Ilma Rakusas Gedicht „Erotischer Neunzeiler“

ILMA RAKUSA

Erotischer Neunzeiler

Schiess in mein Kraut, Meister
mach die Kresse froh
tob dich aus, dreister
schrei mich wach
beschlagen die Nacht
beschlagen das Haus
du und ich
unverblümt
kleistern uns zu

1996

aus: Liederlich! Die lüsterne Lyrik der Deutschen. Hrsg. v. Steffen Jacobs. Eichborn Verlag, Frankfurt a.M. 2008

 

Konnotation

In der deutschen Literatur des Mittelalters hat ein gewisser Contz Haß (alias Conrat Hase, ca. 1460–1527) den „Neunzeiler“ als populäre Form der „Narrenkappenweise“ erfunden. In der englischen Romantik wurde die Tradition des Neunzeilers von Edmund Spenser (1552–1599) fortgeführt, der die „Spenser-Stanze“ als seriöse Gedicht-Form etablierte. Als probate Möglichkeit zur lyrischen Mobilisierung von Liebes-Affekten hat in jüngster Zeit die Schweizer Dichterin Ilma Rakusa (geb. 1946) den Neunzeiler zu einer dynamischen poetischen Disziplin entwickelt. Die neun Zeilen, so sagt Rakusa selbst, gleichen einem kunstvollen Notat, einem „Stoßgebet“.
Ein „Stoßgebet“ im buchstäblichen Sinn ist der „erotische Neunzeiler“ Rakusas, der bislang nur in den eigens erstellten Band mit „Neunzig Neunzeilern“ (1997) nicht aufgenommen wurde. Das mag mit der obszönen Drastik dieser Zeilen zusammenhängen, die „unverblümt“ heftige genitale Aktivitäten einfordern.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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