Albert Drachs Gedicht „Immerhin“

ALBERT DRACH

Immerhin

Immerhin gibt es
Tornados und sonstige Stürme,
Die, wenn man Wälder
Umlegt, Ozeane mit
Ozeanen verbrüdern.
Immerhin gibt es Wüsten,
Die aus Zerstörung erwachsen,
Und es gibt auch den Ausfall
Von Arten und Stämmen.
Und Kriege werden wieder
Mit Kriegen vergolten.
Und ich weiß nicht, ob es dich
Auch überhaupt gibt.
Mich gibt es bestimmt.
Das sagt schon
Der Philosoph.

nach 1950

aus: Albert Drach: Gedichte. Hrsg. von Reinhard Schulte. Werkausgabe in zehn Bänden. Bd. 10. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2009

 

Konnotation

Die literarische Welt hat sehr lange gebraucht, um den ästhetischen Rang des sehr eigenwilligen, einen beamtenhaft umständlichen „Protokollstil“ kultivierenden Schriftstellers Albert Drach (1902–1995) zu erkennen. Der Sohn eines jüdischen Mathematikprofessors aus Meidling bei Wien arbeitete als Rechtsanwalt und musste 1938 vor den Nazis nach Frankreich fliehen, wo er mit Mühe der Auslieferung entging. Bereits als Schüler begann er, in Zeitungen Gedichte zu publizieren.
Beim skeptischen Blick auf die Conditio Humana vermerkt Drach zunächst nur Untergangs-Befunde. Der Einsicht in die Zerstörung der Natur, das Artensterben und die Versteppung der Erde, der Drach trotz der planetarischen Folgen ein ironisches „Immerhin“ abgewinnen kann, fügt er noch den Zweifel an der Existenz des Subjekts hinzu. Die einzig positive Bestimmung des Gedichts, dass sich das schreibende Ich seiner selbst sicher sei, zerfällt in den letzten beiden Versen. Denn es erweist sich, dass es nur das rationalistische „Cogito ergo sum“ des Philosophen René Descartes ist (1596–1650), das die Gewissheit der Ich-Existenz verbürgt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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