Sabine Schiffners Gedicht „ein hochzeitsgedicht“

SABINE SCHIFFNER

ein hochzeitsgedicht

die sonne kam auf und
die braut war blond und
sie strahlte die sonne
strahlte und die braut
war schwarz die braut
war schwarz und die
sonne fehlte die sonne
fehlte und die braut war
rot die sonne knallte
rot war die braut und
sie sang ein lied während
die sonne fiel die sonne fiel
und die braune braut sank
im wald am rhein
zu boden die braune braut
sank zu boden während
die sonne verschwand

2007

aus: Sabine Schiffner: Dschinn. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2007

 

Konnotation

Nur wenige Lyriker der Gegenwart riskieren so vorbehaltlos ein romantisches Setting wie die Dichterin Sabine Schiffner (geb. 1965). Alte Bekannte aus den Grimmschen Märchen geistern durch ihre Texte, und die idyllische Ordnung der Naturzeichen scheint ungefährdet. Da entstehen traumverlorene Blicke in einen scheinbar unversehrten Kindheitskosmos und in eine rheinländische Lebenswelt. Wundersame Metamorphosen vollziehen sich in einem dieser poetischen Traumbilder, die um das Märchen-Motiv der Hochzeit kreisen.
Wie in einem Kaleidoskop wandelt sich die Szene, die aus drei fixen Elementen (Sonne, Braut und ein Farbwert) besteht, entweder zu einem Bild des Glücks oder des Verhängnisses. Zu Beginn dominiert das traditionalistische Bild der Sonne, das mit der blonden glücklichen Braut korrespondiert. Mit dem Farbwechsel rücken Zeichen des Unheils ins Bild, ein Verhängnis zeichnet sich ab: das „Fehlen“ oder „Verschwinden“ der Sonne wird angezeigt – und auch die Braut verdunkelt sich.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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