Elisabeth Borchers’ Gedicht „ICH WILL IHN HEBEN…“

ELISABETH BORCHERS

ICH WILL IHN HEBEN
den versunkenen Schatz
das Gold, die Lieb, den Edelstein
Ich will die Weltenuhr verrücken
Ich weiß, es wird nicht einfach sein
Ich weiß, es wird mir nie und nimmer glücken
So laß die Sterne leuchten
und sei’s nur einer: der ist dein.

um 2000

aus: Elisabeth Borchers: Eine Geschichte auf Erden. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 2002

 

Konnotation

In einem frühen Film des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman (1918–2007), Wilde Erdbeeren, gibt es eine Schlüsselszene, in der ein alter Mann im Traum eine Uhr betrachtet und mit Schrecken entdeckt, dass sie keine Zeiger mehr besitzt. Bergmans „Weltenuhr“ ist in lähmender Gegenwart eingefroren, es gibt keine Zukunft mehr. Gegen solchen geschichtlichen Stillstand mobilisiert das lyrische Ich im Gedicht von Elisabeth Borchers (geb. 1926) alle utopischen Energien. Die „Weltenuhr“ soll auf einen neuen Zeit-Stand gebracht werden.
Der Eingriff in die „Weltenuhr“ wird flankiert durch eine romantisch-retrospektive Bewegung. Denn es sollen auch die Schätze aus einem untergegangenen goldenen Zeitalter geborgen werden. Hier spricht ein Ich, das sich noch Zuversicht und Daseinstrotz bewahrt hat. Und obwohl die Protagonistin die Utopie selbst relativiert, wird an ihrer Leuchtkraft festgehalten, am eigenen „Stern“. So entsteht ein Gedicht als allegorisiertes „Prinzip Hoffnung“ (Ernst Bloch).

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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