Günter Kunerts Gedicht „Über einige Davongekommene“

GÜNTER KUNERT

Über einige Davongekommene

Als der Mensch
Unter den Trümmern
Seines
Bombardierten Hauses
Hervorgezogen wurde,
Schüttelte er sich
Und sagte:
Nie wieder.
Jedenfalls nicht gleich.

1950

aus: Günter Kunert: So und nicht anders. Ausgewählte und neue Gedichte, Carl Hanser Verlag, München-Wien 2002

 

Konnotation

Schon früh hat man den 1929 in Berlin geborenen Günter Kunert als griesgrämigen Apokalyptiker rubrizieren wollen, der seine „täglichen Weltuntergänge“ in Gedichten ritualisiert. Ein Missverständnis. Denn die vermeintliche Schwäche hat der Dichter als poetische Tugend kultiviert: eine hartnäckige Skepsis, die sowohl den geschichtsphilosophischen Glücksversprechen des Sozialismus als auch den Fortschritts-Euphorien des Kapitalismus misstraut.
Kunerts Warngedicht über „die Davongekommenen“ stammt aus seinem ersten, 1950 publizierten Gedichtband Wegschilder und Mauerinschriften, der noch deutlich unter dem Einfluss der dialektischen Lehrgedichte Bertolt Brechts steht. Dessen Weltveränderungs-Pathos begegnet Kunert mit einer Fortschritts-Skepsis, die von der Unbelehrbarkeit des Menschen ausgeht und Geschichte als permanentes Menetekel begreift.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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