Felix Philipp Ingold: Aufs Wort (genau) – Es …

Aufs Wort (genau) – Teil 7

 

Teil 6 siehe hier

Es entspricht der alltäglichen Erfahrung im Umgang mit Schrifttexten, dass deren elementare Versatzstücke – Wörter, Silben, Buchstaben, Interpunktion – sich gleichsam auflösen («wie eine Brausetablette in einem Glas Wasser»), dass sie verschwinden zugunsten der üblichen synthetisierenden Textrezeption, die ja in aller Regel mit sehr vielen Auslassungen (vgl. «diagonale» Lektüre) praktiziert wird und formale Details der Schriftlichkeit unberücksichtigt lässt. Von daher erklärt sich die mangelnde Aufmerksamkeit für das Wort als solches (d.h. als visuelles oder lautliches Gefüge): Man ist nicht an den Konstruktionselementen des «Fensters» interessiert, sondern an der «Aussicht», die es bietet; nicht an der Wortform, sondern an der Wortbedeutung.
Nur beim literarisch instrumentierten Spracheinsatz findet das Wort als solches spezifische Beachtung und Verwendung. Darauf hat am nachhaltigsten Gertrude Stein hingewiesen in ihrer Lecture über «Poesie und Grammatik» (1935), die nicht nur sämtliche Wortarten Revue passieren lässt und sie nach ihrer jeweiligen Funktion neu bewertet, sondern auch die Interpunktion – Zeichen für Zeichen – kritisch analysiert. Vorgängig hatten auch schon die russische «formale Schule» (um 1913/1918) und diverse Autoren des literarischen Kubofuturismus das «Wort als solches», den «Buchstaben als solchen» neu ins Bewusstsein gerufen und zum Ausgangspunkt ihrer Poetik gemacht.

… Fortsetzung hier

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