der Schein um den Kopf, man nennt das wohl
Elias-Feuer… Manchmal leuchten wie ein Blitz
Körperadern auf, das ganze Wesen
donnert und bebt als infernalische Schlacke
der Landschaft

Ludvík Kundera, Nachwort, Herbst 2005

 

Beiträge zu diesem Buch:

Volker Strebel: Herzerschütternd stummes Vieh
literaturkritik.de, Oktober 2007

Volker Sielaff: Dramatische Geologie von Vers und Landschaft
Sprache im technischen Zeitalter, Juni 2007

 

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