Erich Frieds Gedicht „Männerlied“

ERICH FRIED

Männerlied

Mit Huren in den Armen
mit Haaren auf der Brust
mit Heeren ohne Erbarmen
mit Herzen ohne Lust
mit Vätern ohne Namen
mit Kindern ohne Mund
mit Herren ohne Damen
so gehen wir zugrund

So gehen wir zugrund
mit Herren ohne Damen
mit Kindern ohne Mund
mit Vätern ohne Namen
mit Herzen ohne Lust
mit Haaren auf der Brust
mit Huren in den Armen

1945

aus: Erich Fried: Gesammelte Werke I. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1993

 

Konnotation

Männerlieder“ hat die Pop-Kultur schon reichlich gesungen. Sie sind im Regelfall versöhnlich gestimmt und der Spezies Mann freundlich zugetan. Dem politischen Lyriker Erich Fried (1921–1988), der sein männliches Ego in seinen Gedichten nicht gerade verbarg, ist hier ein Lied geglückt, das alle Illusionen über die Spezifika des Mann-Seins verloren hat. Männer erscheinen als die willigen Vollstrecker militärischer Untaten und als gefühllose und lustfeindliche Wesen.
Diese sehr lakonische Kommentierung der Männer-Eigenarten ist kurz nach 1945 entstanden, als Fried die Verheerungen des Weltkriegs und die Barbarei des massenhaften Tötens noch unmittelbar vor Augen hatte. Das „Männerlied“ gehört zu den reizvollsten Gedichten Frieds, weil der Autor hier auf jeden didaktischen Fingerzeig verzichtet und in der strengen Form des Rondos die Kläglichkeit der Männer vergegenwärtigt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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