Erika Burkarts Gedicht „Im Gebirge“

ERIKA BURKART

Im Gebirge

Runsen verharschten Schnees,
Rippen von Kalk,
aufgefächert zum Karst,
das der Schatten eisiger
Vorzeit besetzt hält.

Die Verwandlung,
wenn der Dichter
den Schneezauber spricht,
der Schnee
in allen Zungen des Schweigens redet,

irren die Kinder
Flockenflüstern der Finsternis,
erfrieren nicht, harren aus,
bis ihnen über dem Eis
aufgeht das fließende Licht.

2002

aus: Erika Burkart: Langsamer Satz. Ammann Verlag, Zürich 2002

 

Konnotation

Seit vielen Jahren hat sich die Schweizer Dichterin Erika Burkart (geb. 1922) in eine ehemalige Klosteranlage im Kanton Aargau zurückgezogen, um dort nach jenen „Zauberworten“ für die Schöpfung zu suchen, an die in der postmodern ernüchterten Gegenwartspoesie keiner mehr so recht glauben will. In ihrem Band Langsamer Satz (2002) erteilt Burkart dem „Dichter“ ausdrücklich die Lizenz für eine magische Verwandlungskunst, indem sie ihn den „Schneezauber“ selbst „sprechen“ lässt.
Hier wird ein mystisches Ereignis beschworen: Die geologischen Eigenarten der Landschaft, die aus prähistorischer Zeit herrühren, werden eingebunden in einen Vorgang der „Verwandlung“, der sich der Poesie verdankt. Aus dem „Schneezauber “ und dem „Flockenflüstern“ geht schließlich eine quasi-göttliche Erscheinung hervor: das „fließende Licht“.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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