Thomas Manns Gedicht „Ich bin ein rechtes Rabenaas“

THOMAS MANN

Ich bin ein rechtes Rabenaas

Ich bin ein rechtes Rabenaas,
Ein wahrer Sündenkrüppel,
Der seine Sünden in sich fraß,
Als wie der Rost den Zwippel
Ach Herr, so nimm mich Hund beim Ohr,
Wirf mir den Gnadenknochen vor
Und nimm mich Sündenlümmel
In deinen Gnadenhimmel!

1901

aus: Thomas Mann: Buddenbrooks. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 1978

 

Konnotation

In Thomas Manns (1875–1955) epochalem Erstling Buddenbrooks von 1901 gibt es eine Stelle, da die frommen Freunde des Hauses Buddenbrook zum Aufsagen von religiösen Texten aufgefordert werden. Hier singt die Hausgemeinde zu einer „feierlichen. glaubensfesten und innigen Melodie“ einen sehr herben Selbstbezichtigungs-Text, in dem ein Sünder seinen Gott um Gnade bittet.
Die Thomas Mann-Forschung hat lange darüber gerätselt, ob es sich hier um ein reales Kirchenlied handelt oder um eine Überschreibung eines alten Denkspruchs. Vermutlich stammt der wuchtige Text von einem antiklerikalen Satiriker namens Wilhelm Wolff, wobei sich jedoch eine unerklärliche Abweichung in Manns Version eingeschlichen hat. Denn ursprünglich lautet die vierte Zeile: „Als wie der Russ’ die Zwippel“. Dies meint also eine angebliche Vorliebe der Russen für Zwiebeln – während die entsprechende Zeile bei Thomas Mann keinen Sinn ergibt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

2 Antworten : Thomas Manns Gedicht „Ich bin ein rechtes Rabenaas“”

  1. Ulrich Rohmer sagt:

    Offensichtlich hat Thomas Mann OTTO VON CORVINS „PFAFFENSPIEGEL“ mit Freuden studiert!

    Im Kapitel DIE LIEBEN , GUTEN HEILIGEN (in meiner Ausgabe vom A. BOCK Verlag Berlin, o. J., S. 699 nennt CORVIN als Quelle

    „einem noch nicht sehr alten Gesangsbuch entnommen“.

    Es scheint so, als wäre der lustige Vers NICHT von Thomas Mann.

    Beste Grüße aus Sachsen von Ulrich Rohmer, Pfr. i. R….

  2. Kuno Veit sagt:

    Russ – Rost:
    Gemeint ist der Zwiebelrost, eine Pilzkrankheit der Zwiebeln, die ganze Zwiebelkulturen vernichten kann.
    Mit freundlichen Grüßen, Kuno Veit.

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