Johannes Kühns Gedicht „Abseits“

JOHANNES KÜHN

Abseits

Die Hundehütte ist mein Sitz.
Die Welt begibt sich mit Trompeten,
mit Walzern und mit lautem Jubel
weit von mir.

Der Schloßensturm wirft harte Körner mit Geknatter
aufs Bretterdach. Kein Winseln
erlaub ich mir.

Nur ein Gefeix,
wie eine Maus vorüberläuft,
gelingt.
So dulde ich,
so ist mein Leben,
es füttert mich die Nacht mit Dunkel,
der Tag mit Licht.

2005/06

aus: Johannes Kühn: Leuchtspur. Carl Hanser Verlag, München 1994

 

Konnotation

Für den Dichter gibt es im Selbstverständnis des großen naiven Poeten Johannes Kühn (geb. 1934) nur einen angemessenen Platz: im „Abseits“. In den seit Ende der 1950er Jahre entstandenen Gedichten des saarländischen Bergarbeitersohns finden wir die dazu passenden Selbstbeschreibungen. Als Mann „mit dem Narrenhut“, als glückloser „Elendsesel“ und „Winkelgast“, nur „gelehnt an Luft“, hat sich der Einzelgänger Kühn porträtiert.
In den Gedichten des über 70jährigen Autors setzt sich diese Tendenz zur Selbstverkleinerung des Ich fort. Der Poet erscheint als nichtswürdiges, auf das elendige Dasein in einer Hundehütte reduziertes Wesen, das sich in der Weltabgeschiedenheit eingerichtet hat und nur noch klägliche Laute von sich gibt. Die von Kühn einst verehrte „Demut“ hat sich hier in eine stumme Duldung des eigenen Lebenselends verwandelt. Der Poet als Jammergestalt, ernährt nur vom Wechsel der Tageszeiten – die Größenphantasien der poetischen Moderne sind in ihr Gegenteil umgeschlagen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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